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Letzter Affront: Ein Bericht über die Zustände in einem Ost-Berliner Polizeirevier besiegelte 1986 das Aus für die Staatliche Filmdokumentation.

© RBB

RBB-Doku "Der heimliche Blick": In den No-Go-Areas der DDR

Ein RBB-Film zeigt unveröffentlichte Ausschnitte aus Aufnahmen der Staatlichen Filmdokumentation. Sie zeigen die DDR, wie sie war, nicht wie sie die Staatsführung sehen wollte.

Für die Bürger der DDR gab es zwei Wahrheiten, die offizielle und die private. In der „Aktuellen Kamera“ und von der Defa wurde der Arbeiter- und Bauernstaat so gezeigt, wie er nach Ansicht von Partei- und Staatsführung aussehen sollte. 16 Jahre lang wurde aber auch die andere, private Wahrheit dokumentiert. Im Auftrag des Kulturministeriums hielt die Staatliche Filmdokumentation (SFD) am DDR-Filmarchiv von ihrem Stammsitz am Rosenthaler Platz aus zwischen 1970 und 1986 fest, wie die DDR wirklich war, nicht wie sie sein sollte. Insgesamt 300 Filme umfasst die einmalige Sammlung. „Ein großer Schatz, den man sonst so gut wie nie findet“, meint Karl Griep vom Bundesarchiv. In Berlin-Hoppegarten lagert dieser Schatz nun bei 12 Grad Celsius und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit. Erst ein Forschungsprojekt hat die Restaurierung des weitgehend ungesehenen Filmmaterials ermöglicht.

Im RBB-Film „Der heimliche Blick – Wie die DDR sich selbst beobachtete“ haben Thomas Eichberg und Holger Metzner die Arbeit der SFD dokumentiert. Anlass für die Gründung des kleinen Studios war, dass von vielen Persönlichkeiten der mittleren Ebene aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst keine Filmaufnahmen existierten, sagt Wolfgang Klaue, Gründer und Leiter des SFD. Einer von ihnen war in Rostock für die Umwandlung der bäuerlichen Betriebe in LPGs zuständig. Häufig brauchte es dafür mehr als nur moralischen Druck, erinnert sich der Funktionär im Film und lächelt verschwörerisch zu den beiden Interviewpartnern. „Die hätten lieber Haus und Hof angesteckt als in die LPG zu gehen“, berichtet er der SFD. Einem Dorf, das kollektiv nach Schweden ausreisen wollte, wurde in Sassnitz der Zutritt zur Fähre verwehrt.

Fürs offizielle DDR-Fernsehen war Prenzlberg eine No-Go-Area

Die SFD-Aufnahmen waren für das sozialistische Publikum der Zukunft gedacht. Diesen Zuschauern sollte später das Negative und Hässliche, das man überwinden wollte, ungeschminkt gezeigt werden. Allerdings umfasste die monatliche Benzinration der SFD nur 70 Liter, sodass die meisten Aufnahmen in direkter Nachbarschaft im Scheunenviertel entstanden. Oder in Prenzlauer Berg. Fürs offizielle DDR-Fernsehen war dies wegen des desolaten Zustands von Straßen und Häusern eine No-Go-Area, erinnert sich eine ehemalige SFD-Reporterin.
Die Ideen von Wolfgang Klaue und seinem Team gingen ohnehin weit über die Möglichkeiten des real-existierenden Film-Sozialismus hinaus. So gab es den Plan, hochrangige Mitglieder der Staatsführung einmal einen Tag lang zu begleiten. Doch die Sondierungen wurden bereits in sehr frühem Stadium abgebrochen. In der Folge wandte sich die Filmdokumentation der Alltagsrealität der Bürger unter anderem im ambitionierten Projekt „Berlin-Totale“ zu. In den schwarz-weißen Filmausschnitten sieht man feiernde Menschen, wie sie schunkelnd um einen Tisch sitzen, darauf diverse alkoholische Getränke. In einem anderen Bericht schiebt eine Frau einen Einkaufswagen an einem gut gefüllten Regal vorbei. Langzeitbeobachtungen wie die eines Rentnerehepaares – verdiente Arbeiter, denen es jetzt durchs Dach der Mietwohnung regnet – oder eines frisch verheirateten Paares, das gerade einen Ehekredit beantragt, gehören ebenso zum Fundus wie Aufnahmen von Menschen am Rande der Gesellschaft.

Für die SFD war 1986 Schluss. Der Staatsführung behagten die Aufnahmen von aufmüpfigen Untertanen und über den ungebremsten Zulauf der Kirchen nicht mehr. Das letzte Kapitel der DDR konnte der SFD darum nicht mehr dokumentieren, den „ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden“ rettete das jedoch nicht. Kurt Sagatz
„Der heimliche Blick – Wie die DDR sich selbst beobachtete“, RBB-Fernsehen, Dienstag, 22 Uhr 45

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