
© freshidea - stock.adobe.com
Youssuf, Ali, Mohammed: Was machen wir mit all diesen Kindern? Sie durchweg als potenzielle Straftäter behandeln?
Die Debatte, wie viele Verdächtige – etwa bei den Berliner Silvesterstraftaten – einen türkisch-arabischen Vornamen haben, nützt niemandem. Stattdessen schadet sie der Gesellschaft.

Stand:
Nehmen wir zwei Jungs, zwei Berliner mit deutschem Pass, die in Kreuzberg leben. Zwei Kinder, die sich seit etwa zwölf Jahren kennen, fast ihr ganzes Leben. Im Krabbelalter spielten sie gern zusammen auf dem Trampolin im Innenhof. Als Drei- und Vierjährige teilten beide ihr Spielzeug nicht gern. In der ersten Klasse hatten beide einige Startschwierigkeiten.
Inzwischen sind sie vor allem in Mathe beide ziemlich gut. Beide spielen gern Fußball. Und beide haben engagierte Eltern mit Hochschulabschluss, die ihnen bei den Hausaufgaben helfen können.
Durchgestochene Namensliste der Silvesternacht
So viele Gemeinsamkeiten. Das Leben könnte für sie ganz ähnlich weitergehen. Oder auch nicht. Denn es gibt einen Unterschied zwischen ihnen, der vielen Berlinern ziemlich wichtig zu sein scheint: Der Name. Der eine Junge ist mein Sohn. Er trägt einen mitteleuropäischen Namen. Der andere ist das Nachbarskind. Er heißt Youssuf. Dazu hat er auch noch einen türkisch klingenden Nachnamen, seine Eltern sind vor langer Zeit aus der Türkei eingewandert.
Was wäre eigentlich, wenn ich mein Kind Youssuf genannt hätte?
fragt sich Redakteurin Daniela Martens
Der Name „Youssuf“ war kürzlich in aller Munde, zusammen mit „Ali“ und „Mohammed“: Ein Polizist hatte eine Liste von Vornamen von in der Silvesternacht Festgenommenen mit deutschem Pass an das rechtspopulistische Portal „Nius“ durchgestochen. Die Namen Youssuf, Ali und Mohammed standen in verschiedenen Schreibweisen besonders oft darauf. Aber auch Ronny, Udo, Frederick oder Moritz kamen häufig vor.
Nachdem schon Anfang 2023 die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus Vornamen deutscher Tatverdächtiger erfragen wollte, wird nun wieder mal über den Zusammenhang von Vornamen und Kriminalität diskutiert. Viele Berliner, die Christian, Oliver oder Rüdiger heißen, dürften zufrieden sein. Sie hätten schließlich ein „Recht“ darauf, diese Namen zu kennen, meinen sie.
Aber was genau soll das bringen? Wie wenden wir diese Information an? Was ändert sich zum Besseren, wenn wir wissen, dass mehr Youssoufs und Mohammeds festgenommen wurden als Noahs und Eliasse? Nichts. Stattdessen schadet diese Art der Debatte allen.
Name kann entscheidend sein bei Wohnungssuche
Die Häufung der Namen auf der Liste sei ein Beweis für eine angebliche mangelnde Integration von Deutschen, die Youssuf, Ali oder Mohamed heißen, heißt es. Aber so setzen sich schädliche Stereotype immer weiter fest. Mohammed war der beliebteste Vorname für Jungen 2024 in Berlin. Was machen wir mit all diesen Kindern? Sie durchweg als potenzielle Straftäter behandeln?
Für meinen jungen Nachbarn Youssuf wird der Weg struktureller Diskriminierung, der vor ihm liegt, dadurch noch fester zementiert. Er wird es später schwerer haben, einen Ausbildungsplatz, eine Wohnung oder einen Platz für eine Psychotherapie zu finden als mein Sohn. Das belegen Studien. Bei den türkischen und arabischen Namen gab es sehr oft nicht mal eine Reaktion auf Anfragen, anders als bei den mitteleuropäischen.
Googlen wir doch mal, was erwachsene Youssufs in verschiedenen Schreibweisen so machen in Berlin. Da finden sich gleich auf den ersten beiden Treffer-Seiten: der Betreiber eines Pflegedienstes, fünf Ärzte, darunter ein spezialisierter Chirurg an der Charité, ein Friseur und ein Singer-Songwriter neben mehreren Anbietern von arabischem oder türkischem Essen.
Wir stempeln Kinder als potenziell gefährlich ab
Sie tragen also viel zu unserer Gesellschaft bei. Und sie alle landen dank solcher Debatten sofort in der Schublade „potenzieller Straftäter“. Im Zusammenhang mit Kriminalität würden Deutsche, die „nicht weiß“ sind, immer wieder als Ausländer wahrgenommen, sagt die Wissenschaftlerin und Moderatorin Mai Thi Nguyen-Kim zum Thema Rassismus, in ihrer Sendung „Maithink X“, in der sie sorgfältig die wissenschaftliche Studienlage zu den unterschiedlichsten Themen prüft. Vor allem in diesem Zusammenhang gelten auch Menschen mit den „falschen“ Vornamen als „nicht weiß“.
In diesem gesellschaftlichen Klima landet nun auch noch die Forderung von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, Deutschen mit doppelter Staatsbürgerschaft den deutschen Pass wieder abzunehmen, wenn sie straffällig würden.
Was für ein Signal an deutsche Kinder, die Youssuf, Mohammend und Ali heißen! Wir stempeln sie als potenziell gefährlich ab. Und erschweren ihnen so ihren Weg dahin, als Ärzte, Pflegekräfte, Anwälte oder auch Friseure etwas Konstruktives zu unserer Gesellschaft beizutragen.
Wer wirklich etwas gegen Kriminalität unternehmen will, müsse etwas gegen strukturelle Benachteiligung und Diskriminierung tun – denn die verstärkten nachweislich Kriminalität, sagt Mai Thi Nguyen-Kim. Benachteiligung und Diskriminierung führen oft zu Armut. Und je länger Kinder in Armut aufwüchsen, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Erwachsene kriminell würden. Nicht auf den Vornamen kommt es also an, sondern auf die soziale Herkunft.
Wie wäre es also, wenn wir uns – statt auf Vornamen – darauf konzentrieren würden, soziale Strukturen so zu verändern, dass mehr Berliner Kinder eine bessere Bildungs- und Lebensperspektive bekommen? Sätze wie „Halt die Fresse“, wie sie anscheinend an der Bergius-Schule gefallen sind, sind auch Schülern gegenüber nicht in Ordnung. Das müssen noch mehr Lehrer verstehen. Kinder lernen nämlich vor allem durchs Nachahmen. Und wenn – wie auf der Bergius-Schule – ein Großteil der Schüler türkische oder arabische Namen trägt, werden solche Bemerkungen Teil der strukturellen Benachteiligung, die diese Kinder und Jugendlichen dauerhaft erleben.
Was wäre eigentlich, wenn ich mein Kind Youssuf genannt hätte? Youssuf Martens. Würde der deutsche Nachname einen Unterschied machen? Aber welche Familie ohne Migrationshintergrund würde ihren Kindern schon eindeutig türkische oder arabische Namen geben?
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false