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Ekelprüfungen im Dschungelcamp: Dafür muss man nicht nach Australien reisen
Auf RTL werden derzeit wieder Hoden und Maden gegessen. Wer weiß, was Berliner Schnitzel und steirische Jakobsmuscheln sind, findet das gleich weniger exotisch.
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Das Dschungelcamp geht in die Schlussrunde, und der Ekel geht mit. Ein großer Teil der Einschaltquote dürfte weniger der schönen Persönlichkeit der Teilnehmer gelten als dem wohligen Schauder über das, was sie dort essen. Insekten, Maden – aber vor allem Tierteile, die noch kein deutscher Metzgermeister zu sehen bekam: Ziegenarschloch, Krokodilaugen, Warzenschweinhoden und Kudu-Penis. Die Teilnehmer werden dafür ordentlich bezahlt, der Lohn des Zuschauens besteht in der beruhigenden Gewissheit, so etwas selbst nicht runterwürgen zu müssen. Aber warum eigentlich?
Offenbar hat jeder Kulturkreis eine spezifische Ekelschwelle beim Essen eingebaut, die allerdings über die Jahrzehnte durchaus Veränderungen unterliegt. Manchmal basiert die Abscheu auf religiös begründeten Regeln, manchmal genügt der strenge Geruch und Geschmack bestimmter Teile vom Tier. Und Nahrungsmittel wie die oben erwähnten dürften generell einem Tabu unterliegen, denn auch der landläufige Australier, indigen oder nicht, liebt Steaks und Fisch und hat kein Interesse an seltsamen Körperteilen von Tieren, die im Dschungel wühlen. Erst eine ungewöhnliche Hungersnot könnte das ändern.

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Anders ist die Lage bei den Tieren, von denen wir uns ohnehin ernähren. Sie bestehen bekanntlich nicht nur aus Filet und Keule, sondern ganz überwiegend aus weniger gefragten Teilen, deren Bedeutung die „Nose to Tail“-Bewegung hervorgehoben hat. Ihr Erfinder, der britische Koch Fergus Henderson, warf damit die ethische Frage auf, ob der Respekt vor einem Schlachttier es nicht geradezu gebiete, alles davon aufzuessen, eben von der Nase bis zum Schwanz.
Quallen, Seegurken, Entenfüße
Es gab eine Welle von Sympathiebekundungen, aber mit den Nachahmern lief es wesentlich schlechter, selbst in Berlin, wo das Kreuzberger Restaurant „Herz und Niere“ 2020 nach immerhin sechs Jahren schloss und damit sein Konzept eines Innereienmenüs verwarf. Auch die Ameisen und Entenköpfe im Kopenhagener „Noma“ standen immer für die Grundüberzeugung der skandinavischen Küche, dass es keine schlechten Zutaten, sondern nur schlechte Küche gebe. Merke: Der Nimbus eines Restaurants hilft sehr, den Ekel zu überwinden, zumal, wenn das Menü so teuer ist wie die ganze Reise dorthin.
Wer im ländlichen Österreich unterwegs ist, beispielsweise in der Steiermark, der kann dort lernen, dass „Weiße Nierndln“ nicht ganz das sind, was sie scheinen. Sondern: Lammhoden in Scheiben, auch als „steirische Jakobsmuschel“ deklariert.
Bernd Matthies, Kulinarik-Experte des Tagesspiegels
Und es gibt schlechte Zeiten, in denen der Hunger den Speisezettel bestimmt. Kaum noch jemand weiß heute, was ein „Berliner Schnitzel“ ist, dabei handelt es sich um ein vor allem in der Nachkriegszeit populäres Gericht: Eine Scheibe vom gekochten Kuheuter, paniert und gebraten. Nachahmer dürften heute schon daran scheitern, dass Euter kaum noch zu bekommen ist, weil es in den Großschlachtereien aussortiert und zu Tierfutter verarbeitet wird.
Andere, nicht ganz so abgelegene Grundprodukte sind zumindest im süddeutschen Raum beim Handwerksmetzger noch verfügbar. Kutteln, also feingeschnittene Tiermägen, Lunge für das in der Euter-Zeit ebenfalls beliebte Lungenhaschee oder Kalbsnieren, eine Delikatesse aus der klassischen französischen Küche. Ein Sonderfall ist das Kalbsbries, die Thymusdrüse des Jungtiers, die immer wieder auf den Speisekarten von Gourmet-Restaurants auftaucht und im Allgemeinen so wenig Ekelgefühle auslöst wie eine Kalbs- oder Schweineleber.

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Wer im ländlichen Österreich unterwegs ist, beispielsweise in der Steiermark, der kann dort lernen, dass „Weiße Nierndln“ nicht ganz das sind, was sie scheinen. Sondern: Lammhoden in Scheiben, auch als „steirische Jakobsmuschel“ deklariert. Hirn, an sich eine große Delikatesse, ist während der BSE-Affäre Anfang des Jahrtausends in Verruf geraten, weil es im – wohl falschen – Verdacht stand, den „Rinderwahn“ auf den Menschen zu übertragen. Nicht zu den Innereien zählen knorpelige Teile wie Schweineschnauze oder Schweineohren, die im Alpenraum ebenfalls gegessen werden.
Sie spielen allerdings in anderen Küchenkulturen, vor allem in China, eine große Rolle, weil man dort ihre spezielle Konsistenz höher schätzt als den eigentlichen Geschmack. Deshalb liebt man dort auch Quallen, Seegurken, Entenfüße oder Schwimmblasen vom Fisch. Die Teile allerdings, die im Dschungelcamp serviert werden, dürften in kaum einer kulinarischen Kultur mit Genuss verspeist werden – zumal sie ungewürzt sind.
All das wäre für uns prinzipiell als Nahrungs- und sogar Genussmittel verfügbar. Aber selbst, wenn Neugier oder Moral den Ekel überwinden helfen: Wer soll das alles zubereiten? Denn schon am „Berliner Schnitzel“ sieht man, dass der Aufwand für Beschaffung und Zubereitung den eines normalen Schnitzels weit übersteigt. Köche lernen so etwas heute nicht mehr, und wenn sie es dennoch können, kostet die Zubereitung enorm viel Zeit, die sich im Preis niederschlagen müsste.
Noch einfacher könnten wir es uns machen, würden wir all diese Dinge in der Art des Dschungelcamps einfach roh herunterwürgen. Allerdings bleibt doch zu hoffen, dass keine Situation eintritt, die uns tatsächlich zu so etwas zwingt. In Berlin gibt es immerhin eine Möglichkeit, den Ekelreflex der Dschungelcamp-Insassen in Maßen nachzuempfinden: Das „Disgusting Food Museum“ in der Schützenstraße im Mitte zeigt in liebevoller Darbietung Scheußlichkeiten aus aller Welt und erklärt ihren Hintergrund. Und im Gegensatz zum TV-Klassiker gilt es sogar als „ökologischer und interkultureller Lernort“.
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