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ulrich mühe

© dpa

Todestag: Pathos, messerscharf

"Jetzt bin ich allein“: Ein Porträt zum ersten Todestag des Künstlers Ulrich Mühe.

Nun ist dieser Tod schon ein Jahr her und ist doch nicht glaubhafter geworden seitdem. Am 22. Juli 2007 ist der Schauspieler Ulrich Mühe gestorben, und 3sat widmet ihm heute einen ganzen Abend.

Der Dokumentarist Christoph Rüter, im Frühjahr 1989 schon auf den Spuren Heiner Müllers unterwegs, wurde damals zum Kamerazeugen der „Hamlet“-Proben am Deutschen Theater. Hamlet: Ulrich Mühe. Regie: Heiner Müller. Weder Rüter noch die Beteiligten wussten, dass da etwas ganz Großes entstand. Theatereigene Skeptiker waren ohnehin eher für Abbruch: Das wird doch nie was! Und dann ging statt Hamlet – „Es ist etwas faul ...“ – noch während der Proben die DDR unter. Zur Premiere war die DDR bereits Beitrittsland und Ulrich Mühe spielte die Rolle seines Lebens. Zu seiner Gedenkfeier hatte er sich den Film gewünscht, den Rüter damals zwischen Bühne und Straße drehte: zweimal Proben für ein ganz großes, ungeheures Stück. Allein schon wegen dieser Passagen lohnt Rüters Porträt.

Er nennt Mühe einen „Extremschauspieler“. Welches Extrem? Nahm er das Theater als Sport? Mühe war auf dem Theater einer der Letzten, der wusste, dass die Kunst die große Erbin der Metaphysik und Religion ist und beide in sich aufgenommen hat. Die Zone, wo die drei aneinander flüssig werden – gar in einem einzigen Menschen – ist kein guter Aufenthaltsort. Für Mühe war es der natürlichste. Er spielte die allergrößte Künstlichkeit als das Elementarste. Er spielte das absolute Innen, die Bereiche, zu denen wir eigentlich keinen Zugang haben, als das absolute Außen. Geist übersetzt Körper. Körper übersetzt Geist. Mag sein, dass das manchem „extrem“ erscheint.

Eine böse Ahnung auch klingt mit in diesem Wort: Wo dieser Schauspieler am meisten er selbst war, auf der Höhe seiner Kunst, könnte er für zeitgenössische Gemütslagen vielleicht schon befremdlich wirken. Dieses ungeheure messerscharfe Pathos, dieses schutzlose Sich-Aussetzen. Man kann das heute Abend gut überprüfen. Die eigentliche, noch immer nicht wahrgenommene Tragik dieses Schauspielers lässt sich in „Jetzt bin ich allein“ nur erahnen. Vielleicht hat Rüter sie auch ganz im Titel versteckt.

Nicht nur, dass jeder für sich allein stirbt. Nach 1990 war die Bühne, auf der Mühe stand, eine andere. Man sieht ihn einmal auf die Bretter des Deutschen Theaters klopfen, als wolle er sie prüfen. Er sagt „Heiliger Boden“, aber er verschweigt, dass es kein Resonanzboden mehr war. Die alten Stücke, die sich früher zur brennender Aktualität hochspielen ließen, schienen ihm – mitten in einer Konsumgesellschaft – nur noch Dekor. Er hatte Angst vor ihnen, er mied sie bald. Und als er, der in der ZDF-Serie „Der letzte Zeuge“ dieses Fernsehgenre mehr als nur rettete, wieder bereit war fürs Theater, wieder bereit für Berlin, ging es ihm wie seinem Hölderlin in „Hälfte des Lebens“: Sie konnten ihn nicht mehr brauchen. Sie, die Theater dieser Stadt. Gut, dass Ulrich Mühe das Remake seines Films „Funny Games“ nicht mehr miterleben musste. „Extremkino“, würde Christoph Rüter wohl sagen, und gerade deshalb ist ein Remake wie Verrat.

„Jetzt bin ich allein“ spannt einen weiten Stücke-und-Kino-Bogen, in dem wohl jeder etwas anderes vermissen wird, aber das ist normal. Rüter gewann Mühes Bruder Andreas, der Kürschner geworden ist wie die Eltern, als guten Begleiter durch das Leben des anderen. „Jetzt bin ich allein“ kommt natürlich zu diesem End- und Höhepunkt, zu diesem beispiellosen Erfolg, über den Mühe sich doch nie freuen konnte. Von Heiner Müller zu Henckel von Donnersmarck. Der Off-Kommentar, stets in der Tonlage höchster Unbeteiligtheit, spricht von der „grandiosen Performance eines Stasimannes“. Lässt sich etwas Falscheres sagen?

Im Anschluss zeigt Arte die Wiener Aufzeichnung von „Drei Mal Leben“, inszeniert von Luc Bondy. Aus Angst vor dem „Extremschauspieler“? Es ist eins dieser Stücke, die Mühe auch spielte. Die man schnell wieder vergisst, sogar Bondy und Mühe, als sie sich – in Rüters Film – auf der Straße treffen: Der Name der Hauptfigur fiel ihnen schon beiden nicht mehr ein.

„Jetzt bin ich allein“, 20 Uhr 15; „Drei Mal Leben“, 21 Uhr 15, beides 3sat

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