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Kein Quotenhit. Das Sommerinterview mit Bundeskanzler Olaf Scholz in der ARD sahen 1,26 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer.

© dpa

Sommerinterviews bei ARD und ZDF: Hauptsache, das Logo sitzt

Alles abgearbeitet, aber nichts bedacht: Es braucht andere Interviews als die Sommerinterviews bei ARD und ZDF.

Als die Menschen noch voreinander die Hüte zogen, wurde das Sommerinterview erfunden, man sieht, es ist ein alter Hut. Konrad Adenauer, erster Kanzler der Bundesrepublik, bat Journalisten, Schriftsteller und sogar Maler an den Comer See, wo er wochenlang urlaubte. Der Alte ließ sich quasi wie ein Fürst inszenieren, es war der Geist des 19. Jahrhunderts, eine Art mediale Refeudalisierung.

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Auch Willy Brandt und Helmut Schmidt gaben Interviews aus den Ferien heraus, aber erst Helmut Kohl, Adenauers medienmatter Enkel, institutionalisierte das Sommerinterview ab 1988 unter gnädiger Mithilfe des ZDF und schuf damit eine Art Pantoffel- und Strickjacken-Feudalismus. Diese TV-Idyllen-Postkartengrüße vom Wolfgangsee erschütterten schon damals jene, die fanden, dass das Bildarsenal der öffentlich-rechtlichen Sender und die Selbstinszenierung der Politik regressiv, nostalgisch und aus der Zeit gefallen waren.

„Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran!“, sangen die Fehlfarben 1982 im „Rockpalast“ und hoben damit das Grab aus, in das die Sommerinterviews partout nicht krabbeln wollen. Auf Teufel komm raus muss bewiesen werden, dass das alles zusammengeht, der Sommer und das Interview, die Person und Persona des Politikers, die Zeit und ihre Bilder, Sprache und Tat, Aperol Spritz und Butscha. Es geht eben nicht.

Sommer der Zwiespältigkeit

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte im Sommerinterview des ZDF eine Ahnung davon, als er von einem „Sommer der Zwiespältigkeit“ sprach. Es ist nämlich so, dass nicht nur „die Zeit aus den Fugen“ ist, sondern die Fugen fallen aus der Zeit, also die Bilder, Narrative und Ikonen, die uns bislang getragen und die Welt zusammengehalten haben, leisten ihren Dienst nicht mehr, weshalb die „Sommerinterviews“ in ARD und ZDF wie Fugen von gestern für eine Welt von morgen wirkten. Es sind, schon bevor sie stattgefunden haben, tot geborene Gespräche.

Die Uhren und die Fragekarten sitzen Tina Hassel (ARD) und Shakuntala Banerjee (ZDF) im Nacken und Gesicht. Sie üben allseits Augenunhöflichkeit, weil sie mehr mit ihren Fragekarten als mit den Antworten beschäftigt sind und überdies kaum verbergen können, dass der Allgemeinplatz-Platzpatronenhagel sie heftig erschüttert. Sowohl die Befragten als auch die Fragenden scheinen leise vor sich hinzumurmeln: Eigentlich sind wir ganz woanders, aber nun sitz ich einmal hier. Alles auf asynchron! Hier wie da machen die formatierten Interviews Kanzler und Bundespräsidenten und mit ihnen die Zuschauerinnen und Zuschauer zu Geiseln der Zeit, weil atemlos alles abgearbeitet werden muss, aber nichts bedacht werden darf.

Kein Quotenhit. Das Sommerinterview mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im ZDF verfolgten 2,23 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer.
Kein Quotenhit. Das Sommerinterview mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im ZDF verfolgten 2,23 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer.

© dpa

Die halbe Stunde, die das Interview mit Kanzler Olaf Scholz dauert, wird überdies von einem nahezu vierminütigen Einspieler unterbrochen, in dem drei Bürger ihre Enttäuschungen an die Politik adressieren dürfen. Diese Restklumpen eines anderen Formats (Townhall-Meeting? Reportage?) offenbaren Selbstbewusstseinsmängel, denn weder scheint man der Moderatorin zuzutrauen, den Kanzler zu erreichen, noch traut man dem Format des Interviews zu, noch geeignet zu sein. Das ist medialer Populismus light, weil man unbedingt den Bürger repräsentieren und erreichen will, die Auswahl aber zwangsläufig zu totaler Einseitigkeit und Verzerrung führt. Was vor allem bleibt, war der Eindruck, man habe einem schamanischen Ritus der Angstabwehr beigewohnt, zwar wolle man keine „bundesdeutsche Nabelschau“ betreiben, sagte der Bundespräsident, aber um nichts anderes ging es hier, die Ängste der Deutschen, Entlastungspakete, Angstbeschwichtigungsformeln.

Die Rhetorik der Beschwichtigung beherrschen Scholz und Steinmeier perfekt und daraus entsteht eine vorhersehbare und daher zu Tode langweilende Gesprächsdynamik: Je dringlicher und atemloser die Moderatorinnen fragen, desto bleiummantelter werden die Zungen der Herren und selbst wo sie den Zuschauer auf härtere Zeiten einschwören, klingt das so, als ob der Onkel Doktor aufs Fingerlein pustet und verspricht, tut gleich nicht mehr weh.

Was diese Interviews noch mit Adenauer und dessen 19. Jahrhundert verbindet, ist die Majestätsfokussierung der Inszenierung und Fragen; wenn etwa Banerjee den Bundespräsidenten fragt, wann er denn endlich eine große Rede halte, dann klingt darin eine Erlösungshoffnung an, die Politik noch nie stillen konnte.

Gestaltungs- oder Krisenkanzler?

Ganz ähnlich will Tina Hassel von Scholz wissen, ob der denn auch Gestaltungskanzler könne oder gezwungenermaßen nur Krisenkanzler bleibe. Was diesen Interviews fehlte, war die Traute, es nicht allen recht machen zu müssen, der Mut, unzeitgemäß zu sein. Wo auf Teufel komm raus alles erledigt werden muss, bleibt alles liegen.

Bereits 1911 schrieb Jakob van Hoddis sein Gedicht „Weltende“ mit den berühmten Zeilen „Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,/ In allen Lüften hallt es wie Geschrei./ Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei/ Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.“

Vielleicht hätte man in der ARD diese Zeilen auf die Betonwand projizieren sollen (an der Tina Hassel den Kanzler zunächst stehend empfing) und nicht Fotos von Scholz als gelocktem Juso-Chef, als Kanzler zu Besuch in Irpin oder Statistiken (13,8 Millionen Armutsbetroffene). Wie kann man nach einem Gedicht wie dem von Hoddis noch 2022 so tun, als trüge der Bürger noch Hüte? Wie kann man den Bürger überhaupt noch als am Sofa klebende Durchschnittsfigur denken? Und wie kann man so selbstverliebt sein, das eigene Logo in schamloser Aufdringlichkeit erst dem Kanzler und dann den Bürgerinnen und Bürgern auf der Auslegeware des Interview-Podests zuzumuten? Weltende, Zeitenwende, aber Hauptsache, das Logo sitzt.

Andere Interviews müssen her

Es braucht andere Interviews und andere Gesprächsformate in ARD und ZDF, es braucht auch andere Sommer, es braucht Gesprächszeiten oder Interviewzeiten, wo die Zuschauerinnen und Zuschauer sich als Diskursteilnehmer empfinden oder als Augen- und Ohrenzeugen einer spannenden Begegnung, aber diese von vornherein allen Lebens und aller Emotionen, Gedanken und Augenblicke bereinigten Sommerinterviews brauchen wir nicht. Wo Menschen sich nicht begegnen können, weil ihnen die Rollenmuster alles Menschenmögliche stehlen, kommen weder Rolle noch Mensch zu ihrem Recht.

Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen

An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.

Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.

Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

Wo Lyrik bereits 1911 so viel von heute weiß, darf das Fernsehen von heute nicht weniger wissen wollen vom Morgen als nur das Gestern.

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