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Queere Personen erfahren in der katholischen Kirche viel Diskriminierung.

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Update

Viel Unterstützung für Initiative #OutInChurch: 125 Bedienstete der katholischen Kirche outen sich als queer

„Wie Gott uns schuf“: In einer ARD-Doku sprechen Dutzende Katholiken im Dienst der Kirche darüber, queer zu sein. Sie erhalten viele Solidaritätserklärungen.

Wie ist es, über Jahre, über Jahrzehnte eine Liebe in der Öffentlichkeit verstecken zu müssen? Jedes mal auf der Straße rasch voneinander Abstand zu nehmen, wenn Gemeindemitglieder oder der Pastor entgegen kamen? Zu fürchten gar, dass man angezeigt oder denunziert wird?

Marie Kortenbusch und Monika Schmelter müssen schlucken. Ihnen kommen die Tränen. Sie sind zwei der Protagonistinnen in der TV-Doku „Wie Gott uns schuf“, indem sich am Montag erstmals LGBTIQ-Menschen im Dienst der katholischen Kirche outen – das „größte Coming-out in der Geschichte der Katholischen Kirche“, wie es Mit-Autor Hajo Seppelt bei einer PK in der vergangenen Woche nennt.

Es ist wahrlich ein historischer Schritt: Mehr als 100 Gläubige im Dienst der katholischen Kirche in Deutschland sprechen offen darüber queer zu sein. „Ich bin schwul.“ Und das ist auch gut so, möchte man beispielsweise bei Jesuitenpater Ralf Klein aus dem Hochschwarzwald hinzufügen, der mit seiner Homosexualität nach den Bestimmungen der katholischen Kirche ebenso wenig hätte Priester werden dürfen wie das lesbische Paar Kortenbusch/Schmelter Mitarbeiterinnen der katholischen Gemeinde.

Erleichterung und auch ein bisschen Stolz schwingen mit in ihren Ausführungen. Motivation sei es jetzt, mit jungen Menschen, die sich (noch) nicht zu outen wagten, solidarisch zu sein.

Mit der Initiative „#OutInChurch – Für eine Kirche ohne Angst“ und der TV-Doku outen sich Katholiken und Katholikinnen als lesbisch, schwul, bi, trans*, inter, queer und non-binär. Unter ihnen Priester, Ordensbrüder, Religionslehrende und Kindergärtnerinnen, die bereits in der Vergangenheit öffentlich gemacht haben, queer zu sein, aber auch viele, die den Schritt erst jetzt wagen. In „Wie Gott uns schuf“ berichten sie exemplarisch von Diskriminierungserfahrungen, jahrelangem Versteckspiel und der ständigen Angst, dass ihr Doppelleben auffliegen könnte. Parallel dazu wird ein Manifest veröffentlicht, in dem sie Forderungen an die Kirche stellen.

Solidaritätserklärungen am Montag

Rund 20 katholische Verbände und Organisationen solidarisierten sich am Montag mit der queeren Initiative. „Es darf nicht länger hingenommen werden, dass Menschen in kirchlichen Kontexten aus Angst gegenüber Kirchenvertreter*innen ein Schattendasein führen müssen, wenn sie nicht dem von der Kirche normierten Geschlechterbild entsprechen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die unter anderem das Präsidium des Zentralkomitees der deutschen Katholiken unterzeichnet hat.

Sven Lehmann (Grüne), der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, sagte zu der Initiative: „Ich habe großen Respekt vor diesem Mut." Es habe bereits in den vergangenen Jahren „erste zarte Ansätze" für mehr Offenheit in der katholischen Kirche gegeben, denen aber jahrhundertelange Dogmen" gegenüberstehen würden. Er hoffe, dass durch #OutInChurch weitere Schritte in Richtung Akzeptanz in der Kirche angeregt werden.

Wegen der enormen Resonanz hat die ARD den Film inzwischen vorgezogen - und strahlt ihn am Montagabend zur Primetime um 20 Uhr 30 aus statt wie ursprünglich geplant um 22 Uhr 50. In der ARD-Mediathek ist der Film bereits hier zu sehen, genauso wie Einzelinterviews mit den mehr als 100 Gläubigen.

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Ein System der Willkür

Für die Dokumentation in der ARD hatten sich Hajo Seppelt, Katharina Kühn, Marc Rosenthal und Peter Wozny zwei Jahre lang mit dem Thema befasst, auf der Suche nach Antworten bis hinein in den Vatikan – und Menschen, die es wagen, sich vor der Kamera zu outen. Seppelt, sonst eher mit Sport-Dokus bekannt, früher Ministrant, wandte sich mehr und mehr von der Kirche ab, erzählt er, als er 2013 von Papst Benedikts frauenfeindlichen Äußerungen hörte. Sein Impetus: „Jetzt reicht’s“

Das haben sich auch die Mitwirkenden der TV-Doku gedacht. In dieser tritt in der katholischen Kirche ein System der Willkür zutage, das seine Mitglieder im Unwissen darüber lässt, was geschieht, wenn sie offen mit ihrer Queerness umgehen. Einige fürchten arbeitsrechtliche Konsequenzen, andere wurden in der Vergangenheit dazu gezwungen, ihre Sexualität oder Geschlechtsidentität geheim zu halten, um im kirchlichen Dienst bleiben zu dürfen. 

Wenn Menschen in der katholischen Kirche öffentlich machen queer zu sein, drohen Arbeitskonsequenzen.
Wenn Menschen in der katholischen Kirche öffentlich machen queer zu sein, drohen Arbeitskonsequenzen.

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Die 125 queeren Personen wollen die katholische Kirche nicht verlassen, sondern sie verändern, deshalb gehen sie kollektiv den Schritt in die Öffentlichkeit – in Solidarität mit anderen „LGBTIQ Personen in der römisch-katholischen Kirche, die dafür (noch) nicht oder nicht mehr die Kraft haben“ und Menschen, die weitere Formen der Diskriminierung erfahren.

Jens Ehebrecht-Zumsande vom Erzbistum Hamburg gehört neben Pfarrer Bernd Mönkebüscher zu den Initiatoren. „Als ich im vergangenen Februar beim Frühstück saß und die ,Süddeutsche Zeitung’ aufgeschlagen hatte, ist mir die ,Act-Out’-Kampagne ins Auge gestochen. Mein erster Gedanke war: Das brauchen wir auch für die katholische Kirche.“

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Zwei Wochen später nahmen 90 Leute an einer Videokonferenz zum Thema teil. „Wir haben gemerkt, wie groß die Angst bei vielen ist. Deshalb hat es ein Jahr gedauert.“  Ehebrecht-Zumsande sieht neben der „queerfeindlichen Atmosphäre“ das größte Problem in der arbeitsrechtlichen Situation: Mitarbeitende in katholischen Institutionen müssen sich im privaten sowie im beruflichen Umfeld an Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre halten. „Damit werden bestimmte Grundrechte für LGBTIQ Personen ausgehebelt. In dem Moment, wo ich meinen Partner heirate, kann es mich meinen Job kosten.“

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Das liege vor allem an der sogenannten Loyalitätsklausel, die besagt, dass Mitarbeitende zu Loyalität gegenüber der katholischen Lehre verpflichtet sind. Teil dieser ist die Behauptung, dass Sexualität außerhalb der heterosexuellen Ehe eine Sünde sei, nicht praktiziert werden dürfe. „Verfassungsrechtlich ist das gedeckt. Das ist ein Skandal. Es braucht eine politische und gesellschaftliche Diskussion darüber, dass Mitgliedern der katholischen Kirche fundamentale Menschenrechte verwehrt werden.“

Transition wird nicht anerkannt

Für trans Personen sei die Lage noch prekärer: „Sie sind der Willkür der Bischöfe ausgeliefert. In der Lehrmeinung der Kirche ist Transgeschlechtlichkeit nicht existent.“ In der Doku kommt ein Religionslehrer zu Wort, der trans ist. Selbst nach dem Personenstandswechsel wird er von der Kirche, seinem Arbeitgeber, weiter als Frau angesprochen. Seine Transition wird nicht anerkannt.  

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In einem parallel zur Fernsehdokumentation erscheinenden Manifest stellen die Unterzeichner*innen der Initiative konkrete Forderungen: Sie wollen eine „Kirche ohne Angst“, in der sie offen leben und arbeiten können und in der queeren Personen der Segen Gottes sowie der Zugang zu den Sakramenten nicht verweigert wird.

Gefordert wird eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts

Weiter fordern sie eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts. Darauf ging auch der Queer-Beauftragte Sven Lehmann am Montag ein. Wie im Koalitionsvertrag der Ampel angekündigt, werde die Bundesregierung auf mit der Kirche in einen Dialog gehen, damit das kirchliche Arbeitsrecht mit dem staatlichen gerade im Bereich der Antidiskriminierung gleichgestellt wird. Das sei angesichts vieler offener rechtlicher Fragen aber keineswegs trivial.

Ehebrecht-Zumsande hofft, dass die Initiative weiteren Menschen Mut macht. „Wir sprechen hier von Personen, die Mitte 50 sind und sich zum ersten Mal vor ihrer Familie geoutet haben. Wir haben lange gewartet, bis wir genug Menschen zusammen haben, damit der Einzelne keine Angst haben muss, seinen Job zu verlieren.“ Trotzdem gebe es viele, die sich nicht trauten, bei der Initiative mitzumachen.   

Eine TV-Doku auf jeden Fall, die aufhorchen lässt. Das Team um Hajo Seppelt hat nach eigenen Angaben die Bischöfe aller 27 Bistümer um Stellungnahmen gebeten. Alle lehnten ab oder reagierten nicht – bis auf den Aachener Bischof Helmut Dieser. Der sagt: „Ich habe dazugelernt, ja, das kann ich ganz freimütig sagen.“ Im Namen der Kirche entschuldige er sich für Verletzungen.

Ein Bischof bietet ein Gespräch an

Nach dem Bekanntwerden der Aktion #OutinChurch am Montag äußerte sich auch der Hamburger Erzbischof Stefan Heße. „Ich habe Respekt vor den Menschen, die sich in dieser Aktion zu ihrer sexuellen Orientierung bekennen“, teilte Heße mit. „Eine Kirche, in der man sich wegen seiner sexuellen Orientierung verstecken muss, kann nach meinem Dafürhalten nicht im Sinne Jesu sein.“ Vor Authentizität und Transparenz dürfe und solle es keine Furcht geben.

Heße bot den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern der Initiative aus dem Erzbistum Hamburg ein Gespräch an. Er verwies zudem auf den derzeit laufenden Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland, den Synodalen Weg. Die dortige Diskussion zum Thema Sexualität sollte „zu einer Weiterentwicklung der kirchlichen Sexualmoral und auch des kirchlichen Arbeitsrechts führen“, forderte der Erzbischof.

Zu den Unterzeichner*innen des Manifests gehört aber kein Bischof, was Ehebrecht-Zumsande schade findet. „Wenn jemand prominent ist, hat er meist eher den Schutz der Öffentlichkeit.“ Umso wichtiger sei es, dass Mitarbeitende, denen diese Plattform fehlt, die als Lehrerin in einer Grundschule oder als Pastor in einer Gemeinde tätig sind, nötigen Schutz erhalten. Genau den möchte die Initiative „#OutInChurch“ gewährleisten.
„Wie Gott uns schuf“, Montag, ARD, 20 Uhr 30

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