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Ohne den Hass im Netz hätte es Pegida nicht gegeben, sagt Anetta Kahane, Gründerin und Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung.

© Nadine Lindner/dpa

Hasskommentare: Im Internet tobt der Abwehrkampf gegen die Moderne

Ohne Hass im Netz hätte es Pegida nicht gegeben. Die digitale Zivilgesellschaft muss mit völlig neuen Strategien politischer Bildung dagegenhalten, sagt die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung.

Dieser Text ist Teil unserer Debatte zu Hasskommentaren im Internet. Weitere Beiträge finden Sie hier.

Noch nie war so viel Hass unterwegs. Gegen Flüchtlinge und Einwanderer, gegen People of Color, gegen Schwule, auch gegen Behinderte, kurz: der Hass im Netz richtet sich gegen die Idee der Emanzipation im Allgemeinen. Es ist, als wollten die Hasser einen Zustand wiederherstellen, wie er vor Jahrzehnten war.

Noch nie haben diskriminierte Gruppen so viele Rechte erkämpft wie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Denken wir nur an das Frauenbild der 1950er Jahre oder an den Umgang mit Homosexualität. Erinnern wir uns daran, welche Erleichterungen es seit damals für Behinderte gegeben hat. Der Umgang mit Migranten und People of Color hat sich ebenfalls verändert.

Gewiss reicht das lange nicht, doch rassistische Grobheiten und Diskriminierungen sind öffentlich weitgehend geächtet. Und zumindest im Westen Deutschlands leugnet niemand mehr ernsthaft die Tatsache, dass wir in einer Einwanderungsgesellschaft leben. Auch hier hat es einige Fortschritte gegeben, auch hier entstand Normalität. Die Welt insgesamt ist kosmopolitischer in ihren Ideen und der Mobilität der Menschen geworden.

Die Menschheit insgesamt kämpft um die Ausformung ihrer Rechte, um Bildung, Gesundheit und Partizipation und sehr viel mehr Menschen als jemals zuvor profitieren bereits von dieser Entwicklung. Damit jedoch kommen global, national oder regional nicht alle klar, besonders in den Ländern des weißen Wohlstands. Die Ausdifferenzierung von Minderheitenrechten scheint mit ihren eigenen Privilegien zu kollidieren. Und das erzeugt eine Menge Wut.

Hasser im Netz sind meist Männer, die ihren Einfluss bedroht sehen

Es ist eine Art Abwehrkampf gegen die Moderne, innerhalb der Gesellschaften der weißen Industriestaaten und global. Die emanzipatorische Idee der Gleichwertigkeit, die immer mehr Gruppen einschließt, ist einer der entscheidenden Trigger für die modernen Erscheinungsformen des Hasses, wie wir ihn in den sozialen Netzwerken finden.

Die Frage also, ob mehr Hass unterwegs ist, kann getrost mit Ja beantwortet werden und das liegt nicht allein am Medium Web 2.0 und seiner Dynamik. Es ist gewiss eine Binsenweisheit, doch sie wurde ausgiebig untersucht: Meist handelt es sich bei den aktiven Hassern im Netz um männliche Weiße, die Gruppe also, deren traditionelle Stellung und Einfluss besonders bedroht scheint. Das uralte Selbstverständnis der traditionellen und wohlhabenden weißen Gesellschaften, sich selbst als kreatürlich allen anderen überlegen zu sehen, wird nach und nach durch die Realität untergraben. Das erzeugt Abwehr, die psychologisch und politisch durchaus nachvollziehbar sein mag, doch aus der historischen Erfahrung eher ein Rückzugsgefecht darstellt.

Narzisstische Kränkungen, Aggressionen, Konkurrenzverhalten, Überlegenheitsphantasien, die daraus entstehen, finden in Internetforen und sozialen Netzwerke ein leicht zugängliches Ventil. Der Hass auf Minderheiten muss politisch bekämpft, in seinem historischen Kontext verstanden und psychologisch analysiert werden. Anders lassen sich angemessene Antworten kaum finden.

Ohne die sozialen Netzwerke hätte es Pegida nicht gegeben

Das Medium Web 2.0 hat unsere Kommunikation und Wahrnehmung revolutioniert. Bis dahin konsumierten wir Informationen und tauschten uns nur in einem kleinen Kreis darüber aus. Seit dem Web 2.0 kann jeder seine Meinung kundtun, sie verstärken, Gleichgesinnte sammeln, sie inspirieren und aktivieren oder sogar zu Gewalt ermutigen. Besonders leicht gelingt dies bei emotionsgeladenen Themen. Und Hass ist eine gewaltige Emotion. Die Abwehr gegen Minderheiten, gepaart mit der als Genderwahn bezeichneten Herablassung gegenüber Frauen birgt einen enormen Druck in sich.

Das hatte er bereits vor dem Web 2.0, doch seitdem konnte er sich in Kreisen Gleichdenkender steigern und erreicht eine breite Öffentlichkeit. Die Blasen, in denen sich Menschen im Web bewegen, suggerieren wiederum, dass alle so denken und das gibt ihnen weiteren Auftrieb. Eine aggressive Sprache und die Eskalation durch Worte haben ihren Ort im Web 2.0, gehen aber auf die Offlinewelt über. Pegida ist ein typisches Beispiel dafür. Ohne die sozialen Netzwerke hätte es Pegida nicht gegeben. Die Menschen haben sich dort getroffen, ausgetauscht, radikalisiert, indem immer noch einer draufgesetzt wurde und sind dann auf die Straße gegangen.

Nicht Google und Facebook sind Schuld, sondern die Hass auf die Straße tragen

Auch in Zeiten als Pegida nicht demonstrierte, war immer dort die Anzahl von Anschlägen und Überfällen besonders hoch, wo regional über die sozialen Medien gehetzt wurde. Politische Einstellung und Medium zusammen machen den Hass gefährlich. Es wäre also Unsinn, dem Medium allein die Gefährlichkeit zuzuschreiben und die gesellschaftspolitische Gesamtsituation außer Acht zu lassen.

Mit anderen Worten: Nicht Google und Facebook sind Schuld an der Entwicklung, sondern diejenigen, die den Hass auf die Straße tragen. Wenn also Politik und Gesellschaft beabsichtigen dagegenzuhalten, reicht es nicht, die NPD zu verbieten oder Hate-speech unterbinden zu wollen. Und nein, das Internet verschwindet nicht wieder, es bleibt und entwickelt sich. Die Erfindung und Entwicklung des Internets bedeutet nicht weniger Veränderung und Umbruch auf der Welt, als es die industrielle Revolution einst tat.

Wir brauchen eine politische Pädagogik, die der Logik des Netzes folgt

Diese Herausforderung muss verstanden und angenommen werden, denn sie beeinflusst alle Lebensbereiche. Dazu gehören auch die Bildung und die Fragen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, welche Werte wir teilen und verteidigen. Bedauerlicherweise sind derzeit die Hasser, Rassisten, Antisemiten und Rechtsextreme deutlich engagierter in Netz als es die digitale Zivilgesellschaft ist. Das muss sich ändern, wenn wir dem Hass Einhalt gebieten wollen.

Derzeit formieren sich neue Initiativen und Gruppen, die Diskriminierungen entgegentreten, doch brauchen sie um erfolgreich zu sein digitale Strategien und nicht nur die Übertragung von Offlinestrategien in das Internet. Es reicht nicht, klassische politische Bildung online zu stellen, sie ist dafür denkbar ungeeignet. Das Netz ist – wie der Name schon sagt - vernetzter, dialogischer, dynamischer. Will man in die sich selbst genügenden ideologischen Blasen des Hasses eindringen, braucht es mehr als nur die reine Wissensvermittlung. Gewiss wird sie immer Bestandteil der Auseinandersetzung sein, reicht aber nicht aus.

Wir brauchen neue Qualifikationen, die Fähigkeit der direkten Ansprachen und Diskussion, neue Formen von Inputs, technische Kenntnisse und eine Pädagogik die der Logik des Internets folgend, demokratische Formen und Standards vermitteln kann. Nehmen wir ein Beispiel: Im Netz wird in zahllosen Unterseiten und Themenbereichen gegen Flüchtlinge gehetzt. In Foren tauchen gezielt Lügengeschichten über Straftaten auf, besonders abscheulich – Vergewaltigungen und Kindesmissbrauch.

Um solcher verleumderischer Hetze entgegenzutreten, benötigen die User Techniken in kritischer Quellenanalyse, Diskussionsführung, Konflikt- und Kampagnenfähigkeit, Mobilisierung und Kenntnisse darüber, ob und wie im Falle strafrechtlich relevanter Inhalte juristischen Instrumente eingesetzt werden können.

Wir müssen die digitale Zivilgesellschaft weiterentwickeln

Die digitale Zivilgesellschaft ist neu und jung und beschäftigt sich noch nicht ansatzweise genug mit demokratischer Kultur und Minderheitenschutz im Netz. Wenn die großen Propagandaplattformen des Hasses weiterhin über ihre sozialen Medien unwidersprochen Aktivisten rekrutieren, Bedrohungsdruck erzeugen, Shitstorms anzetteln und Meinungsführerschaft suggerieren können und dabei technisch versiert, aktiv mit professioneller Ansprache vorgehen und uns dazu nichts anderes einfällt, als allein mit Verboten zu operieren, wird sich der Hass weiter ausbreiten.

Diese Entwicklung aufzuhalten geht nur, wenn in die digitale demokratische Zivilgesellschaft investiert wird. Deshalb muss die Politik dafür die Bedingungen schaffen und die Gesellschaft hier unbedingt deutlich aktiver werden.

Anetta Kahane ist Gründerin und Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung. Die Amadeu-Antonio-Stiftung beteiligt sich an der von Bundesjustizminister Heiko Maas gegründeten Arbeitsgruppe, die gemeinsam mit Facebook Strategien gegen Hasskommentare entwickeln soll.

Anetta Kahane

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