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Markus Lanz

© ZDF/Markus Hertrich

Brosius-Gersdorf und Precht bei „Lanz“: Darf man in Deutschland noch alles sagen? Ja, aber…

Als wäre nie etwas gewesen, kehrt Frauke Brosius-Gersdorf als Juristin ins Talkstudio zurück. Das Männer-Duo Lanz und Precht zeigt sich nicht von seiner besten Seite. Die TV-Kritik.

Stand:

Es ist eine ungewöhnliche Runde, die Markus Lanz am Donnerstagabend bei sich versammelt hat. Neben der Rechtswissenschaftlerin Brosius-Gersdorf, um die es lange ruhig war, sind der Autor Richard David Precht, die ehemalige US-Korrespondentin des „Handelsblatts“, Annett Meiritz, sowie die Autorin Jagoda Marinić zu Gast. Die ZDF-Sendung in der TV-Kritik.

Als wäre nie etwas gewesen

Rund fünfeinhalb Monate ist es her, dass die Potsdamer Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf bei „Lanz“ den wohl wichtigsten Fernsehauftritt ihres Lebens absolvierte. Wegen ihrer wissenschaftlichen Publikationen zu Abtreibungen sah sich die Kandidatin fürs Bundesverfassungsgericht damals schweren Vorwürfen ausgesetzt. Ihre Wahl hatte die Unionsfraktion kurzfristig platzen lassen.

Die Einzelbefragung bei „Lanz“ im Juli war ein Versuch, die Wogen zu glätten. Am Ende aber nützte es Brosius-Gersdorf nichts mehr. Zwar habe ihr Auftritt die Debatte „deutlich versachlicht“, betonte die Juristin später. Die Kritiker aber konnte sie damit nicht mehr umstimmen. Nach wochenlangen Debatten über ihre Person sah sich Brosius-Gersdorf schließlich zum Rückzug gezwungen.

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Der „Zeit“ gab die Juristin kürzlich ein Interview, ansonsten hielt sie sich in den vergangenen Monaten überwiegend aus der Öffentlichkeit fern. Nun jedoch ist Brosius-Gersdorf zurück an jenem Ort, der ihr noch lebhaft in Erinnerung sein dürfte. Gerne würde man hören, wie es ihr dabei geht und wie sie auf diese Sommermonate zurückblickt, die sicherlich noch immer an ihr nagen. Dafür aber ist in der Sendung kein Raum.

Zwar sitzt Brosius-Gersdorf an diesem Abend völlig zu Recht nicht nur als ehemalige Richterkandidatin, sondern vor allem als fähige Juristin bei „Lanz“ im Studio. Sie ständig auf ersteres zu reduzieren, wäre ungerecht. Dass ihre Kandidatur und der politische Wirbel darum allerdings vollkommen außen vor bleiben, als wäre nie etwas gewesen, ist reichlich irritierend.

Wie breit ist der Meinungskorridor?

Lanz hat sich ein höchst aktuelles Thema für den Abend bereitgelegt: die Meinungsfreiheit. Allzu viele Kontroversen gibt es zwischen den Gästen jedoch nicht.

Precht, bei dem die eigene Meinung selten zu kurz kommt, bringt den Kern der Debatte nach wenigen Minuten auf den Punkt. Bezogen auf seine kritische Haltung zu Waffenlieferungen an die Ukraine sagt er: „Natürlich darf man das alles sagen. Aber die sozialen Kosten sind sehr, sehr hoch.“ Die Einschränkung der Meinungsfreiheit „fängt nicht auf der Gesetzesebene an“.

Es gehöre „sehr, sehr viel Mut dazu“, eine Meinung zu vertreten, „die von den in den Medien besonders gerne vertretenen Narrativen“ abweiche, lobt sich Precht gleich mal selbst. Dass jedoch nicht die Gesetzeslage zur Meinungsfreiheit, sondern der gefühlte „Meinungskorridor“ das eigentliche Problem ist, darin sind sich in der Runde im Prinzip alle einig. Nur darüber, wie groß dieser Meinungskorridor ist, gibt es – wer hätte es geahnt – unterschiedliche Meinungen.

Precht und Meiritz vertreten am deutlichsten die Auffassung, dass in Deutschland zu wenige Meinungen akzeptiert würden. Lanz teilt diese Position erkennbar. Brosius-Gersdorf argumentiert abwägender, doch auch sie wünscht sich, „dass wir mehr zulassen an Meinungsäußerungen, sofern sie sich im zulässigen Spektrum bewegen“. Marinić dagegen nimmt den Debattenraum nicht als eingeschränkt wahr, sondern sieht hierzulande „ein extrem breites Meinungsspektrum“.

Kein Rückblick, nur Appelle

Die in seiner Sendung üblichen Themenwechsel vermeidet Lanz, es geht 75 Minuten lang ausschließlich um die Meinungsfreiheit. Eine sonderlich spannende oder ergiebige Debatte kommt allerdings nicht zustande.

Man hangelt sich an Beispielen entlang, die mal mehr, mal weniger intensiv diskutiert werden: der Krieg gegen die Ukraine, Impfungen, Bücherverbote in den USA, deutsche Kinderbücher (laut Precht „das verminteste Terrain, was wir im Augenblick in dieser Republik haben“) und so weiter.

Als es um Shitstorms geht, wäre es an der Zeit, dass Brosius-Gersdorf zumindest ein wenig über ihre eigenen Erfahrungen spricht. Doch das tut sie nicht, bleibt allgemein. Umso eindringlicher appelliert sie dafür, das Internet nicht als rechtsfreien Raum zu akzeptieren, in dem „unwahre Tatsachenbehauptungen“ oder „Schmähkritik“ geduldet werden. Es ist sicherlich auch eine Lehre aus der Debatte um sie selbst.

Die Juristin schlägt vor, soziale Medien zu verpflichten, Meinungspluralität sicherzustellen und Klarnamen einzuführen. Außerdem müssten diejenigen, die sich „unzulässig äußern“, so Brosius-Gersdorf, „vielleicht eher mal eine Schulung in Rechts- und Wertekunde bekommen“. Doch ihre Vorschläge verpuffen. So sehr alle Teilnehmer auch eine sachliche Debatte fordern – das Interesse an einer Diskussion über konkrete politische Maßnahmen bleibt eher gering.

Das eingespielte Männer-Duo

Die große Precht-Phase in den „Lanz“-Sendungen ist schon länger vorüber, und doch wirken Lanz und Precht, die wöchentlich ihren gleichnamigen Podcast aufnehmen, vertraut wie eh und je, stellenweise gar wie Verbündete. Das zeigt sich etwa, als es um Thilo Mischke geht, der die Kultursendung „titel, thesen, temperamente“ hätte moderieren sollen, bis die ARD wegen Sexismusvorwürfen gegen ihn einen Rückzieher machte.

Lanz stellt Brosius-Gersdorf eine Frage zu Mischke, schneidet ihr aber nach wenigen Sekunden das Wort ab: Er wolle noch einmal „kurz erklären“, worum es geht. Lanz holt aus, nennt Mischke einen exzellenten Journalisten. „Ganz ganz toll“, bekräftigt Precht, der immer wieder ein kurzes „Ja“ dazwischenwirft, während Lanz spricht.

Als Lanz Mischkes Geschichte zur Hälfte fertig erzählt hat, übernimmt Precht das Wort, ein fließender Übergang. Dass eigentlich Brosius-Gersdorf etwas sagen wollte, bevor sie von Lanz „kurz“ unterbrochen wurde, scheint vergessen. Erst einmal darf Precht –der wahrlich über keinen zu geringen Redeanteil in der Sendung klagen kann – nun seine Meinung ausbreiten.

Wäre Mischke eine Frau, die ein problematisches Buch geschrieben hätte, „hätte wahrscheinlich kein Sender der Welt mal darüber nachgedacht, dieser Frau so eine Moderation bei ‘ttt’ zu geben“, sagt Brosius-Gersdorf, als sie endlich an der Reihe ist. „Warum?“, fragt Lanz. „Das glaube ich nicht“, wirft Precht zeitgleich ein, „das sehe ich gar nicht“. Lanz lacht. Ob so Wertschätzung aussieht?

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