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Harald Martenstein.

© Thilo Rückeis

Makler-Soaps: Ich hab da was für Sie

Ist unser Autor jetzt verrückt? Er schaut im TV mit Begeisterung, wie andere Leute Wohnungen suchen. Hier bejubelt er den Sozialrealismus einer Makler-Soap.

Seltsamerweise kennt fast jeder diese Sendung. „Mieten, Kaufen, Wohnen“ läuft auf Vox. Am 6. Juni feiert der Sender die Folge Nummer 1000. Wenn man mal am Haken hängt wie ich, dann schaltet man immer wieder ein. Im Durchschnitt schauen so 1,3 Millionen Deutsche zu, die besten Quoten lagen bei knapp zwei Millionen. Das ist nicht herausragend, aber für diese Tageszeit ziemlich gut. Die Doku-Soap wird am frühen Abend gesendet, zwischen 17 Uhr und 19 Uhr. Als Thomas Gottschalk, der berühmte, große Thomas Gottschalk, im vergangenen Jahr bei der ARD eine Vorabend-Talkshow machte, hatte er nach zwei Wochen noch 1,2 Millionen Zuschauer, ein paar Wochen später waren es nur noch 600 000. Nach 70 Folgen wurde „Gottschalk live“ eingestellt.

Der kleine Privatsender Vox schafft also etwas, was der riesigen ARD mit all ihrem Geld und ihrem gigantischen Apparat nicht gelingt. Vox hat einfach eine Idee gehabt, eine neue, auf die vorher niemand gekommen war. Nun werden sicher manche denken, Privatfernsehen, die sind eben skrupellos. Die bieten Schrott an und senden unterhalb der Gürtellinie. Für „Mieten, Kaufen, Wohnen“ trifft das nicht zu. Es ist gutes Fernsehen.

Man sieht Leute, die Wohnungen oder Häuser suchen, zur Miete oder als Käufer. Sie besichtigen Immobilien. Dabei begegnen sie Maklern. Die Makler sind die Hauptfiguren dieser Doku-Soap, einige von ihnen sind recht originelle oder nette Typen, denen die Zuschauer Erfolg wünschen. Andere wirken durchaus ein bisschen unsympathisch.

Mit dem realen Immobilienmarkt von heute hat „Mieten, Kaufen, Wohnen“ allerdings wenig zu tun. Nie sieht man die Situation, die jeder kennt, der in Berlin auf Wohnungssuche ist, 50 oder 100 Menschen, die sich bei der Besichtigung gegenseitig auf die Füße treten und verzweifelt versuchen, den Makler oder die Maklerin für sich einzunehmen.

Auf Vox herrschen dagegen paradiesische Zustände. Es scheint für das jeweilige Objekt immer nur einen einzigen Interessenten zu geben, der Kunde scheint König zu sein, und es ist immer der Makler, der sich anstrengen muss. Niemals sagt der Makler, dass die Interessenten sich schnell entscheiden müssen, am besten sofort. Bei der Miete ist sogar manchmal noch was zu machen, nach unten, nicht etwa nach oben. Es ist eine Utopie und kein Sozialrealismus.

Seit einigen Monaten gibt es in Deutschland eine neue Steuer, obwohl sie offiziell nicht als Steuer bezeichnet wird. Jeder Haushalt bezahlt eine Abgabe für das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem, etwa 18 Euro im Monat. Im Gegensatz zu früher spielt es keine Rolle, ob jemand überhaupt einen Fernseher besitzt oder zum Beispiel nur Radio hört. Nun, wo jeder die Öffentlich-Rechtlichen mitfinanzieren muss, wird verstärkt über Qualität diskutiert. Warum kommt so selten etwas Originelles, Mutiges oder künstlerisch Interessantes in ARD und ZDF? Warum gibt es so viel Routine? Kritiker verweisen oft auf die innovativen Serien aus Amerika. Aber vielleicht muss man gar nicht immer über Spitzenleistungen reden. In jedem System sind Spitzenleistungen die Ausnahme. Das ganz normale „Mieten, Kaufen, Wohnen“ läuft seit 2008.

Warum wollen viele Leute das sehen? Jan Biekehör sagt, dass die Zuschauer ihre eigene Wohnung, gemietet oder gekauft, mit den vorgestellten Beispielen vergleichen. Wohne ich gut? Wohne ich günstig? Könnte ich eventuell etwas Besseres finden und mir sogar leisten? Wie wohnen andere Leute? Das interessiert doch jeden. Jan Biekehör ist der Redaktionsleiter. Er war Lehrer für Deutsch und Englisch, später beim NDR und dem ZDF, jetzt also bei Vox. Angefangen hat er dort mit Tiersendungen, zum Beispiel dem „Hundeprofi“ mit Martin Rüther.

Außerdem, sagt Biekehör, ist jeder Zuschauer fasziniert von den regionalen Unterschieden in Deutschland: „In Leipzig kriegst du für 1000 Euro Miete einen Palast, in Köln, wenn du Pech hast, nur ein finsteres Loch.“

Alle Wohnungen und Häuser sind tatsächlich auf dem Markt, die Preise stimmen. In dieser Hinsicht herrscht Sozialrealismus. Die Makler sind echte Makler. Ihre Kunden sind manchmal echt, hin und wieder treten auch Schauspieler auf. Die Wohnungen werden gelegentlich tatsächlich an die Darsteller vermietet, obwohl die vor der Kamera mit Handschlag besiegelten Abschlüsse auch schon an der nicht vorhandenen Bonität der Laiendarsteller gescheitert sind.

Vor dem Dreh, drei oder vier Tage pro Folge, wird der Ablauf grob festgelegt, eine Art Story wird entworfen, auf dieser Basis improvisieren die Darsteller. „Scripted Reality“ heißt das im Fachjargon. Die Storys entwerfen kleine Sittenbilder aus dem modernen Leben: das der alleinerziehenden Mutter, des insolventen Künstlers, des Rentnerpaars, einer späten Liebe, oder des schwulen Paars, mit spontanem Heiratsantrag im endlich gefundenen gemeinsamen Nest. Die Ähnlichkeit zur Grundidee der „Lindenstraße“ ist gelegentlich unübersehbar.

Bei Sendungen dieser Art spricht der Experte nicht von einem „Film“, sondern von einem „Format“. Alle Ausgaben ähneln sich, was ja auch, wenngleich in etwas weniger radikaler Weise, bei der „Tagesschau“ oder „Wetten dass..?“ der Fall ist. Es gibt keinen Regisseur und keine Regisseurin, sondern „Realisatoren“, die das immergleiche Rezept wieder und wieder anzurichten haben.

Drei Handlungsstränge, drei Wohnungen, drei Makler. Biekehör erklärt: „Das Entscheidende ist, dass die Zuschauer sich innerhalb von maximal 30 Sekunden zurechtfinden.“ Wer zufällig einschaltet und über einen durchschnittlichen Intelligenzquotienten verfügt, muss nach spätestens 30 Sekunden wissen, worum es geht – welches Thema, welcher Konflikt, welche Figuren. Das klingt simpel, nach Fließbandproduktion, ist aber im Einzelfall schwierig zu machen. Das Einfache ist ja für den Hersteller leider oft schwieriger als das Komplizierte.

Für die individuelle Note sind die Makler zuständig. Einige sind in ihren Städten kleine Stars geworden, wie die Leipzigerin Hanka Rackwitz, ein ehemaliges Model mit Witz und betont freakigem Auftreten, bei der man eher auf den Beruf Nachtbarbetreiberin oder irgendwas im Cannabishandel tippen würde. Toto Russello aus dem Saarland ist Gelegenheitsitaliener. Seinen normalerweise nicht erkennbaren Migrationshintergrund kann er in schwierigen Verhandlungssituationen anknipsen wie eine Lampe, dann hat er plötzlich diesen reizenden Akzent und den Italo- Charme. 40 Makler treten auf, viel Geld kriegen sie nicht für ihre Auftritte, aber der Andrang ist groß, obwohl im Internet zahlreiche Makler über das Format lästern.

„Mieten, Kaufen, Wohnen“ belebt das Geschäft. Unter die Kunden mischt sich gelegentlich auch sogenannte C-Prominenz: Costa Cordalis verkaufte sein Haus – das Schlafzimmer ist extreme Geschmackssache! –, das Nacktmodell Micaela Schäfer suchte eine Bleibe, und dass Udo Walz mitmachte, versteht sich wohl von selbst. Auch auf Mallorca wird gedreht. Florida, angeblich zu langweilig, war in Wirklichkeit wohl zu teuer.

So ist alltägliches Privatfernsehen, das, worüber selten geschrieben wird und worüber niemand sich als angeblichen Skandal aufregt. Es ist keine große Kunst, es wird billig gemacht, aber es steckt eine gute Idee dahinter – und es zeigt, wenn man so will, ein Stück vom deutschen Alltag. Es ist es nicht trashig, niemand wird bloßgestellt, niemand isst vor laufender Kamera Hoden vom Känguru.

Man lernt sogar etwas über den hiesigen Wohnungsmarkt, nur die verharmlosende Darstellung des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage kann man der Sendung vorwerfen. Man kann es ihr aber vielleicht auch verzeihen. Zurzeit laufen bereits Verhandlungen mit Sendern im Ausland, „Mieten, Kaufen, Wohnen“ gehört zu den wenigen deutschen Fernsehideen, für die man sich auch anderswo auf der Welt interessiert.

Eigentlich könnte so etwas auch bei ARD oder ZDF laufen. Dann hätten die Öffentlich-Rechtlichen am Vorabend kein Problem mit der Quote mehr. Dazu müssten sie nur die Idee gehabt haben – und den Mut, etwas Neues auszuprobieren.

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