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Zurück in seinem Kiez: Nabil (Kida Ramadan) hat nicht mehr lange zu leben.

© ARD Degeto/Tim Rosenbohm

Regiedebüt von Kida Khodr Ramadan: Hart, aber herzlich

„In Berlin wächst kein Orangenbaum“ als wuchtiges Ghetto-Drama: Der Schauspieler Kida Khodr Ramadan hat erstmals Regie geführt.

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Es gibt Darsteller, die bedürfen für ihre Figuren nicht vieler Worte. Robert Mitchum, Marlon Brando, Charles Bronson waren solche Präsenzschauspieler, deren Anwesenheit für sich sprach. Fernab von Hollywood befindet sich in dieser illustren Runde auch ein Deutscher: Kida Khodr Ramadan. Seit er 2006 den Durchbruch als einsilbiges Gangmitglied in Detlef Bucks Ghetto-Thriller „Knallhart“ feierte, gehört der Berliner aus Beirut zum Stamm-Ensemble dieser Gattung schweigsamer Raumfüller.

Schon deshalb darf man ihm hoffentlich bald in der vierten Staffel von „4 Blocks“ dabei zusehen, wie sein Toni Hamady mit stummer Miene Neukölln regiert. Filmcharaktere wie diese überzeugen schließlich nicht durch Labern, sondern mit Taten. Aber 17 Minuten ohne einen Laut? 17 Minuten Grabesstille? Null Silben, nur Mimik? („In Berlin wächst kein Orangenbaum“, Dienstag, ARD, 22 Uhr 50).

Das ist sogar für Kida Khodr Ramadan viel – und womöglich damit erklärbar, dass er sich die Sprechpause selber verordnet hat. Mit „In Berlin wächst kein Orangenbaum“ feierte der preisgekrönte Schauspieler 2020 sein Regiedebüt. Anfangs hat er sich dort striktes Sprechverbot erteilt.

Gleich zu Beginn zoomt, nein: kriecht die Kamera von Ngo The Chau in aller Ruhe auf das trotzig-traurige Gesicht des verurteilten Mörders Nabil Ibrahim, der hat, wie der Libanese im Knastkrankenhaus erfährt, nur noch wenige Wochen zu leben. Nabil hat Krebs im Endstadium. Ihm droht der Tod hinter Gittern. Zumindest, wenn er seinem Anwalt (Tom Schilling) nach fast 15 Jahren Gefängnis das Einverständnis zur vorzeitigen Entlassung unterschreibt und damit auch den fürsorglichen Wärter (Torsten Merten) zufrieden macht.

Alle für einen, aber der schweigt – so geht es in dem Film noch eine Weile weiter, als die Hauptfigur nach der Begnadigung bei Ivo (Stipe Erceg) auftaucht, um den Anteil seiner Beute abzuholen. Mit ihr war der serbokroatische Kleinganove einst abgehauen, nachdem er einen Polizisten erschossen und Nabil mit der Leiche zurückgelassen hatte.

Der tosende Lärm seiner Heimatstadt

Ramadan, das beweist er im Verlauf einer Story um alte Sünden und junge Folgen – ein verheimlichtes Kind seiner Freundin Cora (Anna Schudt) und den Versuch, Juju (Emma Drogunova) nach 18 Jahren Abwesenheit näherzukommen –, kann sehr wohl mit Sprache arbeiten. Er macht es nur nicht dauernd. Und das ist auch gut so.

Denn die melancholischste Gangstervisage des deutschen Films schafft es aus eigener Produktion (Rusch & Ramadan) und nach eigenem Drehbuch (mit Juri Sternburg) fast im Alleingang, der Erzählung des sterbenskranken Einsiedlers Nachdruck zu verleihen.

Dieser geflüchtete Schulabbrecher, der es aus Kreuzbergs Hip-Hop-Szene übers Kino ins Fernsehen schaffte und dort längst schon nicht mehr wegzudenken ist, schildert mit seiner Teilnahme allein oft mehr als 1000 Worte. Mehr noch: Als Regisseur kitzelt der 44-jährige Bürgerkriegsflüchtling nicht nur aus sich, sondern fast allen am Set so viel Wirklichkeit heraus, dass die Grenze zur Doku fast verschwimmt.

Besonders die deutschrussische Berlinerin Emma Drogunova profitiert dabei von Ramadans zurückhaltender Intensität. Dass die prollige Tochter einer alleinerziehenden Alkoholikerin in der brandenburgischen Provinz virtuos Cello spielt, weil der verschollene Vater angeblich Geiger gewesen sei, ist zwar ein ähnlich deutsches Melodramen-Luftschloss wie das Tempo, mit dem sie nach der ersten Begegnung kindliches Vertrauen zu ihm fasst.

Mal abgesehen von ein paar folkloristischen Klischees über Migranten und Brennpunkte aber, die im komplett übergeigten Actionfinale münden, teilt sie Kida Khodr Ramadans Talent zur nonverbalen Kommunikation und macht den Film ungeheuer beeindruckend.

So beeindruckend wie die Atmosphäre höchst authentischer Kulissen, die womöglich gar keine sind: der alltägliche Rassismus am Asia-Imbiss, die mittwochs geschlossene Kleinstadtapotheke, das tonlose Brüllen verwaister Zonen einer dystopischen Provinz, der tosende Lärm seiner Heimatstadt – all so was muss sich ein Gewächs verwilderter Lost Spaces nicht von Location-Scouts erklären lassen. Ramadan fühlt sie im Innersten und bringt ihre Atmosphäre glaubhaft zum Ausdruck. Mal mit Worten, meist schweigend, aber trotz aller Klischees so wahrhaftig wie der ganze Film.

Jan Freitag

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