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„Die Fahrgäste genießen das“: In Berliner U-Bahnhöfen wird wieder musiziert
Nach drei Jahren Corona-Pause vergibt die BVG wieder Plätze an Musiker. Im Untergrund ist vieles erlaubt, allerdings keine Blechblasinstrumente – sie könnten Ansagen übertönen.
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Ein Coversong aus den 60er-Jahren, live gespielt auf der Gitarre. Sowas war in Berlins U-Bahn-Stationen schon lange nicht mehr zu hören. Genau drei Jahre. Doch nach dem Ende der Maskenpflicht in der letzten Woche kommt das künstlerische Leben auch im Untergrund in Gang. Seit Mittwoch erhalten Musiker wieder die Wochenlizenzen der BVG und können spielen und Geld verdienen.
Reinhard Michel, 61, stammt aus Darmstadt und spielt seit mehr als 20 Jahren in der U-Bahn – Songs von den Beatles, Elvis oder Simon & Garfunkel. In den Corona-Jahren waren seine Zuschauer:innen auf Youtube sein einziges Publikum. Heute steht er im Bahnhof Stadtmitte. „Es fühlt sich sehr gut an, hier wieder zu spielen“, sagt er trotz der Kälte, die das Greifen auf den Saiten erschwert. Es kehre ein bisschen Normalität zurück. „Die Fahrgäste genießen auch wieder die Freiheit, der Musik zuhören zu können“, sagt er.

© Gabrielle Meton/Tagesspiegel
Michel wirft einen Blick auf seinen Korb, der auf die nächsten Münzen wartet. „Es geht mir weniger um das Geld, als um eine Anerkennung, eine Rückmeldung von den Leuten“, sagt er. Eigentlich gibt er Kurse zu Microsoft-Software, etwa an der Volkshochschule. U-Bahn-Musik macht er hobbymäßig. Manchmal erkennen ihn sogar seine Schüler:innen.
Es geht mir weniger um das Geld, als um eine Anerkennung, eine Rückmeldung von den Leuten.
Reinhard Michel, U-Bahn-Musiker
2020 waren die Musiker wegen Corona aus den Stationen verbannt worden. Nun dürfen sie wieder auf den offiziell erlaubten Plätzen spielen, die es an 40 Bahnhöfen gibt. Viele Instrumente sind erlaubt, Blechbläser bleiben jedoch weiterhin verboten. Nicht, weil Trompeten-Sound der BVG nicht gefällt, sondern „aus Gründen der Barrierefreiheit“, sagt BVG-Sprecher Markus Falkner. „Die Instrumente dürfen niemals die Durchsagen auf den Bahnsteigen übertönen.“ Das sei auch der Grund, warum nicht die Bahnsteige bespielt werden, sondern die Gänge oder die Ecken an den Treppen.
Reinhard Michel hat sich darauf gefreut, endlich seine Musikerkollegen wiederzusehen. Sie trifft er vor allem bei der Anmeldung, jede Woche am Mittwochmorgen von sieben bis 11 Uhr. Diese Woche war der Andrang vor dem BVG-Büro an der Jannowitzbrücke allerdings nicht besonders groß. „Da standen insgesamt 20 Leute“, sagt er. „Ich glaube, viele Musiker haben noch gar nicht bemerkt, dass es wieder erlaubt ist.“
„Diese Woche war es überschaubar“, bestätigt BVG-Sprecher Falkner. „Das muss sich in der Community noch herumsprechen.“ Vor der Corona-Pandemie lag die Zahl bei 60 Genehmigungen pro Tag.

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U-Bahn-Musik gibt es seit 750-Jahr-Feier Berlins im Jahr 1987. Das damals eingeführte Angebot entwickelte sich zur Dauerinstitution. Die Genehmigungen der BVG kosten momentan zehn Euro pro Tag. Der Musiker kann dann auf dem ihm zugewiesenen Platz so lange spielen, wie er will.
Für den stark sehbehinderten Olyeg, der in der Station Stadtmitte Akkordeon spielt, sind zehn Euro pro Tag jedoch zu viel. „Würde man jeden Tag spielen, wären das Ende des Monats 300 Euro – das ist für mich undenkbar“, sagt der gebürtige Moldawier.
Die russische Musik darf man noch spielen, die ist schön.
Olyeg, U-Bahn-Musiker
Olyeg spielt russische, ukrainische und rumänische Folklore. Er spricht alle drei Sprachen und auch Deutsch. Lachend erzählt er, dass er sich „111 Jahre alt“ fühle. Aber er sieht nicht viel älter aus als 25 Jahre. Auf seiner Tasche, die er an seinem Bein befestigt hat, damit er sie nicht verliert, steht: „Waisenkind bettelt um Hilfe für eine Augenoperation“.
Als er vor einem Jahr nach Deutschland kam, hatte er gehofft, rasch eine Operation gegen seine Blindheit zu erhalten. Doch daraus wurde nichts. Die Charité habe ihn gebeten, „zu warten“. Er beantragte Asyl, heute hänge sein Status „in der Luft“. Olyeg ist genervt vom Lärm der Alkoholiker und ihren zerbrochenen Flaschen auf den Stationen. Auch die bürokratischen Hindernisse, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, findet er ärgerlich.
„Um keine Drogen verkaufen zu müssen“, macht er Musik, im Winter in der U-Bahn und im Sommer in den Parks. Eine Passagierin hat seiner Geschichte aus der Ferne zugehört. Sie geht näher heran, steckt sechs Euro in seine Tasche und flüstert: „Das ist ja mutig.“
Beim Verlassen der Station hört man Olyeg auf Russisch singen. „Die russische Musik darf man noch spielen, die ist schön“, sagt er in Anspielung auf den Krieg. Solange die Behörden ihn lassen, wird Olyeg in Berlin Akkordeon spielen.
Reinhard Michel hofft, bald wieder mehr internationale Musiker im Untergrund zu sehen. „Das schöne an der Musik ist, dass sich alle darauf verständigen können.“
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