zum Hauptinhalt
From Dusk till Dawn: Der nimmermüde Andy Borg und sein "Silvesterstadl" raubt Autor Joachim Huber fast den Schlaf

© dpa

Silvester im TV: Soll ich jetz' den Knaller zünden?

Das TV-Programm an Silvester ist meist peinlich: Stadl-Sause mit Andy Borg hier und Supermegacountdownhits dort. Dazwischen gibt's nur die Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin. Trotzdem bleibt das Silvester-Programm im Gedächtnis: Vier Erinnerungen zwischen peinlich bis traurig

An 364 Tagen im Jahr mühen sich die Sender redlich, Zuschauer vor die Glotze zu ziehen. Doch an einem Tag, diesem einen letzten, da gibt es nur ein fades Nichts, versteckt hinter Superlativen: Die ultimativ-explosive Silvesterstadtl-Mega-Countdown-Show! Aber manchmal, da ist Silvester im TV doch ein bisschen mega. Oder zumindest die Erinnerung daran. Vier persönliche Rückblicke:

Geisterstunde mit Andy Borg

Silvester ist eine Mutprobe. Kurz vor Jahreswechsel rasen die vergangenen zwölf Monate vorbei. Verluste/Gewinne, Liebe/Hass, Freunde/Feinde, es wird saldiert, dass die Synapsen klappern. Und dann kommt immer einer auf die Idee und schaltet den Fernsehapparat ein. Das Erste, weil es immer das erste Programm ist auf der Fernbedienung. Das neue Jahr soll auf die Sekunde genau begrüßt werden. Also wird immer vor der Zeit eingeschaltet. Ein Fluch, denn im Ersten tobt der „Silvesterstadl“. Andy Borg rast durch die Kulissen, fröhlich bis zum Exzess.

Das ist sein Auftrag, das ist mein Schicksal. Borg bringt jede Stimmung auf unter null. Aber er ist der Mann der Zeit, er sagt, was die Uhr gleich schlagen wird. In den schlimmsten Halluzinationen verschmelzen Borg und Chronometer. Erst kurz vor zwölf gibt es Erlösung, das Feuerwerk. Der Borg ist gegangen, das neue Jahr kommt. Aber wer nicht aufpasst, den holt der Andy wieder ein. Nach der letzten Rakete am Brandenburger Tor tobt der „Silvesterstadl“ weiter. Wieder der Wettlauf gegen die Zeit: Wer schaltet als Erster weg? Ist der Bildschirm kalt, ist das der erste Vorsatz des neuen Jahres: Nie wieder Borg, nie wieder Silvester, nie wieder Krieg. (Joachim Huber)

Livestream zu den Traubenessern

In Spanien essen sie Trauben: Autorin Sonja Álvarez zappt sich extra in den Livestream aus Madrid

© dpa

Ohne Weintrauben geht nichts an diesem Abend. Zwölf Stück pro Person, möglichst groß und prall, die kernlosen sind was für Omas. Kurz vor Mitternacht bekommt jeder seine abgezählten Trauben in die Hand, dann wird der Livestream des spanischen Senders La 1 eingeschaltet, der die große Silvesterparty von der Puerta del Sol in Madrid überträgt, wo jedes Jahr Tausende von Menschen feiern. Im Scheinwerferlicht: die Uhr im Turm des alten Postgebäudes. Um kurz vor zwölf senkt sich hier die große Kugel, die wie die größte Traube der Welt aussieht.

Es folgen vier Gongs, dann geht’s los, die letzten zwölf Sekunden vor Mitternacht: eine Traube pro Schlag. Wer alle schafft, hat ein neues Jahr voller Glück vor sich. Behauptet der Brauch „Las doce uvas“, die zwölf Trauben. Ganz Spanien mag das Spiel – der Traubenpreis zieht in der Woche vor Silvester enorm an und in den Läden gibt’s die Früchte portioniert als Zwölferpack zu kaufen. Um rechtzeitig alle Trauben zu schaffen, hilft der Sender mit einer Grafik. Zwölf Kreise, die jeweils eingefärbt werden, wenn eine Traube im Mund landen soll. Punkt Mitternacht müssen alle geschluckt sein, sonst ruft sich schlecht: „Feliz año nuevo“. (Sonja Álvarez)

Weiter im Programm: Ohne Lindenstraße, aber mit Frau Merkel

Die Lindenstraße feiert nicht mehr

Nightmare on Linden Street: Für Autor Markus Ehrenberg ist Silvester nicht Silvester, wenn die "Lindenstraße" fehlt

© dpa

Im Hause Dagdelen hängt zum Jahreswechsel der Haussegen gewaltig schief. Eigentlich will Canan zur Silvesterparty in die WG. Stattdessen muss sie mit ihrer Familie Ramadan feiern. Aber so leicht gibt Canan nicht auf. In einem unbeobachteten Moment schleicht sie sich aus der Wohnung. Aber dumm gelaufen: Bevor Canan sich ins Getümmel stürzen kann, wird sie von ihrem Bruder Ahmet ertappt. Derweil geht es bei der Silvesterparty im „Akropolis“ hoch her. Auch Andy ist mit von der Partie. Als „Käthe“ später jedoch mit einem Spielzeugskelett hantiert, muss sich Andy übergeben, ausgerechnet auf Bertas Rock.

Fans der „Lindenstraße“ werden es gemerkt haben: Berta ist längst tot, das Haus Dagdelen ausgestorben. Die Silvester-Geschichte ist aus Folge 683, ausgestrahlt am 3. Januar 1999. Schmerzliche Erinnerung. Dieses Jahr hat es keine „Lindenstraße“ zwischen den Jahren gegeben. Die ARD spart. Keine Silvesterparty im „Akropolis“, kein Sekt, kein Walzertanz, kein Feuerwerk auf der Lindenstraße wie seit 27 Jahren. Dieses Jahr fällt Silvester aus. (Markus Ehrenberg)

Merkel aus der Ferne

Total Recall: Autor Marc Röhlig hat nur einmal eine Neujahrsansprache gesehen - 2009 in Syrien

© dpa

Die deutsche Flagge neben ihr, die Haare so udowalzig und die Kamera, die immer näher auf sie heranzoomt: Merkel, hautnah. Noch nie hatte ich eine Neujahrsansprache eines deutschen Bundeskanzlers (oder eben der Bundeskanzlerin) angesehen. Aber aus der Fremde wurde Silvester staatstragend. 2009 lebte ich in Damaskus, der syrischen Hauptstadt. Das Land war damals ein anderes. Wir, Deutsche, Syrer, ein Amerikaner und ein Ungar, trafen uns zum Jahreswechsel in unserer WG am Hang des Dschabal Qasijun, dem Hausberg von Damaskus. Von dort hatten wir einen wunderschönen Blick über die ganze Stadt. Allein, der Abend war so lang und Silvester spielt in Syrien keine Rolle.

Über einen kleinen Fernseher empfingen wir ein kritzeliges Satellitenbild der ARD. Also schalteten wir aus lauter Langeweile in die Neujahrsansprache von Angela Merkel. Ging sie fünf Minuten, zehn Minuten? Ging es um Renten, Griechenland oder die nächste Fußball-WM? Ich erinnere mich nicht mehr an den Inhalt, Deutschland war zu weit weg. Wir waren in Syrien – und die Besonderheit, die Feierlichkeit des Augenblicks, lag allein darin, dass wir tatsächlich Merkel anschauten und sie unseren syrischen Freunden präsentierten.

Wir bestellten dann eine Palette syrisches Dosenbier (in Damaskus gab es Biertaxis für Eingeweihte) und kletterten auf unser Hausdach. Keine Rakete erhellte Damaskus in jener Nacht. Wir sahen nur das grüne Flimmern der Minarette und den in Blassgelb getauchten Präsidentenpalast. 2010 war Syriens letztes Jahr in Frieden. (Marc Röhlig)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false