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Rund um den Nollendorfplatz in Berlin-Schöneberg liegt der Regenbogenkiez mit vielen queeren Kneipen und Bars.

© imago images/Fotostand

„So etwas haben wir die letzten 30 Jahre nicht erlebt“: Vorwürfe gegen Polizei wegen aggressiven Vorgehens bei CSD-Feiern

Sorgen und Ärger statt ausgelassener Party: Gastronomen und Besucher im Motzstraßen-Kiez kritisieren das Polizeivorgehen am CSD-Abend.

Im Schöneberger Regenbogenkiez ist nach dem Christopher Street Day (CSD) am vergangenen Samstag die Unruhe groß. Der großen Ausgelassenheit, die sich beim Feiern nach der Parade mit zehntausenden Menschen gezeigt hatte, sind Ärger, Verunsicherung und Sorgen gefolgt. Im Raum stehen dabei dabei Vorwürfe gegen die Polizei, deren Einsatz nicht nur an diesem Abend vor allem in der Motzstraße zum Teil unverhältnismäßig gewesen sein soll.

Schon in den vergangenen Monaten habe die Polizei in Hinblick auf die Durchsetzung der Coronaregeln immer wieder ungeschickt, teils aggressiv-nervös agiert, hieß es aus der Community. Dies wirke sich auf die Stimmung im Kiez aus.

Gleichzeitig gibt es aber auch in der queeren Community ein Unbehagen über allzu sorglos Feiernde in den zurückliegenden Wochen und am CSD-Samstag. Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg hatte für diesen Tag Straßen im Kiez rund um die Motzstraße und den Nollendorfplatz für den Autoverkehr sperren lassen, damit beim Feiern nach dem Ende der Parade die Menschen auch auf die Straße ausweichen und so besser die Sicherheitsabstände einhalten konnten.

Dennoch zeigten etliche Bilder die Feiernden dicht gedrängt und dabei immer wieder auch ohne Maske. Unbehagen hatte Gesundheitsstadtrat Oliver Schworck (SPD) geäußert: Auch unabhängig vom CSD finde er, dass solche großen Events und die Pandemie nicht zusammenpassten.

„So etwas haben wir die letzten 30 Jahre nicht erlebt“

Am Samstag habe die Polizei die Situation in eine Eskalation laufen lassen, schreiben die Betreiber der Szenekneipe Hafen, Ulrich Simontowitz und Sebastian Pagel. Die beiden haben sich jetzt in einem Brief an Politikerinnen im Bezirk und an verschiedene Polizeidienststellen gewandt, unter anderem auch an Sebastian Stipp und Anne Grießbach-Baerns, die bei der Polizei Ansprechpartner für die Belange queerer Menschen sind.

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„Schon die erste große Maßnahme der Polizei, gegen 19 Uhr mit Mannschaftswagen und Beamtenkette in Straßenbreite die Menschen auf die Bürgersteige zu zwingen, entbehrt jeglicher Logik. Die Straßen wurden gesperrt, um nicht nur die Bürgersteige, sondern auch das Straßenland zur Verfügung zu haben, um Abstände zu ermöglichen. Daraufhin die Menschen aufzufordern, eine Maske aufzusetzen, da die Abstände nicht eingehalten werden könnten, war absurd“, schreiben Simontowitz und Pagel.

Sie berichten von einer gewaltsamen Festnahme zweier Besucher auf der Motzstraße und sprechen von einem brutalen Vorgehen. „So etwas haben wir die letzten 30 Jahre nicht erlebt.“ Aber nicht erst seit diesem Tag „sehen wir uns immer wieder unlogischen Handlungen, ja sogar Willkür ausgesetzt“. Die Polizeibeamten seien selten auf dem aktuellen Verordnungsstand. Die Tatsache, dass Menschen im Sommer vor den Türen stehen, werde man ohnehin nicht ändern können.

„Wir brauchen die Beamten nicht als Feindbild, sondern als Kooperationspartner.“

„Seit 30 Jahren zeigen Schwule ihr Selbstbewusstsein und wollen sich nicht mehr hinter verschlossenen Türen mit Einlassklingel verstecken“, schreiben die Hafen-Betreiber. Und appellieren: „Wir brauchen die Beamten nicht als Feindbild, sondern als Kooperationspartner.“ In queeren Publikationen und Internetportalen wird ebenfalls über die Vorkommnisse am CSD diskutiert; auch mehrere Tagesspiegel-Leser haben in Leserbriefen entsprechende Eindrücke geschildert.

Der Rechtsanwalt Niko Härting, bei dem sich Verletzte gemeldet haben, sucht jetzt unter anderem auf Facebook Zeugen möglicher Übergriffe. Härting spricht von Jagdszenen, „an die wir uns nicht gewöhnen dürfen“. Ebenfalls auf Facebook berichtet ein Besucher darüber, dass sein Bruder Opfer von Polizeigewalt geworden sein soll.

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Die Polizei bestätigt, dass an der Motzstraße Ecke Eisenacher Straße Samstagnacht gegen 23.30 Uhr zwei Männer festgenommen worden seien. Ihnen werden Widerstand und tätliche Angriffe auf Polizeibeamte vorgeworfen. Die Polizei widerspricht aber den Aussagen, dass die Beamten gewaltsam vorgegangen seien. Videoaufnahmen zeigten eine Situation, „bei der keine Gewalttätigkeiten seitens der eingesetzten Polizeidienstkräfte zu erkennen sind“.

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Weitere Handyvideoaufnahmen würden noch ausgewertet. Den Angaben eines Polizeisprechers zufolge waren am Abend bis zu 180 Beamte in Schöneberg-Nord und im Park am Gleisdreieck eingesetzt. Dies sei notwendig gewesen, um die Regelungen zum Infektionsschutz durchzusetzen. Die Polizei verweist darauf, dass vielfach die Mindestabstände nicht eingehalten worden seien. Deswegen seien Besucher aufgefordert worden, entweder eine Maske aufzusetzen oder die Abstände zu wahren. „

Der polizeiliche Einsatz erfolgte abgestuft, kommunikativ und deeskalierend, wie auch auf diversen im Internet kursierenden Videos zu sehen ist“, heißt in einer Antwort auf Anfrage des Tagesspiegels.

Die Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, Angelika Schöttler (SPD), kündigte an, dass die Vorkommnisse aufgearbeitet werden sollen. Das Bezirksamt stehe bereits in Kontakt mit den zuständigen Polizeiabschnitt und den Wirten des Regenbogenkiezes. Ohnehin sei schon vor dem CSD verabredet worden, dass es in der kommenden Woche eine Nachbetrachtung zwischen den Präventionsprojekten im Kiez, dem Nachtbürgermeisterteam und nächtlichen Kiezstreifen, den sogenannten Nachtlichtern, geben solle.

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