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„Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“: Sibylle Wirsing 1973 im Tagesspiegel über Rosa von Praunheims Film erstmals in der ARD
Zum Tod des Regisseurs dokumentieren wir hier die Tagesspiegel-Rezension vom 17. Januar 1973 zur ARD-Premiere – ohne Bayerischen Rundfunk.
Stand:
Der Rosa-von-Praunheim-Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ fängt mit einer Liebesszene an. Zwei junge Männer sind zärtlich miteinander, sie sind ein Liebespaar im kleinbürgerlichen Wohnzimmer-Schlafzimmer voll scheuer, luxuriöser Erotik. Der Zuschauer, der Homosexualität nur als Fremdwort oder Tabuwort kennt, wird eine kurze Gefühlsrevolte während der ersten Sekunden oder halben Minuten durchstehen müssen.
Danach fasziniert der Film zuerst einmal durch eine Schönheit, für die ein Wort neu zu erfinden wäre: Sie ist sagenhaft. Sie ist das, was sich zum Beispiel Fellini in seinen Filmen soviel Mühe kosten läßt, Kunst, Traum und tiefe Trivialität in einem, aber ohne angestrengte Bizarrerie, einfach so.
Das Filmmilieu ist Berlin, Berlin so sehr Berlin, wie es ein Stadtfilm fassen kann. Wannseevilla und Park mit den schwulen Schönen, die langsam über den Rasen einhergehen. Das Strandbad Wannsee mit dem Wasser- und Uferblick — der Freund streicht, nein, streichelt dem Freund das Sonnenöl auf die Haut. Das ist Liebeshochsommer mit der Aussicht bereits auf Abschied, denn schon hat sich ein neuer Bewerber in Sichtnähe aufgebaut, wortlos und strotzend.
Dann die feinen schwülstigen Interieurs, die Liebe ist nicht nur schön, und die Begierde ist nicht nur jung. Der Treffpunkt der Ledermänner im Stadtpark — der Film zeigt und verschweigt, was die hier Nacht für Nacht durchstehen, an die Bäume gelehnt, um sich selber kreisend in den Zirkeln der Impotenz: arme Ritter. Die Papageienpracht der Tunten in den Bars und Cafés wird hier nicht übertrieben, denn es geht um keine Show. Auf den schnellen Abstieg in das Liebeselend kommt es den Filmemachern wohl vor allem an.
Der dürftigste Ort, die Bedürfnisanstalt, ist die letzte Kontaktstelle. In der Großstadt gibt es daran keinen Mangel. Die Schwulen kommen und gehen und gehen weiter und warten ab. So lernt sich die Routine und verlernt sich die Liebe.
Aber der schöne Film wollte doch nicht eigentlich gefallen, sondern aufklären. Das Fernsehen hat ihn nach langem Zögern seinen Zuschauern gezeigt, und in einer Diskussion, die sich mit heftigen Streitsequenzen anschloß, ist das. was der Film selber in manchmal beinahe skandalös preziösen Bildern vorgeführt hat, wörtlich ausgesprochen worden. Daß es nämlich keine Art sexueller Gemeinsamkeit oder Einsamkeit gibt, die, nur weil sie nicht allgemeiner Sitte ist, unsittlich wäre.
Pervers, der Filmtitel könnte es noch schärfer sagen, ist die Beschränkung der Sexualität auf wenige Spielarten, auf den bürgerlichen Familienakt und einige andere. Erst mit der Unterdrückung wird in den sexuellen Subkulturen die Übertreibung zur Gefahr und zur Not.
Der Film hat Verständnis für einige Liebesversionen bewirken wollen. Aber die Einsicht, die er anbot, ging darüber noch hinaus. Was Liebe nicht umhin kann zu sein, nicht nur die Liebe zwischen „Männern, sondern’ Liebe geriieintiirl und schlechthin, wurde am eigenartigen Beispiel sehr deutlich: ein Notstand des Glücks.
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