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Pro-Palästina-Demonstration in Berlin

© IMAGO/Pond5 Images/hanohiki

Fehlende Abgrenzung von Terrorfreunden: Das totale Versagen der Palästina-Solidarität

In neun Monaten gab es keine einzige Großdemonstration gemäßigter Pro-Palästinenser. Was stimmt mit denen nicht?

Sebastian Leber
Ein Zwischenruf von Sebastian Leber

Stand:

Als Journalist, der seit Oktober vergangenen Jahres wiederholt über Aufmärsche von Israelfeinden geschrieben hat, über antisemitische Entgleisungen und Aufrufe zum Auslöschen des jüdischen Staats, bin ich eine Frage mittlerweile gewohnt. Sie lautet: Warum berichten die deutschen Medien ständig über hasserfüllte Extremisten, aber nie über die vernünftigen, moderaten pro-palästinensischen Demonstrationen? Warum bitteschön werden die legitimen Proteste der Gemäßigten nicht abgebildet?

Die Antwort ist simpel: Weil es keine gibt.

Dabei wäre es für das pro-palästinensische Lager seit Beginn des jüngsten Gazakriegs so einfach gewesen, die Sympathien der deutschen Öffentlichkeit für sich zu gewinnen. Zum Beispiel mit Protesten für einen Waffenstillstand sowie eine friedliche Koexistenz an der Seite Israels. Es hätte Kongresse und Benefizkonzerte und Lichterketten organisieren können, die sich für das Leben der Zivilisten in Gaza einsetzen – bei denen Hamas-Unterstützer jedoch ebenso wenig willkommen sind wie Sprechchöre, die das Existenzrecht Israels bestreiten. Es hätte humanistisch geprägte Bündnisse schmieden können, die Terror klar verurteilen.

Nichts davon hat es in den vergangenen neun Monaten zustande gebracht. Was für ein Versagen.

Alle größeren Veranstaltungen, die in der Öffentlichkeit als „pro-palästinensisch“ firmierten, wurden von Menschen organisiert und wesentlich geprägt, die Israel das Existenzrecht absprechen. Dazu zählen die Proteste an den Universitäten, das Zeltlager auf der Reichstagswiese, der sogenannte „Palästina-Kongress“, Dutzende Großdemonstrationen und viele medienwirksame Störaktionen. Während Extremisten die Öffentlichkeit gesucht und gefunden haben, blieben die Gemäßigten, sollte es sie denn in Massen geben, massenhaft zu Hause.

Wieso haben Menschen, die nach eigenen Angaben lediglich an Frieden und dem Schutz der Zivilisten interessiert sind, ihr wichtiges Anliegen Extremisten überlassen? Wie konnten sie es hinnehmen, dass Islamisten, trotzkistische Kleinstgruppen und andere Sekten, darunter auch lupenreine Judenhasser, auf der Straße den Ton angeben?

Wie konnten die Gemäßigten den Extremisten die Straße überlassen?

Nun könnte man einwenden, dass die unsichtbare Mehrheit vernünftiger Pro-Palästinenser womöglich überhaupt nicht existiert, sondern reines Wunschdenken der deutschen Mehrheitsgesellschaft ist.

Man könnte dabei auf die eindeutigen Umfragen in den palästinensischen Gebieten verweisen, die ein ums andere Mal hohe Zustimmungswerte für die Hamas und deren Massaker vom 7. Oktober belegen. Und zwar nicht nur in Gaza, sondern auch im Westjordanland. Weshalb sollten die in Deutschland lebenden Palästinenser grundlegend anders ticken?

Die zweite Möglichkeit wäre, dass diese unsichtbare Mehrheit der Gemäßigten zwar existiert, sich aber nicht auf die Straße traut. Entweder aus Angst vor Repressionen durch pro-palästinensische Hardliner oder vor Ausgrenzung durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft.

Selbstverständlich kann man gegen Netanjahu demonstrieren

Dabei ist es doch gar nicht so kompliziert: Für Waffenstillstand zu demonstrieren ist ein gutes demokratisches Recht. Ebenso für dauerhaften Frieden und die bestmögliche Behandlung aller Zivilisten. Auch gegen die Netanjahu-Regierung zu demonstrieren und die dort vertretenen rechtsextremen Minister, stellt selbstverständlich kein Problem dar. Oder für einen palästinensischen Staat in friedlicher Koexistenz mit Israel. Dies alles sind legitime Positionen, deretwegen kein Demokrat von anderen Demokraten ausgegrenzt wird.

Nicht tolerierbar ist es hingegen, wenn

  • Demonstranten Terror bejubeln und Terroristen als Freiheitskämpfer verharmlosen,
  • die Auslöschung des jüdischen Staats fordern,
  • den demokratischen Staat Israel dämonisieren,
  • Juden beziehungsweise Israelis bedrohen, verunglimpfen und attackieren,
  • antisemitische oder antizionistische Verschwörungsmythen verbreiten,
  • Unterstützern Israels den Tod wünschen,
  • Israelis mit Hitler gleichsetzen,
  • Pressevertreter bedrohen und angreifen,
  • sich mit Islamisten gemein machen
  • und das Grundgesetz missachten.

In meinem Bekanntenkreis gibt es vereinzelt Menschen, die das nicht so eng sehen. Die sagen, man müsse die Aggressionen der Palästinenser und ihrer Unterstützer auf den Straßen bis zu einem gewissen Grad verstehen. Das sei eben Ausdruck von Frust und Wut. Die seien halt so.

Ich halte das für rassistisch. Mir fällt kein Grund ein, von Pro-Palästinensern weniger friedlichen und demokratischen Umgang zu verlangen als von anderen.

Mir fällt kein Grund ein, von Pro-Palästinensern weniger friedlichen und demokratischen Umgang zu verlangen als von anderen.

Sebastian Leber, Tagesspiegel

Verstörend auch, wie wenig Wissen im Lager der „Palästina-Solidarität“ über den eigentlichen Konflikt besteht. Zum Beispiel darüber, dass die Gemeinschaft der im britischen Mandatsgebiet lebenden Juden bereits 1947, noch vor der Gründung Israels, einer Zweistaatenlösung ausdrücklich zugestimmt hat. Dass dann jedoch zunächst palästinensische Milizen einen Bürgerkrieg gegen die jüdische Bevölkerung führten, und zwar nicht auf dem Gebiet des von der UN vorgesehenen Palästinas, sondern auf dem des künftigen Israels.

Israel wird als Grundübel der Menschheit dargestellt

Dass anschließend, als die palästinensischen Milizen scheiterten, arabische Nachbarstaaten das frisch gegründete Israel überfielen. Dass diese arabischen Staaten jedoch gar nicht die Gründung Palästinas anstrebten, sondern sich selbst Landstriche einverleiben beziehungsweise ihren innerarabischen Konkurrenten keine Landgewinne zugestehen wollten. Dass der Flucht und Vertreibung von 700.000 Palästinensern ebenso viele vertriebene Juden gegenüberstehen. Dass Israel auch nach dem gescheiterten Auslöschungsversuch durch seine arabischen Nachbarn bereit war, einen Palästinenserstaat anzuerkennen. Dass jüdisches Leben in arabischen Ländern heute kaum noch existiert und wegen Repressionen auch kaum existieren kann, umgekehrt aber 20 Prozent der Israelis arabischstämmig sind. Und so weiter.

Pro-Palästinenser erwähnen all dies nicht. Sie versuchen lediglich, Israel als Grundübel der Menschheit hinzustellen, das es dringend zu beseitigen gelte – und beschweren sich dann über Widerspruch.

Echte Solidarität sähe anders aus

Die Palästina-Solidarität in Deutschland ist auch gar nicht solidarisch mit den Bewohnern des Gazastreifens. Im Gegenteil: Sie verlängert das Leid der Zivilisten, weil sie – von manchen Aktivisten gewollt, von anderen vermutlich nicht – die Position der Hamas stärkt und diese lautstark zum Durchhalten und Weiterkämpfen ermutigt.

Wenn es über diese Bewegung etwas Positives zu berichten gibt, dann wohl nur, dass sie in den vergangenen neun Monaten ein eindrucksvolles Beispiel dafür abgegeben hat, weshalb es einen Staat Israel als Schutzraum für Jüdinnen und Juden braucht.

Natürlich kann niemand die Bewegung der sogenannten „Palästina-Solidarität“ dazu zwingen, sich endlich grundlegend zu ändern. Sie muss Geschichte nicht akkurat darstellen, muss sich nicht von Terroristen distanzieren, darf Hamas-Sympathisanten Podien und Lautsprecherwagen überlassen. Die „Palästina-Solidarität“ muss die Hamas nicht dafür kritisieren, dass diese sich in Krankenhäusern versteckt und Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht. Sie muss auch nicht von Regimen wie Ägypten und Katar fordern, endlich den Druck auf die Hamas zu erhöhen, damit sie alle Geiseln freilässt und sich aus Gaza zurückzieht.

Aber dann soll diese Bewegung bitte nicht behaupten, es gehe ihr in erster Linie um die Leben der Zivilisten.

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