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Beim minimalinvasiven Eingriff wird die neue Herzklappe entweder nahtfrei eingesetzt oder – wie im Bild – mit der Gefäßwand vernäht.

©  Oliver Berg/dpa

Herzklappen-Operationen: Weniger Chirurgie ist manchmal mehr

Beim Ersatz von Aortenklappen stehen mehrere Methoden zur Verfügung. Ein Überblick – und ein Besuch im Herzzentrum in Bernau, wo am Samstag Herzoperationen live übertragen werden.

Nicht nur Gefäße können im Laufe des Lebens verkalken, auch Organteile – wie die Aortenklappe. Sie ist das lebenswichtige Ventil zwischen der linken Herzkammer und der Hauptschlagader, die den Fluss des sauerstoffreichen Blutes aus der Lunge reguliert. Nimmt ihre Elastizität durch Verkalkungen ab, schließt sie nicht mehr richtig. Symptome wie Luftnot bei nur geringer Anstrengung, ein Druckgefühl auf der Brust und Schwindel können aufkommen.

Dann ist es Zeit, die natürliche Klappe durch eine künstliche oder tierische zu ersetzen. Dafür sind aufwendige Eingriffe nötig. Eine konventionelle Herzklappen-Operation verlangt dem Patienten einiges ab, da der Brustkorb weit geöffnet wird und die Chirurgen am offenen Herzen arbeiten. Birgt dieser Eingriff ein zu hohes Risiko, weichen die Ärzte immer öfter auf einen Eingriff mit Kathetern aus. Dabei wird die künstliche Klappe statt in einer offenen Operation mit einem dünnen Schlauch durch die Gefäße bis ins Herz geschoben. Laut Deutschem Herzbericht 2017 wurde 2016 rund 11 000 Patienten die Aortenklappe offen chirurgisch ersetzt, bei ebenso vielen per Katheter.

Seit einiger Zeit gibt es eine dritte Variante, die zwischen den beiden Methoden angesiedelt ist: die nahtfreie Einpflanzung einer Aortenklappenprothese mittels einer minimalinvasiven, also Schlüsselloch-OP. Die Mediziner, die dieses Verfahren nutzen, sehen darin klare Vorteile im Vergleich zu den anderen Methoden: kleinere Schnitte, kürzere Operationszeit, schnellere Genesung. Wir haben eine solche Operation beobachtet, auch deshalb, weil sie sehr ähnlich abläuft wie ein herkömmlicher offener Eingriff und deshalb gut illustriert, wie diese Therapie funktioniert. Es ist Anfang November. Das Wetter draußen ist herbstlich trüb. Doch bei dem siebenköpfigen Operationsteam der Herzchirurgie im Herzzentrum Brandenburg in Bernau kommt keine negative Stimmung auf. Im Gegenteil, denn im Hybrid-Interventionssaal der Klinik, der zugleich Katheterlabor und Operationsflächen beinhaltet, steht ein spannender Eingriff auf dem OP-Plan.

Der Brustkorb wird aufgesägt

„Das chirurgische Vorgehen beim nahtfreien Aortenklappenersatz ist im Prinzip das gleiche wie bei konventioneller Operation“, sagt Johannes Albes, Chefarzt für Herzchirurgie im Herzzentrum Brandenburg: Dabei wird der Brustkorb des Patienten aufgesägt und das schlagende Herz freigelegt. Der Sack aus Bindegewebe, der das Herz umgibt, wird aufgeschnitten, um an die darunter liegenden Strukturen zu gelangen. Damit der Körper diese unnatürliche Situation gut überstehen kann, wird ein künstlicher Kreislauf geschaffen. Dazu wird der Patient an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen, was für das Herz eine enorme Entlastung bedeutet.

Ist all diese Vorarbeit geleistet, trauen sich die Operateure an die Aorta genannte Hauptschlagader heran. Sie verläuft nach einer großen Windung im Oberkörper nach unten, um auch noch die entlegenste Stelle am Fuß mit sauerstoffreichem Blut versorgen zu können. Kurz unterhalb dieses Aortenbogens wird die Hauptschlagader für die Dauer des Eingriffes abgeklemmt, damit kein Blut dorthin zurückläuft, wo gleich operiert wird. Gleichzeitig darf während der OP auch kein neues Blut nachgepumpt werden.

Dazu wird die Aktivität des Herzmuskels mit einer Kaliumlösung vorübergehend stillgelegt. Entscheidend bei diesem Vorgehen, das sich nur wenig von einer konventionellen Herzklappen-OP am offenen Herzen unterscheidet, seien aber zwei innovative schonende Aspekte, sagt Herzchirurg Albes: „Der Brustkorb wird über einen sieben Zentimeter langen Hautschnitt nur zum Teil geöffnet, was die Atemtherapie nach dem Eingriff erleichtert und weniger Schmerzen aufkommen lässt.“ Im Schnitt seien die Patienten dann wieder schneller auf den Beinen. „Außerdem wird die Zeit an der Herz-Lungen-Maschine durch die geringere Gesamtbelastung stark reduziert.“ Den Winterschlaf kann das Herz über zwei Stunden gut durchhalten. Kritisch werde es, wenn die Aorta über drei Stunden abgeklemmt wird, da dann im Blut Zerfallsprozesse einsetzen, sagt Chefarzt Albes. Die Herz-Lungen-Maschine könne sogar bis zu vier Stunden unproblematisch arbeiten, bis der Körper den künstlichen Kreislauf nicht mehr toleriere, sagt Albes.

Mit Lupenbrille und Stirnlampe

Um bis zur verkalkten Aortenklappe vorzustoßen, schneidet der Herzchirurg zunächst die Hauptschlagader auf. Er sucht nach der Stelle, an der die Klappe mit dem Gefäß verwachsen ist. Oberhalb dieser sogenannten Klappenbasis kann er dann an drei Stellen die Klappen ein wenig hervorziehen, um einen besseren Überblick zwischen den feinen Strukturen zu erhalten. Dabei helfen ihm auch seine Lupenbrille und Stirnlampe. „Die drei Teile der verkalkten Aortenklappe, die zusammen etwa pflaumengroß sind, werden nacheinander herausgeschnitten“, sagt Albes. Auch die restlichen Kalkstrukturen in der Umgebung müssen entfernt werden, damit sie nicht in die Blutbahn geraten und Gefäße verstopfen.

Das alles ist auch eine Frage der Größe, denn die neue Aortenklappe muss in das alte Gefäß passen. Dazu bestimmt der Chirurg bereits vor dem Eingriff mit einer computertomografischen Aufnahme die benötigte Größe und gleicht diese während der OP mit speziellen Messinstrumenten in der eröffneten Hauptschlagader mehrfach ab. Denn die Ersatzklappe darf nicht zu klein sein und muss das Gefäßinnere komplett abdichten, ohne mit der Gefäßwand vernäht zu werden – deshalb die Bezeichnung „nahtfrei“ für die Operationsmethode.

Nun wird es endlich Zeit, die neue Klappe einzusetzen. Sie wird zusammengedrückt in einem Drahtgeflecht auf einen Halteapparat aufgezogen. Diesen Stab positioniert der Chirurg zusammen mit drei Führungsnähten vorsichtig an der richtigen Stelle im Gefäß. Hier wird ein Ballon aufgepumpt, der das Drahtgeflecht mit der neuen Aortenklappe, die aus Rindergewebe besteht, aufspannt. „Dazu ist über rund zehn Sekunden ein Druck von fünf Bar nötig, mehr als in einem Fahrradschlauch“, sagt Albes. Das Drahtgeflecht verkrallt sich im Gewebe, ohne dass das Implantat über 20 Nähte wie bei einer herkömmlichen Herzklappen-OP fixiert werden müsste. Die nahtfreie Aortenklappe sitzt fest. Bei der nichtnahtfreien Version der Operation müsste der Chirurg die neue Herzklappe mit Stichen mit dem umliegenden Gewebe vernähen, was die Operation um rund 20 Minuten verlängert. „Nahtfrei dauert der Eingriff vom Eröffnen der Aorta bis zum Ende der Naht etwa 40 Minuten“, sagt Albes.

Das Herzzentrum Bernau veranstaltet am Samstag, 30. November, von 10-13 Uhr unter dem Motto „Belastung oder Überlastung – was kranke Herzen wieder leisten können“ den 27. Tag des Herzzentrums im Paulus-Praetorius-Gymnasium. Um 10.05 Uhr führt Chefarzt Christian Butter ins Thema ein, um 10.15 Uhr (Herzklappenersatz) und 11.10 Uhr (Vorfhofflimmer-Ablation) werden zwei OPs live übertragen. Außerdem stehen Bewegungsübungen, eine virtuelle Reise durchs Herz, Einblicke in den Erweiterungsbau und Informationen zum Hochschulklinikum auf dem Programm. Die beiden Live-OPs werden auch im Livestream auf bernau.immanuel.de und tagesspiegel.de/gesundheit übertragen.

Anschließend werden die übrigen Haltevorrichtungen der Klappe entfernt. Der Herzchirurg näht die Aorta vorsichtig wieder zu, entfernt die Klemme und entlüftet die Hauptschlagader. Dieser letzte Schritt ist notwendig, damit keine im Gefäß gebliebenen Luftbläschen Blutgefäße verstopfen – so wenig wie Kalkbrösel ins Blutsystem gehören, hat auch Luft dort nichts zu suchen. Zum Schluss kontrollieren die Ärzte die Funktionalität der neuen Klappe mit einer Ultraschallsonde, die als Teil der Operationsvorbereitung in die Speiseröhre des Patienten eingeführt wurde.

Minimalinvasive OP-Technik und Nahtfreiheit verkürzen den gesamten Eingriff. Das mache solche Operationen selbst bei Patienten möglich, die unter schweren Nebenerkrankungen leiden und für die die OP-Zeit so kurz wie möglich gehalten werden müsse, sagt der Chefarzt. „Für das Verfahren eignet sich fast jeder, der eine neue Aortenklappe braucht.“ Lediglich Patienten mit einer stark verzogenen Aorta oder einer akuten Herzinfektion wie einer Endokarditis kämen dafür nicht infrage. Alle anderen könnten von der Methode „Weniger Chirurgie ist mehr“ profitieren.

Das ist aber auch der Grund, warum immer häufiger Herzklappen statt offen chirurgisch mit einem Katheter eingepflanzt werden, die sogenannte TAVI. „Das Verfahren ist im Allgemeinen schonender und wird immer häufiger angewendet“, sagt Albes. Trotzdem habe auch der offen chirurgische Klappenersatz weiterhin seine Berechtigung. „Viele Patienten sind etwa anatomisch nicht für TAVI geeignet.“ Auch für den Austausch einer degenerierten TAVI bleibt das chirurgische Verfahren notwendig. Es werden also auch künftig Brustkörbe geöffnet und Herzen stillgelegt werden müssen, wenn auch weniger. Der chirurgische Klappenersatz tritt in die „zweite Reihe“, aber nötig wird er im Bedarfsfall noch lange bleiben.

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