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Andrij Melnyk, damals Botschafter der Ukraine in Deutschland.

© dpa / dpa/Michael Kappeler

„Anne Will“ zur erwarteten ukrainischen Offensive: Melnyk spricht von „Hoffnungsschimmer“ – und warnt vor „Erwartungsdruck“

Die Talkrunde diskutierte die Aspekte der erwarteten ukrainischen Frühjahrsoffensive. Klar wurde vor allem: Der Krieg wird dauern, die Unterstützung muss langfristig sein.

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Die Stimmung im Studio von „Anne Will“ war gedämpft, ja ernst. Wie auch anders, das Thema verlangte danach: „Gegenoffensive der Ukraine - Kann sie die Wende im Krieg bringen?“ Es war, als würden sich die Gäste in einem Kartenraum der Militärs befinden und sich Strategien für die nächsten Wochen und Monate überlegen.

Gut gerüstet

Nicole Deitelhoff, Expertin für Internationale Beziehungen, Friedens- und Konfliktforscherin, sah die Ukraine „gut gerüstet“, zugleich sei Russland auf die Offensive vorbereitet. Das war Konsens in der Runde. Jeder hoffte auf den militärischen Erfolg der Ukrainer, aber ob er kommt und vor allem wann, dazu wagte keiner eine präzise Ansage.

Andrij Melnyk, der Vize-Außenminister der Ukraine und ehemalige Botschafter in Deutschland, sprach mit Blick auf die anstehende Gegenoffensive von einem „Hoffnungsschimmer“ und warnte zugleich vor einem „Erwartungsdruck“. Die ukrainische Armee erwarte eine „Herkulesaufgabe“. Melnyk, bekannt für seine Attacken auf Bundesregierung und Bundeskanzler, hielt sich deutlich zurück. Vielleicht, weil sein Präsident Wolodymyr Selenskyj in Berlin erwartet wird, vielleicht weil er, wie er sich ausdrückte, wirklich „dankbar“ ist für die Unterstützung aus Deutschland.

Der frühere Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, zeigte sich als größter Realist und damit als größter Pessimist in der konzentrierten Runde. Es sei sehr wahrscheinlich, dass es Tage, Wochen, Monate dauern werde, bis sich die Lage für die Ukraine verbessern werde. „Das ist ein langfristiger Prozess, der weiter langfristige Unterstützung nötig macht.“

Das ist ein langfristiger Prozess, der weiter langfristige Unterstützung nötig macht.

Wolfgang Ischinger

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken wollte jeden Zweifel zerstreuen, dass die Bundesregierung, dass Bundeskanzler Olaf Scholz es an dieser Unterstützung fehlen lassen werde. „As long as it takes“, betonte sie mehrfach, auch deswegen, weil der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen Olaf Scholz wieder als „Zögerer“ darstellen wollte, „dabei geht es um Europa, um uns alle“.

Röttgen und Esken verhakten sich bei dieser Frage in Angriff und Verteidigung, aber es war nicht zuletzt die umsichtige Moderatorin Anne Will, die die deutsche Parteipolitik nicht zur entscheidenden Perspektive der Diskussion werden lassen wollte. Denn sie machte dem Publikum klar, was alle am Krieg Beteiligten erwartet: wahrscheinlich ein Abnutzungskampf mit Gewinnen mal auf der einen, mal auf der anderen Seite. Vor allem aber: ein Krieg mit ungewisser Länge, mit ungewissem Ausgang.

Vielleicht ist das am meisten zu fürchten: Gewöhnung, Überdruss, Nachlassen der Bereitschaft, die Ukraine zu unterstützen. Das wurde allseits bestritten, zugleich klargemacht, dass insbesondere mediale Relevanz zu politischer Relevanz führen würde. Der Krieg als Dauerthema, damit die Deutschen weiterhin Waffen, Munition und Ausrüstung liefern? Ischinger sprach, sehr zurückhaltend, aber doch von einer notwendigen „Kriegswirtschaft“. Über diese Aspekte, die mentalen wie die finanziellen und die Auswirkungen auf den Wohlstand in Deutschland, könnten sich weitere Talkrunden beugen.

Andrij Melnyk jedenfalls sah bei aller Dankbarkeit die Notwendigkeit, dass die Unterstützer der Ukraine nach der Munitions- und Panzer-Allianz noch eine Allianz bei der Lieferung der Kampfjets bilden sollten. Mehr noch: Ein Prozent der Bruttoinlandsprodukte sollte in den militärischen Support gehen. Eine große Herausforderung, wo Deutschland schon darum kämpft, zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Bundeswehr aufzubringen.

Der Talk verzichtete darauf, wohlfeile Lösungen zu formulieren. Aber jeder und vor allem Sendungen wie „Anne Will“ sind nach Aussage von Nicole Deitelhoff mit der Aufgabe konfrontiert, „den Rückhalt in der Bevölkerung hochzuhalten, wenn die Offensive versagt“. Das Fernsehen, die Medien als Kriegsmedien, als Propagandamaschinen? Darüber muss gesprochen werden.

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