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Cybermobbing betrifft sogar schon Achtjährige: Was hilft Kindern und Jugendlichen gegen digitalen Hass?
Immer mehr und immer jüngere Kinder werden Opfer digitaler Hetze. Den meisten Tätern fehlt es dabei völlig an Unrechtsbewusstsein. Drei Experten sagen, was gegen Cybermobbing hilft.
- Catarina Katzer
- Greta Bernstone
- Lukas Pohland
- Lars von Törne
Stand:
Herabwürdigende Kommentare im Klassenchat, ein Video aus der Umkleide auf Social Media – Cybermobbing nimmt viele Formen an, und die Zahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen steigt immer mehr. Diese Kinder und Jugendlichen leiden oft massiv, ohne dass sie adäquate Hilfe bekommen. Und die Gemeinschaft insgesamt, zum Beispiel in der Schule, verändert sich zum Negativen und verroht.
Seit der weltweit erfolgreichen Netflix-Serie „Adolescence“ wird das Thema verstärkt diskutiert. Trotzdem stehen Eltern oder Lehrkräfte dem Geschehen in den sozialen Netzwerken hilflos gegenüber. Wir haben drei Expertinnen und Experten danach gefragt, was Kindern und Jugendlichen gegen digitalen Hass hilft.
Alle Texte unserer Rubrik „3 auf 1“ finden Sie hier.
Ein SOS-Button auf sozialen Netzwerken wie in Frankreich
Zwei Millionen der Acht- bis 19-Jährigen in Deutschland sind bereits Opfer von Cybermobbing geworden, Täter wie Opfer werden immer jünger. Jede:r dritte Betroffene ist dauerhaft belastet, jede:r vierte äußert Suizidgedanken. Das Verbinden von analoger und virtueller Gewalt (wenn Jugendliche in peinlichen Situationen gefilmt und Online gezeigt werden) verstärkt diese Effekte: Die Betroffenen durchleben diese Momente in einer Endlosschleife immer wieder.
Unterschiede zeigen sich bei der Bewältigung: Jungen wenden eher aktive Strategien an, werden aggressiv, nehmen Alkohol oder Drogen. Auch schweigen Jungen öfter, Täter fühlen sich dadurch sicher. Mädchen verarbeiten den Druck mehr nach innen gerichtet, leiden an Depression oder handeln autoaggressiv.
Die Mehrheit der Täter wiederum sieht Cybermobbing als legitimen Weg der Konfliktbewältigung“. Das Unrechtsbewusstsein fehlt, digitale Hasskulturen führen zu Verrohung und steigender Gewalt unter Kindern und Jugendlichen.
Zur Stärkung ihrer Resilienz braucht es im schulischen wie familiären Umfeld die Auseinandersetzung mit toxischen Entwicklungen, digitales Verhalten muss reflektiert und ein kritischer Blick entwickelt werden. Wie in Frankreich braucht es einen SOS-Button auf allen sozialen Netzwerken, über den Betroffene sofort Hilfe bekommen können, und eine Risikobewertung für soziale Netzwerke wie TikTok.
Die Lebensrealität von Kindern spielt sich im digitalen Raum ab
Uns schreiben täglich Hilfe suchende junge Menschen. Manche werden beleidigt, andere mit Nacktbildern erpresst. Sie schreiben anonym, weil sie nicht wissen, was sie tun sollen, aber auch, weil sie sich nicht trauen, mit jemandem aus ihrem direkten Umfeld darüber zu sprechen – aus Scham, aus Angst, nicht verstanden zu werden.
Die Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen spielt sich längst auch im digitalen Raum ab. Doch neben Likes, lustigen Videos und schönen Fotos gibt es da auch viel Druck, Hass und Gewalt. Wer nicht will, dass sein Kind darin untergeht, sollte nicht vorschnell urteilen, sondern versuchen zu verstehen, wie diese Onlinewelt funktioniert.
Eltern ohne Ahnung davon, was auf TikTok und Instagram abgeht, können keine Hilfe sein. Nur in einem Dialog, in dem offen gesprochen und verständnisvoll zugehört wird, wo Interesse für den Alltag des Kindes besteht, wird es bereit sein, sich zu öffnen und Rat anzunehmen.
Wer echte Zuwendung erfährt und ein positives Selbstwertgefühl entwickeln kann, wird mit Herausforderungen umgehen können – online wie offline.
Schulen brauchen klare Präventions- und Interventionspläne
Cybermobbing kann Kinder und Jugendliche tief verunsichern. Viele ziehen sich zurück, leiden still – oft ohne Unterstützung. Aus der Präventions- und Interventionsarbeit unserer Organisation wissen wir: Betroffene junge Menschen fühlen sich oft ohnmächtig, hilflos und allein gelassen – vor allem dann, wenn Schule, Elternhaus oder Plattformen nicht konsequent handeln.
Was wirklich hilft? Zuhören, ernst nehmen und strukturell Verantwortung übernehmen. Schulen brauchen klare Präventions- und Interventionspläne – unter Einbindung von (externen) Fachleuten. Plattformen müssen Meldungen ernst nehmen und schneller reagieren. Eltern sollten digitale Lebensrealitäten ihrer Kinder verstehen, statt sie zu verteufeln.
Und nicht zuletzt muss auch die Politik handeln: laut einer repräsentativen Civey-Umfrage im Auftrag der Cybermobbing-Hilfe empfinden 64,5 Prozent der Deutschen das bestehende Strafrecht als nicht ausreichend, um Opfer von Cybermobbing zu schützen. Cybermobbing lässt sich nur stoppen, wenn alle gemeinsam handeln. Offline wie online.
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