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Almuth Schult überzeugt: Der beste Experte bei dieser EM war eine Frau

Schweinsteiger, Mertesacker, Hyballa, Boateng: zig Experten, zig Meinungen. Was bei der EM im TV schief gelaufen ist und was gut.

Welche Bilder werden bleiben von dieser Fußball-Europameisterschaft? Ein reines Fernsehsportereignis wie die in zwei Wochen startenden, zuschauerlosen olympischen Spiele in Japan war und ist die „Euro 2020“ ja nicht.

Mehr als halb volle Stadien, in denen Reporter, Moderatoren und Experten wie gewohnt ihr Analyse-Glück versuchten. Dazu ungezählte Stunden in den Studios von ARD und ZDF ums Spiel herum, zu denen weitere öffentlich-rechtliche TV-Experten fast in Mannschaftsstärke anrückten.

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Mertesacker, Kramer, Schult, Boateng, Kuntz, Wagner, Hyballa, Ballack, samt diverser Zusatzexperten aus aller Herren Länder (Bjarne Goldbæk, Gaizka Mendieta) – das macht eine Kakophonie von Meinungen, Ansichten, Stellungnahmen.

Dem Zuschauer zu Hause vor dem Bildschirm gab es das Gefühl, alles und nichts zu wissen über diese Europameisterschaft, die am Sonntagabend mit dem Finale England gegen Italien im Zweiten zu Ende geht. Bleiben drei Punkte, die ARD und ZDF schon für Olympia, aber auch für die Fußball-WM in Katar Ende 2022 zu wünschen sind.

Selbstverständlich Frauen

Klar, das EM-Finale im ZDF übernimmt Oliver Schmidt, nicht Claudia Neumann (auch nicht Béla Réthy, der seit 1996 jedes Endspiel, welches das ZDF zeigte, machen durfte und nächstes Jahr in Rente geht).

Erstmals wird am Sonntag aber eine Frau ein EM-Finale für die ARD im Radio kommentieren. Reporterin Julia Metzner hofft, dass die Frage nach männlichen oder weiblichen Journalistinnen „beim nächsten großen Turnier“ keine Rolle mehr spielt. Wie recht sie hat.

Die ZDF-Reporterin Katrin Müller-Hohenstein (rechts) und die Experten Christoph Kramer (mitte) und Per Mertesacker.
Die ZDF-Reporterin Katrin Müller-Hohenstein (rechts) und die Experten Christoph Kramer (mitte) und Per Mertesacker.

© ZDF und Torsten Silz

Metzner unterstützt Quoten im Sportjournalismus. Das muss es jetzt vielleicht nicht sein. Es wäre schön, wenn eine ZDF-Reporterin wie Claudia Neumann ihren Job machen könnte, ohne auf Social Media von Hasskommentaren begleitet zu werden. Das ist nicht nur unlike „Euro 2020“, das ist Euro 1880.

Es müsse auch in der Fußballberichterstattung möglich sein, dass gar nicht über Mann oder Frau nachgedacht werde, dass es einfach um die Qualität einer Person gehe, sagt Almuth Schult. „Ich glaube, viele Männer haben noch im Kopf, dass Frauen keine Ahnung vom Fußball haben. Es wäre schön, dieses Vorurteil aufzubrechen.“

EM ohne Hasskommentare? ZDF-Reporterin Claudia Neumann soll einfach ihre Arbeit machen können.
EM ohne Hasskommentare? ZDF-Reporterin Claudia Neumann soll einfach ihre Arbeit machen können.

© imago sportfotodienst

Entschlackung der Expertenrunde

Wo wir gerade bei Frauen und Almuth Schult sind. Die 64-malige Nationalspielerin und Torhüterin vom Vfl Wolfsburg war an der Seite von Moderator Alexander Bommes im Ersten so etwas wie die Fernseh-Gewinnerin dieser EM. Schlagfertig, kompetent, authentisch, unvergessen ihr Lachanfall im Studio auf eine Bemerkung des neben ihr sitzenden Kevin Prince Boateng („Mats Hummels ist so lange im Game“).

Liebe ARD, lasst den netten Stefan Kuntz in Ruhe die U21 trainieren, holt am besten noch den unerschrockenen Christoph Kramer vom ZDF dazu, und das Erste wird mit einer Art Experten-Doppel-Sechs, dem Duo Schult/Kramer und mehr Witz, scharfen Analysen und Plattitüden-frei bei der WM in Katar zum Kritiker- und Zuschauerliebling. Nie mehr „Ich sach mal...“.

Die Frage bei Bastian Schweinsteiger ist, ob sein Vertrag mit der ARD bis zur WM in Katar Ende 2022 unangetastet bleibt.
Die Frage bei Bastian Schweinsteiger ist, ob sein Vertrag mit der ARD bis zur WM in Katar Ende 2022 unangetastet bleibt.

© dpa

Das steht dem medialen Trend entgegen, noch jedes x-te müde Gekicke durch die x-te Aussage hochzujazzen, um damit die Minuten um die Werbung herum bis zum nächsten Spiel aufzufüllen. Das eingesparte Geld aus dem Sport für ein ausgefallenes halbes Dutzend Experten samt Anreise und Honorar lässt sich in der ARD doch sicher auch in die Abteilung Kultur (Stichwort: ausgefallene Bücherrubrik) umverteilen.

Nachfolger gesucht

Bleibt die Frage, besser gesagt, die Aufregung um den Vorzeige-Experten im Ersten.  So oft Bastian Schweinsteiger von Moderatorin Jessy Wellmer in den vergangenen EM-Wochen kumpelhaft gelobt wurde – der Erkenntnisgewinn von Schweinis Analysen ist sehr überschaubar.

ZDF Expertin Almuth Schult sollte noch mehr in den Blick rücken.
ZDF Expertin Almuth Schult sollte noch mehr in den Blick rücken.

© WDR/Guido Rottmann

Das beweist wieder einmal, dass große Spieler keine großen Experten sein müssen (ganz zu schweigen von der unseligen Schleichwerbe-Geschichte um eine dicke Uhr an Schweinis Handgelenk samt abgesetzter und später gelöschter Werbetweets). Es ist nichts besser geworden im Vorzeige-Expertenwesen des Ersten seit dem Abgang von Günter Netzer und Mehmet Scholl.

[„sportstudio live - Euro 2020: Finale Italien gegen England, Sonntag, ZDF, ab 20 Uhr 15. Mit Jochen Breyer, Per Mertesacker und Christoph Kramer]

Wobei die Urteilskräfte des Letzteren seit seinem Wechsel zu bild.de gelitten haben. Aber wer kriegt das mit (ebenso wie Kerners EM-Einsätze bei Magenta)? Schweinsteigers Vertrag mit der ARD läuft bis zur WM in Katar Ende 2022. Lassen wir das doch mit der Suche. Es muss nicht immer der eine große Name sein.

Medien glauben, davon zu profitieren, Menschen in den Fokus zu stellen, gerade beim Showzirkus Fußball. Deutschland gegen England haben 27,4 Millionen Zuschauer gesehen. Die sind auch ohne Schweinsteiger dabei. Angenehm wäre ein Experten-Modell à la Dänemark bei dieser Euro: schlagkräftig ohne Stars. Vorschlag zur Schweinsteiger-Nachfolge: keiner. Das unergiebige Nachgefrage am Spielfeld entfällt. Der neue Bundestrainer Hansi Flick wird sich freuen.

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