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Die beiden Angeklagten verdecken sich hinter einer Jacke und einem Poster beim Prozessauftakt im Berufungsprozess nach einer Serie rechtsextremer Straftaten.

© Carsten Koall/dpa

Zwei Neonazis zurück auf der Anklagebank : Erneut Prozess nach rechtsextremer Anschlagsserie in Berlin-Neukölln

Am Berliner Landgericht ist der Berufungsprozess zur rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln an den Start gegangen. Die Angeklagten schwiegen.

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Die beiden Neonazis verdeckten ihr Gesicht vor den Fotografen: Sebastian T. hielt sich ein Orca-Poster vor, Tilo P. seine Jacke. Ein Berufungsprozess ging vor der Staatsschutzkammer am Berliner Landgericht an den Start, auf den mit Spannung geschaut wird. Es geht um die Serie mutmaßlich rechtsextremer Anschläge in Neukölln.

Die Liste der Vorwürfe gegen die Angeklagten ist lang. In der ersten Instanz kam es in einigen Fällen zu Schuldsprüchen, doch in zentralen Punkten wie Brandstiftung ergingen Freisprüche.

Dem 41-jährigen P., einst in der AfD Neukölln aktiv, und dem 38-jährigen Neonazi Sebastian T. wird vorgeworfen, in der Nacht des 1. Februar 2018 die Autos des Buchhändlers Heinz Ostermann und des Linken-Politikers Ferat Koçak in Brand gesetzt zu haben. Zudem geht es um rechtsextreme Schmierereien und Hass-Botschaften an Hauswänden und Aufkleber an Bushaltestellen oder Verteilerkästen.

Eigentlich wollen wir abschließen und wieder versuchen, ein normales Leben zu führen, aber mit diesem Berufungsprozess fangen die Ängste wieder an, die schlaflosen Nächte.

Der Berliner Linkenabgeordnete Ferat Koçak ist Nebenkläger

Koçak ist Nebenkläger. Die erneute Begegnung mit den beiden Neonazis sei für seine Familie und ihn „retraumatisierend“, sagte der Linken-Politiker am Rande. „Eigentlich wollen wir abschließen und wieder versuchen, ein normales Leben zu führen, aber mit diesem Berufungsprozess fangen die Ängste wieder an, die schlaflosen Nächte.“ Er hoffe, dass das Landgericht am Ende „eine organisierte Gruppe sieht und nicht Einzeltäter“.

Die Anklage lautet auf Brandstiftung beziehungsweise Beihilfe dazu, Bedrohung, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Sachbeschädigung. Im Fall von T. geht es zudem um Betrug. Er soll Geld vom Jobcenter erschlichen und zu Unrecht Corona-Soforthilfen kassiert haben. Es geht um insgesamt rund 16.000 Euro.

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Mehr als 70 rechtsextreme Straftaten zählen die Ermittlungsbehörden seit 2013 in Neukölln, darunter 23 Brandanschläge vorwiegend auf Autos. In dem Prozess geht es um einige der Taten. Ziel der Aktionen war laut Anklage: Menschen, die sich gegen rechts engagieren, sollten eingeschüchtert werden. Die Ermittlungen hatten sich jahrelang hingezogen. Mit Pannen, Fehlern, Versäumnissen.

„Mein Mandat wird sich schweigend verteidigen“, sagte der Verteidiger von P., Mirko Röder. Der Anwalt beschrieb P. am Rande als „gesettelten Jungen, er schleift an der Nordsee Boote“. Auch T. hüllte sich in Schweigen.

Verfahren vor Verfassungsgericht überschattet Prozess

Nach monatelanger Verhandlung hatte das Amtsgericht Tiergarten T. zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt. Bewährung komme nicht infrage, urteilten damals die Richter – sie sahen keine günstige Sozialprognose. P. erhielt eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 30 Euro (4.500 Euro). Generalstaatsanwaltschaft und Verteidigung legten Berufung ein. Nun sind bislang 13 weitere Prozesstage terminiert.

Überschattet wird der Prozess durch ein Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof. Der Neukölln-Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses hatte vom Gericht um die Akten zum Fall der angeklagten Brandanschläge gebeten. Doch die Vorsitzende Richterin Susann Wettley, eine erfahrene Karrierejuristin, einst Staatsanwältin im Bereich Organisierte Kriminalität, lehnte das – einmütig mit Generalstaatsanwaltschaft und Verteidigern – wegen grundlegender Rechtsstaatsprinzipien ab.

Eine funktionierende Strafjustiz und eine durch ungestörte und von außen nicht beeinflusste Verhandlung habe Verfassungsrang, hieß es, zumal die Unschuldsvermutung gilt – als Ausfluss der im ersten Artikel des Grundgesetzes verankerten Menschenwürde. Der Ausschuss könne die Akten frühestens nach Ende der Beweisaufnahme bekommen, hieß es. Deshalb klagt der Ausschuss auf Herausgabe. Wann die Verfassungsrichter über die Akten entscheiden, ist noch nicht absehbar. Eine Sprecherin erklärte: „Das Verfahren befindet sich in der Sachbearbeitung und der Beteiligung.“

Zudem beantragten die Verteidiger von T. dazu Akteneinsicht beim Verfassungsgerichtshof. Für sie geht es um die Frage, ob die Grundrechte ihrer Mandanten eingeschränkt werden, sagte Anwalt Röder. „Einschränkungen von Grundrechten sind keine Kavaliersdelikte und können zur Deformation des Verfassungsbewusstseins führen – besonders in Anbetracht der jüngsten Wahlergebnisse in Ostdeutschland.“ Koçak. erklärte: „Für mich und viele andere Betroffene ist es wichtig, dass die Akten freigegeben werden für den Ausschuss.“ Der Prozess geht am Montag weiter.

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