
© dpa/Fabian Sommer
Wende im Fall Gelbhaar: Ein Desaster für die Berliner Grünen
Der Skandal bei den Grünen schadet Frauen, die tatsächlich Opfer von sexuellen Übergriffen werden. Auch dass die Partei nicht früher einen angemessenen Umgang mit der Causa Stefan Gelbhaar gefunden hat, ist ein ernsthaftes Problem.

Stand:
Die Berliner Grünen stehen wegen der Vorgänge im Fall Stefan Gelbhaar vor einem Scherbenhaufen. Und der ist mindestens teilweise selbst verschuldet.
Die Partei hat nach derzeitigem Stand auch aufgrund erfundener Vorwürfe einem ihrer Bundestagsabgeordneten die Kandidatur genommen und damit womöglich dessen politische Karriere zerstört.
Fälle, in denen es um sexuelle Gewalt oder Belästigung geht, sind extrem kompliziert. Den Opfern fällt es oft schwer, die Taten nachzuweisen. Für die Beschuldigten ist es umgekehrt genauso schwierig, den einmal entstandenen Eindruck zu widerlegen. Erst recht, wenn in einer breiten Öffentlichkeit darüber berichtet wurde.
Diese Fälle mit Berichten aus dem intimsten Umfeld vernünftig zu bewerten, ist schwer – zumal, wenn dafür wie im aktuellen Fall aufgrund der knappen Fristen für die Neuwahl des Bundestags nur extrem wenig Zeit bleibt. Für jede Partei wäre das eine absolute Ausnahmesituation. Eine einfache Antwort auf den richtigen Umgang damit gibt es nicht. Und doch wurden schwerwiegende Fehler gemacht.
Dass der Kreisverband Pankow seine Mitglieder wegen der neuen Situation erneut über ihren Kandidaten abstimmen ließ, ist das eine. Doch dass der Kreisvorstand, insbesondere jedoch der grüne Landes- und Bundesvorstand auf Grundlage ungeprüfter Vorwürfe Stefan Gelbhaar zum Kandidaturverzicht aufforderten und damit vorab ein Urteil fällten, war falsch.
Würde dies zur Regel, ließen sich unliebsame Parteimitglieder nach Belieben bei Wahlen ausbooten. Zugleich trifft der erschütternde Fall all jene Personen, meist Frauen, die tatsächlich Opfer von sexuellen Übergriffen werden. Ihnen haben die Beteiligten einen Bärendienst erwiesen. Für sie dürfte es künftig in solchen Fällen noch schwerer werden, andere von den Vorwürfen zu überzeugen.
Gerade für die Grünen, eine Partei, die sich selbst feministisch nennt, ist das ein massives Problem. Zumal auch sie es scheinbar nicht geschafft haben, vernünftige Anlaufstellen für Probleme innerhalb ihrer Partei zu schaffen.
Die schwerwiegenden und strafrechtlich relevanten Vorwürfe gegen Stefan Gelbhaar sind nicht mehr haltbar. Zugleich berichten hinter vorgehaltener Hand viele Grüne, dass der Bundestagsabgeordnete sich womöglich nicht immer vollkommen korrekt verhalten habe. Gerade innerhalb der Grünen Jugend soll dies seit langem Thema gewesen sein.
Dass es die Partei nicht geschafft hat, damit früher einen angemessenen Umgang zu finden, ehe die Lage komplett eskalierte, ist nicht zuletzt für eine feministische Partei ein ernsthaftes Problem.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: