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Ohne Abstand, ohne Respekt. Die „Freedomparade“ im Berliner Supermarkt.

© TSP

Wer ist die Gruppe um „Captain Future“?: Corona-Skeptiker skandieren in Berliner Supermarkt „Ein bisschen Sars muss sein“

Eine verschwörungsideologische Gruppe aus Berlin fällt seit Monaten mit Anti-Corona-Aktionen auf. Ihr neuestes Video sorgt im Netz für Empörung. Wer sind sie?

Die Schaffnerin, die auf Gleis Zwei des Dresdner Hauptbahnhofs aus dem RE18 steigt, ist sichtlich genervt. „Das sind sie, das sind die Verrückten“, teilt sie einer bereitstehenden Einheit von Bundespolizisten mit und zeigt auf eine bunte Gruppe an Menschen, die in diesem Moment den aus Cottbus kommenden Zug verlassen. Die selbsternannte Berliner Freedomparade ist in der sächsischen Landeshauptstadt angekommen.

Regelmäßig bricht die Gruppe um ihren Anführer „Captain Future“ zu Wochenendausflügen auf. Ziel sind immer Demonstrationen der „Querdenken“-Bewegung. Auch in Dresden wollten Corona-Verharmloser, Maßnahmen-Kritiker und Verschwörungsideologen an diesem Sonnabend auf die Straße gehen, doch die Stadt hatte kurzerhand jeglichen Aufzug der Bewegung verboten.

Die Unterstützer der Freedomparade haben trotzdem die Anreise aus der Hauptstadt auf sich genommen, die zunächst im Dresdner Hauptbahnhof enden wird. Vermutlich hatte die Schaffnerin die Polizei schon auf der Strecke alarmiert. Auf einem später veröffentlichten Video bei YouTube sieht man, wie „Captain Future“ und Mitstreiter im Regionalexpress auf dem Weg nach Dresden jegliche Hygieneregeln missachten. Niemand trägt Maske, niemand hält Abstand.

Stattdessen wird im Zug zu dem vom „Captain“ höchstpersönlich umgedichteten Song „Ein bisschen Sars muss sein“ in Polonaise getanzt. In Dresden angekommen, scheint der Spaß für die Gruppe zunächst vorbei. Die Bundepolizei spricht allen Beteiligten einen ganztägigen Platzverweis für das gesamte Stadtgebiet aus. Die Freedomparade muss umkehren.

Doch kaum hat die begleitende Polizei den Heim-Zug des Pulks verlassen, entscheiden die Demonstranten, einfach zurückzufahren. Das Kommando gibt wie immer „Captain Future“: „Wer, wenn nicht wir, soll standhaft sein. Wir sind renitente Feierbiester“, sagt er im Video.

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In Radebeul-Ost verlässt die Freedomparade den Zug und fährt zurück nach Dresden. Dort nimmt sie gegen 19 Uhr an einem nicht genehmigten, spontanen Corona-Protest vor der Frauenkirche teil.

Tanz-Demos mit dreistelliger Teilnehmerzahl

Wie „Querdenken 711“, ist auch die Freedomparade zu Zeiten des ersten Lockdowns im Frühling entstanden. Auf den „Tanz-Demos“ der Organisation wurde Techno gespielt, immer wieder konnten die Aufzüge eine dreistellige Teilnehmerzahl vorweisen.

Mittlerweile besteht der harte Kern der Freedomparade aus weniger als zwanzig Unterstützern, deren Hintergrund unterschiedlicher nicht sein könnte. Der stets im gelben Umhang auftretende „Captain Future“ alias Michael B. kommt aus der Partyszene, hat vor Corona selber Fetisch-Feiern organisiert.

Frühere Bekannte beschreiben den „Captain“ als „aufmerksamkeitssüchtig“

Der Tagesspiegel hatte die Möglichkeit, mit ehemaligen Bekannten von B. zu sprechen. Viele haben sich von seinen Einstellungen mittlerweile distanziert und beschreiben den Berliner als „aufmerksamkeitssüchtig“. Politisiert hätte er sich auf Demonstrationen von „Fridays for Future“ und „Extinction Rebellion“, durch seine gute Vernetzung in die Kunst- und Kulturszene der Hauptstadt, habe er früh die immensen Auswirkungen der politischen Pandemie-Maßnahmen auf die Branche realisiert und sei deswegen bereits im April auf die Straße gegangen, so eine ehemalige Bekannte in einem Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt.

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Die für ehemalige Freunde und Bekannte neue Seite des Partyveranstalters B. ist die fehlende Abgrenzung nach rechts. Denn die Freedomparade fällt nicht nur durch das massenhafte Verbreiten von Verschwörungstheorien im Netz und auf der Straße auf, sondern auch dadurch, dass sie rechte und rechtsextreme Akteure in ihren eigenen Reihen duldet.

Mitglieder ziehen Parallelen zum Holocaust

Während die Gruppe in Dresden aus dem Zug steigt, wendet sich einer der Mitreisenden an die anwesende Presse und fragt: „Wo ist denn hier der Zug ins KZ?“ Als einer der Journalisten nachfragt, was damit gemeint sei, entgegnet der Mann: „Naja, die Männer in schwarz sehen aus wie damals die Männer von der SS und der SA. Es gibt Parallelen“, und zeigt auf die Einsatzkräfte der Bundespolizei.

Der "Captain Future" auf einer Demo gegen die Corona-Politik im Sommer.
Der "Captain Future" auf einer Demo gegen die Corona-Politik im Sommer.

© Christoph M. Kluge TSP

Kurz dahinter auf dem Bahnsteig steht Reza Begi, iranischer Holocaustleugner und gern gesehener Gast bei NPD-Veranstaltungen. Er trägt eine Wollmütze in den Farben des deutschen Kaiserreichs und ist ebenfalls mit „Captain Future“ und Gefolge aus der Hauptstadt angereist.

In den vergangenen Monaten fiel die Gruppierung immer wieder durch spontan anmutende Protestaktionen gegen die Corona-Politik der Bundesregierung in der Hauptstadt auf. Koordiniert wird sich über den Messengerdienst Telegram.

Protestaktionen in S-Bahnen und Einkaufscentern

Während die selbsternannten Freiheitskämpfer im Herbst noch zu Helene Fischers abgewandeltem Hit „Maskenlos durch die Nacht“ ohne Mund-Nasen-Bedeckung durch Berliner Einkaufscenter zogen, ist die Freedomparade mittlerweile bei aufwändigeren Inszenierungen angekommen.

Vor einer Woche verbreiteten sie ein Video, in dem sie sich mit weißen Quarantäne-Anzügen und verhülltem Gesicht durch einen Zug der Berliner S-Bahn bewegen. Über Lautsprecher verkündet eine Stimme „Gefährder in die Einzelhaft, Maskenleugner ächten, das ist Solidarität.“ Die Inszenierung ist gespenstisch. Die rechtsextreme Kleinstpartei „Der Dritte Weg“ hatte zuvor ähnliche Aktionen in Mitteldeutschland durchgeführt.

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Das neueste Video der Freedomparade ist unterdessen auch in der Bundespolitik angekommen. Zu sehen ist eine kleinere Gruppe um „Captain Future“ beim maskenlosen Einkaufen im LPG-Supermarkt am Senefelderplatz in Prenzlauer Berg. Noch im Eingangsbereich machen die Verschwörungsideologen Kniebeugen und singen „Ein bisschen Sars muss sein“.

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SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach kommentiert auf Twitter: „Ihr gut gelaunter narzisstischer Egoismus ist für mich schwer zu ertragen“. Die Berliner Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch fordert die Polizei auf, „mit Nachdruck“ zu ermitteln.

Nach Informationen des Tagesspiegels liegt der Polizei mindestens eine Anzeige vor. Die Pressestelle bestätigt, dass von den Behörden wegen möglicher Ordnungswidrigkeiten Ermittlungen aufgenommen worden sind.

Fraglich, ob sich „Captain Future“ und Konsorten davon beeindrucken lassen. Dutzende Male hatten sie bisher mit der Polizei zu tun, doch bisher machten sie immer weiter. Für viele User in den sozialen Netzwerken ist das angesichts neuer täglicher Höchstwerte bei den Corona-Todeszahlen unerträglich. Ebenfalls auf Twitter bezieht sich auch YouTuber „Rezo“ auf die neueste Aktion der Gruppe und fragt: „Wie kann man so asozial und menschenverachtend sein?“

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