zum Hauptinhalt
Überlebt als Einziger die von ihm selbst betreute Therapiegruppe: Bei Dr. Adrian Goser (Martin Wuttke) weiß man nicht, welches Chaos die vielen Drogen schon in seinem Hirn angerichtet haben.

© HR/Bettina Müller

Der „Tatort“ aus Frankfurt: Blutiges Kammerspiel und ein Trip ins Jenseits

Bei einer Drogentherapie sterben mit Ausnahme des Therapeuten alle Teilnehmer. Der „Tatort“ berauscht sich diesmal am Thema Psycholyse.

Eigentlich kein schlechtes Zeichen: Theater und „Tatort“, Bühnenkunst und Fernsehunterhaltung, beides geht zusammen. Man sieht das zum Beispiel am Schauspieler Martin Wuttke, der so ziemlich in jedem bedeutenden Theater im deutschsprachigen Raum Eindruck hinterlassen hat. Beim „Tatort“ spielte er von 2008 bis 2015 21 Mal den Leipziger Kommissar Keppler und darüber hinaus in wenigen, ziemlich speziellen Folgen.

Seine erste Nebenrolle hatte er zum Beispiel in „Ein Hauch aus Hollywood“ (1998) mit Kommissar Roiter (Winfried Glatzeder). Die experimentelle Episode schockierte die Verantwortlichen beim Sender Freies Berlin (SFB) derart, dass sie den Film erst an einem späten Montagabend dem Publikum präsentierten, was für die sagenhaft niedrigste Einschaltquote aller „Tatort“-Zeiten (1,11 Millionen) sorgte.

Bei seinem letzten „Tatort“-Auftritt im Dezember 2015 spielte Martin Wuttke den kurz zuvor in der Krimireihe ausgemusterten und deshalb finanziell klammen Schauspieler Martin Wuttke – in der wilden Murot-Folge „Wer bin ich?“

Man muss also auf einiges gefasst sein, wenn der gebürtige Gelsenkirchener seinen Charakterkopf-Schädel mal wieder in die Kamera hält. Insofern hält die am Sonntag angesetzte Frankfurter Folge „Leben Tod Ekstase“, was sie mit der Besetzung des Drogentherapeuten Dr. Adrian Goser durch Martin Wuttke verspricht. Nachdem sich Gosers sechsköpfige Therapiegruppe unwissentlich den Trip ins Jenseits eingeworfen hat, artet auch die Tatort-Begehung in dessen Villa in ein blutiges Kammerspiel aus.

Statt ausgefeilter Krimi-Logik setzt Regisseur und Drehbuch-Autor Nikias Chryssos („Der Bunker“) bei seinem „Tatort“-Debüt auf schwarzen Humor und bizarre Einfälle in einer buchstäblich berauschenden Geschichte.

Nur Anna Janneke, gespielt von Wuttkes Ex Margarita Broich, und Paul Brix (Wolfram Koch) bleiben inmitten dieses Strudels aus Wahnsinn cool. Wie üblich stehen Kommissarin und Kommissar für unterschiedliche Haltungen: Während sich die ehemalige Polizeipsychologin Janneke interessiert an Gosers Arbeit zeigt, gibt Brix den Gegenpart, der wenig Verständnis für die „verdammten Freaks“ aufbringt.

Wer sich von dem Psycho-Geschwurbel der Therapeuten-Figur nicht abschrecken lässt, erlebt einen Martin Wuttke in Hochform. Der 60-Jährige spielt diesen Therapeuten wunderbar wolkig und uneindeutig, mal naiv, mal arrogant – ein Psycholyse-Guru, bei dem man nicht sicher sein kann, ob er seine in Bestseller gegossenen Weisheiten selbst glaubt. Rilkes „Panther“ rezitiert er einwandfrei, und über Leben und Tod weiß er schlagfertig zu philosophieren. Andererseits erscheint es gut möglich, dass die vielen Drogen in seinem Hirn bereits ein hübsches Chaos angerichtet haben.

halluzinogene Substanzen: eine Steilvorlage für Krimi-Autoren

Das Drehbuch von Nikias Chryssos und Michael Comtesse stützt sich auf die reale, freilich umstrittene Praxis der Psycholyse, bei der halluzinogene Substanzen zu Therapiezwecken eingesetzt werden. Das ist natürlich eine Steilvorlage für einen Krimistoff, der passenderweise mit zunehmender Dauer immer abgedrehter wird.

Logisch: Auch bei der Drogen-Einnahme setzt die Wirkung erst nach und nach ein. Vorher gibt es aber den obligatorischen Info-Block, denn Janneke und Brix lassen beim Bier in Fannys (Zazie de Paris) Bar die Kulturgeschichte halluzinogener Substanzen Revue passieren lassen. Ganz konventionell nach klassischem Drehbuch-Dreisatz, wonach jede Geschichte einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben muss, wird es dann ab der Hälfte des Films turbulent.

Die Wendungen dürfen in einem solchen Film, in dem Wahnvorstellungen eine Rolle spielen, durchaus haarsträubend sein. Aber der Film kippt immer mehr ins Aberwitzige, während die Geschichte eigentlich von einer schrecklichen Tragödie handelt. Ellen Jensen (stark: Aenne Schwarz) war als Kind entführt, eingesperrt und erst nach 18 Tagen freigekauft worden.

Von der Drogentherapie erhoffte sie sich die Überwindung des Traumas. In der Goser-Gruppe lernte sie den ehemaligen Bundeswehr-Soldaten Syd (Frederik von Lüttichau) kennen. Beide gelten als vermisst, ihre Geschichte wird in Rückblenden erzählt.

Die Inszenierung ist selbst eine Art psychedelischer, farbenprächtiger Trip, bei dem Regisseur Chryssos die Villa als in sich geschlossene, von der Realität „entrückte“ Welt zu nutzen weiß. Wie gemacht für Wuttkes Wahnsinnsspiel. „Tatort – Leben Tod Ekstase“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false