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Jenseits der Liberalität. Polizisten suchen im Görlitzer Park nach versteckten Drogen.

© dpa

Dealer im Görlitzer Park: Der Drogengroßmarkt von Berlin

Ein paar Jungs werfen Frisbee, ein paar andere verkaufen Drogen – der Alltag im Görlitzer Park. „Es ist ein Markt“, sagen die Anwohner. Und nicht mal die Polizei glaubt an ihre eigene Strategie. Manch einer denkt jetzt ans Wegziehen.

Der junge Mann und seine Begleiterin sind mitten im Verkaufsgespräch mit einem afrikanischstämmigen Mann. Sie haben offenbar noch viel vor an diesem Abend. Was der Verkäufer an Drogen bei sich hat, reicht ihnen nicht. „Komm’, wir gehen mit buddeln“, sagt der Mann zu seiner Freundin. Der blau-silberne Streifenwagen, der in Schrittgeschwindigkeit auf sie zuschleicht, ist noch ein paar hundert Meter entfernt. Kein Grund zur Hektik. Der Dealer und seine Kunden können im Buschwerk des Görlitzer Parks Nachschub besorgen.

Auf der größten Berliner Drogenfreihandelszone gehen die Geschäfte auch in diesen Tagen ihren Gang – bis am Abend die Polizei in Kreuzberg zur Razzia anrückt. Dann wird die Fläche zwischen der Wiener und der Görlitzer Straße mit Flutlichtern erhellt und ein paar Dutzend Polizisten durchsuchen Grünanlagen und Spielplatzsand nach gebunkerten Tütchen, Päckchen und Kügelchen.

Der Druck auf die Polizei ist gestiegen

Nach der Gewaltexplosion des vergangenen Wochenendes ist der Druck auf die Polizei gestiegen. Der türkische Besitzer einer Shisha-Bar in direkter Nähe zum Park und ein Angestellter waren mit einem scharfen Gegenstand auf zwei dunkelhäutige Jugendliche losgegangen. Die Jungs, 16 und 17 Jahre alt, sind polizeibekannte Dealer. Der Barbesitzer hatte sich angeblich immer wieder über die Drogenverkäufer geärgert, die vor seinem Souterrain-Lokal auf Kunden warteten und Leute anpöbelten. Der „Taz“ zufolge hatte er vor dem blutigen Streit an die siebzig Mal die Polizei gerufen.

Es war nicht die erste Gewalttat im Park oder in seinem Umfeld. 2010 starb ein aus Gambia stammender Dealer durch ein Messer. 2011 erstach ein aus Senegal stammender Dealer eine junge Französin. Ihre Leiche packte er in Plastikfolie und warf sie in den Landwehrkanal. Schlägereien zwischen Dealern, Raubüberfälle, Angriffe auf Passanten und Touristen passieren ständig.

Zwei Hunde kämpfen, ein Freak hält sich für Jesus

Wer heute durch den Park geht, spürt eine seltsame Atmosphäre, nur vordergründig spaßorientiert: jenseits der Liberalität, kurz vor völliger Regellosigkeit. Hier treffen alle aufeinander, die von Kreuzberg irgendetwas erwarten. Trotz der Kälte lassen Männer ihre Frisbeescheiben fliegen. Ein paar Meter weiter steht eine Gruppe von jungen Hundebesitzern. Ein mittelalter Mann mit Mischling kommt vorbei. Prompt gibt es einen Hundekampf. So fühlt sich der Park die ganze Zeit an: Es könnte Ärger geben. Zu viele Leute, deren Bewusstseinszustände schwer einzuschätzen sind. Jungtrinker. Bekiffte. Dropouts in weiten Sporthosen, in den Gesichtern Lebenswut und Leere. Flaschen werden ausgetrunken. Hasch- und Graswolken wehen. Ein Freak, die Wodka-Flasche in seiner Hand ist zu drei Vierteln geleert, gibt sich als Heiler aus. Nur der junge Mann, der auf einer Wiese seinen Freunden die neue Drohne im Flug vorführen will, macht einen nüchternen und flugtauglichen Eindruck.

Jenseits der Liberalität. Polizisten suchen im Görlitzer Park nach versteckten Drogen.
Jenseits der Liberalität. Polizisten suchen im Görlitzer Park nach versteckten Drogen.

© dpa

Hecken schneiden? Reicht das?

Jenseits der Liberalität. Polizisten suchen im Görlitzer Park nach versteckten Drogen.
Jenseits der Liberalität. Polizisten suchen im Görlitzer Park nach versteckten Drogen.

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Aber die Dealer sind vorsichtiger geworden in diesen Tagen. Die arabischstämmige Fraktion am Eingang an der Skalitzer Straße blickt bloß fragend und wendet sich ab, wenn man signalisiert: kein Interesse. Man bleibt auf Abstand. Die afrikanische Fraktion, in Gruppen überall im Park verteilt, macht auf „Hey man!“-Freundlichkeit.

Seit die Gegend selbst in Reiseführern als Drogenmeile angepriesen wird, steigt die Nachfrage und mit ihr die Zahl der Anbieter Die dürfte längst in die hunderte gehen. Lorenz Rollhäuser beobachtet die Entwicklung seit fast 20 Jahren. So lange lebt er schon in der Görlitzer Straße, in unmittelbarer Nähe zum Park.

Dass irgendwann die Dealer kamen, fand er anfangs gar nicht schlecht. Um das Jahr 2000 herum habe es angefangen. Vielleicht fünf auf dem ganzen Gelände. „Wenn man nachts durch den Park nach Hause lief, wusste man wenigstens, dass man da nicht allein ist.“

Das ist lange her. Heute besetzen Drogendealer jeden Eingang zum Park, sprechen offensiv jeden an, der ihr Territorium betritt. Familien mit Kinderwagen? Egal. „Alles gut? You need some weed?“ Etwas Cannabis gefällig? Gefährlich ist das häufig nicht. Aber auch nicht berechenbar. Viele Anwohner meiden den Park inzwischen.

Tagelange Polizeipräsenz

Rollhäuser nicht. Es sei ja schließlich auch ein bisschen sein Park. Genau wie auch die Menschen, die dort ihre Drogen verkaufen, im Grunde ein Recht hatten, sich dort aufzuhalten – nur eben keines, kriminell zu sein.

Rollhäuser läuft den schmalen asphaltierten Weg in der Mitte des Parks entlang. Ungewöhnlich ruhig ist es. Die Polizei zeigt ja seit Tagen Präsenz. Aber wie lange soll das so weitergehen? Die Stadt hat auch andere Probleme, die Polizei auch andere Orte, an denen die 70 Mann, die hier bis auf Weiteres jeden Tag ein paar Stunden patrouillieren sollen, gebraucht würden. Berlin kennt das Problem: Als zum Beispiel mit großem Personalaufwand Autobrandstifter gejagt wurden, stieg die Zahl der Wohnungseinbrüche in der Stadt dramatisch an.

Aber es ist ja nicht so, dass sie es im Park nicht ohne Polizei probiert hätten. Im Grunde ist das den meisten Anwohnern auch immer noch am liebsten. Rollhäuser, 61 Jahre alt, schloss sich 2012 der „Anwohnerinitiative Görlitzer Park“ an. Die Initiatoren einte der Eindruck, dass der Park immer mehr verwahrlost, dass die Stimmung aggressiver wird und dass das auch mit dem Drogenhandel zusammenhängt. Konsens ist das im Kiez keineswegs. Viele schätzen das soziale Biotop nach wie vor für seine Freiheiten, die es vermeintlich bietet. Und weil ein Großteil der Dealer aus afrikanischen Ländern stammt – nicht selten sind es Flüchtlinge – wurde die Initiative mehr als einmal als Vereinigung von Rassisten beschimpft, die nur „die Schwarzen“ vertreiben wolle.

Auch Rollhäuser gibt zu, dass sich bei einigen, die gegen die Verhältnisse im Park wettern, berechtigte Ängste mit Rassismus mischen, wenn plötzlich jeder Schwarze als Drogendealer gelte. Das sei Quatsch. Doch es bleibt ein Problem, gerade für einen Bezirk wie Kreuzberg, in dem Toleranz identitätsstiftend ist. Auch politisch.

Wer im Kiez fragt, was die Anwohner denn getan hätten, um sich den Park zurückzuerobern, hört vor allem den Namen Monika Herrmann. Bei der grünen Bezirksbürgermeisterin liefen in den vergangenen Jahren etliche Vorschläge zusammen. Sozialarbeiter sollten in den Park kommen und sich um die Dealer kümmern, Alternativen aufzeigen. Vermittler sollten im Park Streit schlichten, statt wie das Ordnungsamt darauf achten zu müssen, wer seinen Hund angeleint hat und wer nicht. Das Grünflächenamt sollte regelmäßig die Hecken zurückschneiden und so den Platz für Drogenverstecke minimieren. Und vor allem sollte der Park mit Sommerfesten und Veranstaltungen belebt werden. Die Dealer, so die Theorie, suchen sich dann anderes Terrain. Vieles scheiterte am Geld.

Sind die Dealer gar nicht das Problem?

Ohnehin sind, wie manche glauben, nicht die Dealer ursächlich für das Problem. Für sie ist die Entwicklung am und im Görlitzer Park eine Folge der Gentrifizierung: Je bürgerlicher Kreuzberg werde, desto intoleranter gehe es zu, lautet die These. Dazu gehört allerdings auch die Annahme, dass zumindest die afrikanischen Dealer allesamt Flüchtlinge seien, die nicht arbeiten dürfen und sich mit dem Verkauf von ein bisschen Cannabis den Lebensunterhalt verdienen.

Einer, der Kreuzberg noch aus den vor-touristischen Zeiten kennt, sagt trocken: „Das ist hier Markt, mehr ist das nicht.“ Die Aufregung um den Görlitzer Park, die politische Aufladung zum Konflikt zwischen der grünen Bezirksbürgermeisterin und dem CDU-Innensenator Frank Henkel, nervt allerdings so ziemlich alle Anwohner, sagt er.

Warum die Polizei nicht an ihre eigene Strategie glaubt

Wie die Cannabis-Schwaden wabern auch Geschichten und Gerüchte über der kargen Grünfläche. Ein Bekannter sei mit einem Messer angegangen worden, erzählt eine Kreuzbergerin, die schon seit Jahren am Park wohnt und drei Kinder hat. Sie weiß auch, dass türkische Mädchen Opfer sexueller Übergriffe geworden sind, was zu „Dramen“ in den Familien geführt habe. Sie selbst ist zwei Mal mit Afrikanern aneinandergeraten, einmal, weil sie eine sexistische Bemerkung nicht auf sich beruhen ließ, beim zweiten Mal, weil sie ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Görli für alle“ trug. Darauf hin habe sie ein Afrikaner gefragt: „Was heißt das? Bist du gegen Schwarze?“ – „Bist du blind?“ habe sie zurückgefragt. Ihr Fazit: „Es spitzt sich zu“, sagt sie und dass ganz viele Eltern wollten, dass die Polizei im Park aufräume.

Und dann? Bürgermeisterin Herrmanns Coffee-Shop-Projekt ist den Leuten sympathisch. Doch auch Leute, die sich als notorische Grünen-Wähler beschreiben, glauben nicht wirklich, dass man den Drogenmarkt durch die Legalisierung von Cannabis- und Marihuana-Verkauf auflösen kann. Ein anderer Parkanwohner weiß, dass der Park eben auch für die Konsumenten von Kokain, Crystal Meth und Pillen aller Art zum Markt geworden ist, das alles „bekommt man in der Hand gezeigt“.

Junge Konsumenten, viele Touristen

Für den Mann, der Kreuzberg seit 1990 gut kennt, hat sich die Entwicklung zum Drogengroßmarkt in den vergangenen vier Jahren verschärft. Es kämen vor allem junge Konsumenten, sagt er. Je angesagter Kreuzberg in der Ausgeh- und Feierszene sei, desto mehr Touristen kommen in den Park. „Wenn ich Kinder hätte, wäre ich schon weggezogen“, sagt er. Weil vor allem die jungen Araber „extrem aggressiv“ gerade gegenüber Frauen seien, halte seine Freundin sich generell vom Park fern.

In der vergangenen Woche legte die Polizei den Markt im Park zumindest abends für eine Weile still. Doch glauben auch die Ermittler selbst nicht an diese Strategie. Ein leitender Beamter spottet, die Razzien seien „Funken, die jetzt kurzfristig geschlagen werden“ – für die Öffentlichkeit. Ähnlich sieht es bei den Streifenbeamten aus: „Es wird eine große Welle gemacht, damit alle zufrieden sind“ erzählt einer und prophezeit: „Das schläft wieder ein“. Ein anderer Bereitschaftspolizist berichtet, dass den Beamten die Motivation fehle. Die Dealer im Park hätten immer genau die geringe Menge Drogen bei sich, die sie nicht hinter Gitter bringt. Nach einer Festnahme müssen die Personen dann sofort wieder freigelassen werden. „Die sehen wir dann im Park wieder.“

"Die Polizei wird nur verarscht"

„Mehr oder weniger wird die Polizei da nur verarscht“, sagt auch der ehemalige Drogenfahnder Karlheinz Gaertner. Der Görlitzer Park habe die Entwicklung genommen, die er von der Hasenheide kenne – bloß dass seine Kollegen bei ihren Einsätzen in Kreuzberg auch noch „übelste Beleidigungen“ zu hören bekämen, wenn sie jemanden festnähmen.

Am späten Nachmittag trifft Lorenz Rollhäuser auf einen alten Bekannten, einen Zahnarzt aus der Falckensteinstraße. Mit seiner Praxis ist er seit 1992 unverzichtbarer Teil der Kiezkultur, ein Stück sozialer Kitt für die, die nicht nur zum Feiern kommen. Wie so viele, die sich aufregen, möchte er seinen Namen lieber nicht nennen. „Im vergangenen Jahr wurde es immer schlimmer“, erzählt er aber. Seine Mitarbeiter, überwiegend Frauen, würden auf dem Heimweg ständig angemacht. Mal von den Dealern selbst, mal von der Klientel, die sie anziehen. „Na, jetzt haste Angst“, bekämen sie zu hören. Und ja, das hätten sie, sagt der Arzt. „Auch die Patienten“. Die meisten wollten nur noch tagsüber einen Termin. Es wird unwirtschaftlich. Auch er hat bei Bezirksbürgermeisterin Hermann vorgesprochen. Vergeblich. Er überlegt jetzt, die Praxis zu verlegen.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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