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Hans-Georg N. erschoss ein Pärchen in Kreuzberg, das war im Januar 1962.

© picture alliance /dpa

Ein ganzes Leben hinter Gittern: Warum ein Berliner Doppelmörder 59 Jahre in Haft war – und nun frei kommt

Hans-Georg N. erschoss 1962 in Kreuzberg zwei Menschen. Er verbrachte fast sein ganzes Leben im Gefängnis. Nun wird er entlassen. Was ist passiert?

Die Nacht zum 14. Januar 1962 ist in Berlin bitter kalt. Auf den Straßen riecht es nach Braunkohle, doch da draußen ist praktisch niemand, denn im Fernsehen läuft das „Halstuch“ von Francis Durbridge, der legendäre Straßenfeger. Nur in der Baerwaldstraße in Kreuzberg sitzen Karin Baumann und Klaus Heinrich verliebt in einem Auto.

Es wird für beide die letzte Nacht, denn auch Hans-Georg N. ist nach dem Fernsehen nach draußen gegangen, bewaffnet mit zwei Revolvern, einem Messer und einer Wäscheleine. Der imponierend große und kräftige 26-Jährige streift ruhelos durch Tempelhof und Neukölln und sieht das Auto mit den beschlagenen Scheiben. Er zieht einen Revolver und drängt sich auf den Fahrersitz, um nach Hause zu fahren, wie er später sagt.

Doch die Lage eskaliert nach kurzer Fahrt, Karin Baumann schlägt ihn, der Wagen prallt gegen einen Baum, N. rastet aus und feuert acht Mal auf das Paar. Die Frau stirbt noch am selben Abend, ihr Freund zehn Tage später.

N. selbst verbringt nach der Tat noch sechs Tage in Freiheit, bis ihn die Polizei festnimmt. Und daran wird sich 59 Jahre lang nichts mehr ändern: Erst am Dienstag, dem 23. März 2021, hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe seine Entlassung aus der JVA Bruchsal angeordnet. N. ist nun 84 Jahre alt.

Irgendwann nach langen Jahren in Haft sagte er einem Reporter, er hätte sich sicher sofort erhängt, wenn er gewusst hätte, wie lange er hinter Gittern bleiben würde. Dabei war er an dieser Rekordhaft nicht unschuldig.

Hans-Georg N. trug viel Wut ins sich

Denn selbst das Urteil von 1963, eine lebenslange „Zuchthaus“-Strafe mit Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, hätte einer Entlassung nach frühestens 15 Jahren prinzipiell nicht im Weg gestanden. Doch N. passt sich nicht an, er ist stur und jahrelang voller Wut, weil er von Justizbeamten kurz nach Strafantritt offenbar massiv misshandelt worden war.

Er dealt, macht Geschäfte mit anderen Gefangenen, wird noch einmal zu zwei Jahren Haft verurteilt, nachdem in seiner Zelle 150 Gramm Haschisch entdeckt wurden.

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Da die Justiz es nicht schafft, seine Kontakte zu kappen, wird er schließlich von Tegel nach Bruchsal in Baden überstellt. Dadurch verliert er auch seinen einzigen Kontakt nach draußen, zum Berliner Pfarrer Gerhard Bruch, der ihn als ehrenamtlicher Vollzugshelfer kennengelernt hatte.

Bruch war es auch, der ihn dazu brachte, 1981, also nach 18 Jahren Haft, erstmals einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung zu stellen. Es kommt zu einer mündlichen Anhörung, N. empört sich, zieht den Antrag zurück.

Nach 30 Jahren Haft sagen Gutachter: Der ist noch gefährlich

Erst 1991 stellt Bruch, nun aus der Ferne, erneut ein Gnadengesuch, die Berliner Justiz lehnt ab. N. gilt als einer, der sich zwar nichts mehr zuschulden kommen lässt, aber auch keine positiven Ansätze zeigt.

1993 darf er erstmals einen Tag im Freigang verbringen, ein Jahr später verfügt das Landgericht Karlsruhe, 30 Jahre seien genug. Doch Gutachter bescheinigen ihm immer wieder Gefährlichkeit, Richter schmettern seine Gesuche mehrfach ab, zuletzt im Mai 2020, bezweifeln, dass er in Freiheit rechtstreu leben könne.

Dabei hat er über die Jahre in der Haft bei Steinmetzarbeiten ein Auge verloren, die Ärzte entfernen ihm eine Niere, er überlebt eine Krebserkrankung. Doch einige forensische Gutachten beruhen allein auf anderen Gutachten, gesprochen wird mit ihm nur selten.

Nun hatte die Beschwerde gegen die Entscheidung von 2020 doch noch Erfolg. Seine Anwältin sagte: „Ich gehe davon aus, dass er sich freut und die Zeit, die ihm bleibt, zu nutzen weiß.“ Wann er auf freien Fuß kommt? Das bleibt zu seinem Schutz geheim.

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