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Internet-Enquete: Regierungskoalition verhindert Netzneutralität

Die Bundestagsenquete wollte empfehlen, Netzneutralität im Gesetz zu verankern. Die Koalition hat das verhindert. Opposition und Sachverständige sind verärgert.

Wie ist die Haltung des Bundestages zum Internet? Eine eigene Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" versucht das seit mehr als einem Jahr zu klären. Und was bisher aus ihr zu vernehmen war, klang nach guten Debatten. Es klang nach der Bereitschaft, sich mit dem Netz auseinanderzusetzen und nach dem Willen, einen Konsens zu finden und Beschlüsse zu fassen, die ein freies und offenes Netz garantieren – zum Nutzen aller.

Doch der Wille zu Konsens und Kooperation endet offensichtlich, wenn es um das wichtige Thema Netzneutralität geht.

Eigentlich wollte die Enquete am Montag sogenannte Handlungsempfehlungen für den Bundestag beschließen. Eine davon sollte lauten, die Neutralität des Internets in einem Gesetz festzuschreiben, ähnlich wie es in den Niederlanden gerade geschehen ist. Dazu aber kam es nicht, die Entscheidung wurde mit 17 gegen 16 Stimmen auf September vertagt.

Das klingt nicht dramatisch und ist letztlich normales parlamentarisches Geschäft. Die Umstände aber sorgten bei vielen Beteiligten und Beobachtern für Unmut, wirkte die Sitzung doch wie ein Filibuster der Koalition aus Union und FDP: wie der Versuch einer gezielten Verzögerung und Blockade, um eine nicht genehme Entscheidung zu verhindern.

"Das ist sehr durchsichtig", sagte die Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC) Constanze Kurz, die als Sachverständige Teil der Enquete ist. Die Regierungskoalition wolle verhindern, dass sich die Enquete für Netzneutralität ausspricht. Ähnlich sieht es Markus Beckedahl, Mitgründer des Vereins Digitale Gesellschaft und des Blogs netzpolitik.org und ebenfalls Sachverständiger. Die Koalition habe keine Mehrheit für ihre Haltung gegen die Netzneutralität gesehen und daher die gesamte Abstimmung verhindert. In seinen Augen eine "Schmierenkomödie", die durchaus "einen kleinen Demokratieschaden" verursacht habe.

Auch Abgeordnete von SPD, Grünen und Linkspartei warfen der Koalition "taktische Spielchen" vor, mit denen sie eine Entscheidung für die Netzneutralität verhindern wolle.

Schon seit einiger Zeit ist deutlich, dass die Enquete nicht so harmonisch arbeitet, wie es den Anschein hat. Eigentlich sollte die Kommission nach der Hälfte ihrer Amtszeit einen Zwischenbericht vorlegen. Der enthielt aber nicht wie erwartet inhaltliche Schlussfolgerungen zu Themen wie Netzneutralität oder Datenschutz, sondern war lediglich ein Tätigkeitsbericht, in dem beschrieben wurde, worüber geredet wurde. Und auch darin zeigten sich bereits Zerwürfnisse. Die Ergebnisse in Form von Handlungsempfehlungen hatte die Enquete eigentlich bis zum Sommer nachreichen wollen.

Das wurde nun auf den Herbst verschoben. "Die stimmen solange ab, bis ihnen das Ergebnis passt", sagt Beckedahl. Und Kurz findet, dass das "die gesamte Enquete ad absurdum führt". Immerhin sei es die ihr vom Bundestag übertragene Aufgabe, einen Konsens zu finden und eine Entscheidung zu fällen.

Dem öffentlichen Ansehen der Kommission dürfte die Debatte nicht gedient haben. Zumindest auf Plattformen und in Foren im Internet wurde sie bislang mit Interesse beobachtet. Und sie wurde durchaus als Versuch der klassischen Politik ernst genommen, sich mit dem Netz auf Augenhöhe auseinanderzusetzen.

CCC-Sprecherin Kurz warf nun der Koalition während der Sitzung vor, sie agiere wie "Trolle", und kündigte an, sie werde von ihrem Recht Gebrauch machen, ein Sondervotum zu schreiben –  also einen wie auch immer gearteten Konsens der Projektgruppe nicht mittragen und eine Minderheitenmeinung zu Protokoll geben.

Einige der 17 Sachverständigen diskutieren, ob sie ihre Arbeit in der Enquete niederlegen sollen. Das käme einem Abbruch der Verhandlungen zwischen "Netz" und "Politik" gleich.

Die Tatsache, dass die Enquete zuvor mit knapper Mehrheit durchaus progressive Beschlüsse gefasst hat, könnte angesichts dieses Streits leicht untergehen. Daher sei erwähnt, dass die Kommission dem Gesetzgeber unter anderem empfiehlt, das Urheberrecht grundlegend zu überarbeiten und an die digitale Gesellschaft anzupassen. So solle ein Recht auf Privatkopie verankert werden. Das begrenzte Kopieren für Freunde, das für Platten und CDs gelte, müsse auch bei Downloads im Internet möglich sein.

Die Enquete empfiehlt außerdem, illegales Kopieren nicht mit dem Entzug des Internetzugangs zu bestrafen. Entsprechende Pläne werden seit Jahren unter dem Namen "three strikes" diskutiert. Die Kommission empfahl der Bundesregierung nun, "keine Initiativen für gesetzliche Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen zu ergreifen".

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