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Wurde er das Opfer einer Intrige? Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar aus Pankow.

© dpa/Annette Riedl

Update

Vorstand kündigt Ausschlussverfahren an: Grünen-Politikerin soll Belästigungsvorwürfe gegen Gelbhaar erfunden haben

Weil er Frauen sexuell belästigt haben soll, wurde der Abgeordnete Stefan Gelbhaar nicht erneut für den Bundestag nominiert. Nun bricht ein entscheidender Teil der Vorwürfe in sich zusammen.

Stand:

Berichte über falsche Vorwürfe gegen den Berliner Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar (Grüne) erschüttern die Grünen im Bund und in Berlin. „Der Verdacht, dass gegenüber der Presse eine falsche Erklärung gegen ein anderes Parteimitglied mit schweren Vorwürfen erhoben wurde, ist gravierend“, sagten die Grünen-Bundesvorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak.

Wer in einem solchen Verfahren falsche Aussagen an Eides statt tätige, begehe im Zweifelsfall nicht nur eine Straftat, sondern füge der gemeldeten Person, der Partei, aber auch den auf Vertrauen aufbauenden Strukturen und den anderen meldenden Personen erheblichen Schaden zu.

Grünen-Landesvorsitzende zeigen sich „erschüttert“

„Sobald die Person, gegen die sich dieser schwere Verdacht richtet, uns namentlich bekannt wird und der schwerwiegende Verdacht nicht unverzüglich ausgeräumt wird, werden wir ein Parteiausschlussverfahren einleiten“, erklärten die Bundesvorsitzenden. Zudem werde die Person bis zur Entscheidung des Parteischiedsgerichts von der Ausübung aller Mitgliedschaftsrechte ausgeschlossen.

Wenn sich der Vorwurf bewahrheitet und klar ist, wer die betroffene Person ist, werden wir auch parteirechtliche Schritte einleiten.

Berliner Grünen-Landesvorsitzende Nina Stahr und Philmon Ghirmai

Auch im Berliner Landesverband der Grünen sorgt die Wendung in dem Fall für Wirbel. „Wir sind erschüttert über den Bericht des RBB. Eine falsche eidesstattliche Erklärung abzugeben ist eine Straftat und schadet allen Beteiligten“, teilten die Landesvorsitzenden Nina Stahr und Philmon Ghirmai dem Tagesspiegel mit.

Wenn Betroffene grenzüberschreitendes Verhalten meldeten, nehme man dies ernst. Falschaussagen schadeten Betroffenen und deren Meldungen und müssten daher konsequent geahndet werden. „Wenn sich der Vorwurf bewahrheitet und klar ist, wer die betroffene Person ist, werden wir auch parteirechtliche Schritte einleiten“, hieß es von Stahr und Ghirmai.

Der Kreisverband Pankow begrüßte die Ankündigungen des Landes- und Bundesverbands. „Die Berichterstattung, dass es Falscherklärungen gegenüber der Presse gegen Parteimitglieder gegeben haben könnte, schockieren uns“, teilte der Kreisvorstand in einer Mitteilung mit. Auch vom RBB erwarte man „eine umfassende Aufarbeitung der Vorgänge innerhalb der Berichterstattung“.

Pankower Grüne halten an Julia Schneider als Bundestagskandidatin fest

Abermals begründete der Kreisvorstand seine Entscheidung, die Kandidatenaufstellung erneut durchzuführen. „Wir haben uns im Dezember auf Grundlage einer veränderten politischen Situation und nach einer Gesamtbetrachtung der damaligen Lage entschieden, den Mitgliedern eine neue Entscheidungsmöglichkeit zu geben.“

Eine juristische Bewertung der Situation sei dabei „weder Aufgabe des Vorstandes noch unsere Entscheidungsgrundlage“ gewesen. Ziel sei es gewesen, die Handlungsfähigkeit des Kreisverbandes wieder herzustellen.

Einer allein zeitlich wohl schon unmöglichen erneuten Kandidatenaufstellung erteilte der Vorstand eine Absage: „Der Kreisverband Pankow geht mit Julia Schneider in den Bundestagswahlkampf.“

Erfundene Vorwürfe gegen Stefan Gelbhaar

Zuvor war bekannt geworden, dass eine Grünen-Bezirkspolitikerin Vorwürfe sexueller Belästigung gegen ihn erfunden und dafür eine falsche Identität angenommen haben soll.

Wie der RBB am Freitagabend berichtete, habe sich die Bezirkspolitikerin „zweifelsfrei“ gegenüber dem Sender als „Anne K.“ ausgegeben und einen angeblichen Übergriff Gelbhaars geschildert. „Anne K. war nicht diejenige, für die sie sich ausgab“, erklärte der Sender. „Mit hoher Wahrscheinlichkeit existiert diese Frau gar nicht.“

Es gebe außerdem Anhaltspunkte dafür, dass die Bezirkspolitikerin der Ombudsstelle der Partei anonym Vorfälle gemeldet habe. Auch diese könnten „frei erfunden“ sein, teilte ein RBB-Sprecher dem Tagesspiegel mit.

Strafrechtlich besonders relevante Vorwürfe nicht mehr gedeckt

Der Sender hatte seine Berichterstattung auf mehrere eidesstattliche Versicherungen von Frauen gestützt. Ein „wesentlicher Vorwurf“ sei nun allerdings „nichtig“. Der RBB geht davon aus, dass die Bezirkspolitikerin die Versicherung von „Anne K.“ gefälscht hatte.

Nach Tagesspiegel-Informationen ging es darin sowie in den anonymen Mails um die strafrechtlich besonders relevanten Vorwürfe gegen Gelbhaar. Die weiteren Anschuldigungen betrafen demnach weniger schwerwiegende Fälle. Ein RBB-Redakteur sagte am Freitagabend in der „Abendschau“, diese hätten eine „geringere Fallhöhe“.

Der Sender hat inzwischen auf seiner Internetseite sämtliche Beiträge, bei denen konkrete Vorwürfe geschildert wurden, gelöscht. Außerdem habe man gegen die Bezirkspolitikerin Strafanzeige erstattet. Zwar bestreite die Frau den mutmaßlichen Betrug. Allerdings habe sie dem Sender keine Belege vorweisen können, dass „Anne K.“ existiere.

Gelbhaar selbst wollte sich auf Tagesspiegel-Anfrage nicht zu den Entwicklungen äußern. Sein Anwalt Markus Goldbach sagte der „B.Z.“: „Es wird immer deutlicher, dass es sich bei den Vorwürfen um eine reine Diffamierungskampagne gegen Herrn Gelbhaar handelt.“

Grüner Bundes-, Landes- und Kreisvorstand stehen in der Kritik

Kritik gibt es jedoch auch gegenüber dem Handeln der Parteiverantwortlichen in der Sache. Nachdem parteiintern erste Vorwürfe die Runde gemacht hatten, soll Gelbhaar am Tag vor dem Landesparteitag Mitte Dezember aus dem Bundesvorstand heraus aufgefordert worden sein, nicht für die Landesliste zur Bundestagswahl zu kandidieren.

Es wurde ein Urteil gefällt, ohne Aufklärung zu betreiben. Das geht so nicht.

Pankower Grünen-Abgeordneter Andreas Otto

Später forderten sowohl der Bundes-, Landes- als auch der Pankower Kreisvorstand Gelbhaar öffentlich dazu auf, auf eine Kandidatur für den Bundestagswahlkreis Pankow zu verzichten, obwohl die Vorwürfe zu diesem Zeitpunkt nicht aufgeklärt waren.

„Es wurde ein Urteil gefällt, ohne Aufklärung zu betreiben. Das geht so nicht“, kritisierte der Pankower Grünen-Abgeordnete Andreas Otto. „Das wird in der Partei die Diskussionen verstärken, was die Partei selbst hätte anders machen sollen.“

„Anne K.“ nicht an angeblicher Adresse gemeldet

Über Zweifel an der Qualität der Beweise im Fall Gelbhaar hatte am Mittwoch erstmals der Tagesspiegel-Checkpoint berichtet. Dem Berlin-Newsletter lagen Unterlagen aus Gelbhaars Verfahren gegen den RBB vor, in dem er eine Unterlassung der Berichterstattung begehrte. Demnach hatte eine Abfrage beim Einwohnermelderegister ergeben, dass „Anne K.“ offenbar nicht an der in der eidesstattlichen Versicherung angegebenen Adresse gemeldet ist.

Auch vor Ort ist der Name an Klingel oder Briefkästen nach Tagesspiegel-Recherchen nicht zu finden. Langjährige Anwohner berichteten, den Namen noch nie gehört zu haben. Der Grünen-Landesverband teilte auf Anfrage mit, aus Datenschutzgründen nicht mitteilen zu können, ob es ein Parteimitglied mit dem Namen gebe.

Der RBB hatte eine am Montag gestellte Anfrage des Tagesspiegels, ob der Sender die eidesstattliche Versicherung auf ihre Richtigkeit geprüft habe, bis zur Publikation seines Artikels am Freitagabend unbeantwortet gelassen und erst dann Stellung bezogen. Demnach hatte die Redaktion mit „Anne K.“ vor der ursprünglichen Veröffentlichung der Vorwürfe anscheinend nur telefonischen Kontakt gehabt.

Gelbhaar wies alle Vorwürfe als „Falschbehauptungen“ zurück

Vorwürfe sexueller Belästigung gegen Gelbhaar waren in der Partei erstmals im Dezember erhoben worden, nachdem Gelbhaar erneut als Direktkandidat für die Bundestagswahl in Pankow nominiert worden war. Er verzichtete daraufhin auf eine Kandidatur für die Landesliste der Grünen.

Der Kreisverband entschied zudem, im Januar noch einmal über die Kandidatur fürs Direktmandat abzustimmen. Nach einer Anfrage des RBB wegen einer geplanten Berichterstattung hatte Gelbhaar am Silvestertag selbst die Vorwürfe auf seiner Website veröffentlicht und ausnahmslos als „Falschbehauptungen“ zurückgewiesen.

Die Nominierung fürs Direktmandat verlor er dennoch: Bei einer Versammlung des Kreisverbands am 8. Januar unterlag er deutlich Julia Schneider, die nun für die Pankower Grünen in den Bundestag einziehen soll.

In ihrer Bewerbungsrede hatte sie gesagt: „Ich kandidiere heute, damit wir uns wieder auf das Wesentliche konzentrieren können, und in einem Kreisverband, in dem Frauen sich sicher fühlen können und gehört werden.“ Gelbhaar hatte vergeblich versucht, die Wahlversammlung verschieben zu lassen. (mit axf)

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