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„Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen.“ Mit ihrer mutigen Aktion hat Marina Owsjannikowa (rechts) gegen die russischen Staatsmedien protestiert. Doch wie unparteiisch sind die westlichen Medien?

© Social Media/dpa

Bewährungsprobe für den Journalismus: Von der edlen Lüge zu guten Fake News?

Warum für die Medien auch in Kriegszeiten die Grundregeln der Wahrheitsprüfung gelten müssen. Ein Blick zurück in die Historie.

Wir alle tun uns schwer damit, gewollte Informationen ebenso kritisch zu prüfen wie unerwartete. So gelangen sozial erwünschte Thesen auch in die Medien. Die Grenzen zu sogenannten Fake News sind dabei fließend, denn jenseits der bewussten Falschmeldung gibt es viele Nuancen der Einfärbung (Framing) und Verdrehung: durch Auslassen, Euphemismen, durch eine Anordnung von Fakten, die Kausalität nahe legt, oder durch Metaphern, wie die von David gegen Goliath. Der Sammelband Medien und Wahrheit (Hrsg. Schicha, Stapf, Sell) rankt um das Ringen um einen wahrheitsnormativen Journalismus als Stütze der Demokratie und Gegenpol zur Ideologie.

Im Pressekodex Ziffer 1 werden Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Menschenwürde in einem Atemzug und als Grundlage von Glaubwürdigkeit genannt. Wahrheit ist oft vorläufig, wie man im NDR-Podcast „Coronavirus-Update“ erfährt: Neue Studienergebnisse können zur Revision alter Modelle führen. Vor Gewissheiten sollte man also Respekt haben. Wahrheitsfindung als Ziel haben Wissenschaft und Journalismus gemeinsam.

Natürlich gilt das auch und besonders im Krieg, der eine existenzielle Krise für die Betroffenen sowie für die Urteilskraft der Beobachter darstellt. Medien bringen uns den Konflikt nahe. Oder führen umgekehrt uns nähere Menschen zu mehr Berichterstattung? Die russische Aggression gegen die Ukraine geht uns nahe. Andere Konflikte geraten dabei ins Vergessen, sodass von einer „Zeitenwende“ und neuer Aufrüstung die Rede ist, als Zeichen von Solidarität mit den Kriegsopfern.

Gibt es die gute Sache, den gerechten Krieg?

Pläne für mehr Militär und EU-Nato-Kooperation (Strategic Compass), gab es bereits, aber im aktuellen Kontext werden sie hoffähig. Die Politik arbeitet mit strategischer Kommunikation. Medien als vierte Gewalt sollen das aufdecken und nicht Partei ergreifen. Oder doch? Angesichts großer Gefahr? Wäre da nicht gar Nietzsches edle Lüge akzeptabel? Gibt es die gute Sache, den gerechten Krieg? Oder verliert das klare Schwarz-Weiß-Bild seine Konturen, wenn alle Fakten in Betracht gezogen werden?

Dies können wir aus vorangegangenen Kriegskrisen gelernt haben. Erinnert sei an die kritische Mediendebatte über die eigene Rolle als Kriegspartei in den Jugoslawienkriegen, aufgearbeitet durch den Historiker Kurt Gritsch. Tatsächlich hatte der Nato-Stratege Jamie Shea den Kosovokrieg als „Medienkrieg“ bezeichnet. Der Kommunikationswissenschaftler Jörg Becker zeigt in „Operation Balkan. Werbung für Krieg und Tod“, wie PR auf Medien Einfluss nahm. Die WDR-Story „Es begann mit einer Lüge“ deckte später Kriegslügen auf.

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Die Sicherheit, als Medien auf der richtigen Seite zu stehen, wenn man gegen den Serben Milosevic Stellung bezog und für Waffen und Kriegseintritt warb, schmolz dahin. Hingegen fragt sich der langjährige Uno-Korrespondent Andreas Zumach bis heute, ob sein Zuwarten auf die unabhängige zweite Quelle zur Bestätigung der Echtheit des Knebelvertrags von Rambouillet ethisch gut war; ob eine Aufklärung vor Kriegsbeginn über den Plan einer dauerhaften Nato-Präsenz im ehemaligen Jugoslawien nicht die Kriegslogik hätte brechen können. Es geht also um die Grundregel der Wahrheitsprüfung. Hätte man für eine möglicherweise gute Sache die Regel außer Acht lassen und die Nachricht einfach bringen sollen?

Und heute? Angesichts des sicheren Wissens, wer der Böse und wer der Gute ist. Gibt es da nicht die Pflicht, den Schwächeren zu unterstützen? Eventuell dadurch, dass man es nicht so genau nimmt mit der Verifikation von Kriegsbildern und Berichten? Ist nicht klar, dass Putin lügt und Selenskyj für eine gute Sache kämpft? Muss man da die PR der einen Seite nicht anders werten als die der anderen?

Propaganda in soft

Im ARD-Presseclub vom 27. März wurde auf Qualitätsunterschiede in der Kriegspropaganda hingewiesen; auf die Ziele russischer Desinformation, die den Angriff rechtfertigen wolle, während ukrainische PR als Mittel der Selbstverteidigung und zur Stärkung der Moral diene. Die Fixierung auf die beiden Kriegsparteien blendet andere Akteure strategischer Kommunikation aus; etwa die East StratCom Task Force von Nato und EU, die nach der Ukrainekrise 2014 aufgebaut wurde. Propaganda gibt es nicht nur staatlich und autokratisch, sondern auch soft. Und nicht nur in Russland und den USA, sondern auch in Deutschland. Anders kann man den Geheimdienstcoup „Celler Loch“ kaum einordnen. Wer würde das Sprengen der JVA-Wand in Celle heute noch als gute Lüge zur Infiltration und hehren Bekämpfung der „RAF“ deuten? Die klare Sache kann durch das Urteil der Geschichte eingetrübt werden.

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Mehr Fakten verändern immer das Gesamtbild. Allein die Frage, was denn genau die Ukraine wirklich unterstützt oder kontraproduktiv sein könnte, ist unklar. Vergleichen wir dazu den Nahostkonflikt: Amos Oz hatte sich beschwert, dass die Deutschen immer meinten, für eine Seite sein zu müssen. Dabei könne es Frieden in Israel-Palästina nur für alle oder keinen geben. Was, wenn Medien die gemeinsamen israelisch-palästinensischen Friedensbemühungen sichtbar machten und nicht nur dann berichten, wenn es knallt? Statt Parteinahme für eine Seite wäre das Parteinahme für ein Statement. Darf man das? Ist es nicht dieses verpönte „Gemeinmachen mit einer Sache“? Egon Bahr würde nüchtern gegenhalten: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten.“ Aufgedeckt werden jedoch nicht alle Interessen, monierte der ARD-Programmbeirat 2014 die einseitige Ukraine-Berichterstattung, die russische Interessen zu Recht kritisierte, aber die westlichen ausblendete. Das schiefe Bild wirkt bis heute nach, die Rolle der EU und Hunter Biden sind kaum bekannt.

Medien gestalten mit, auch Eskalationsspiralen

Nehmen Medien sich zu wenig wahr als Parteinehmer? Denn sie gestalten immer mit, auch Eskalationsspiralen. Erkannt hat das früh Johan Galtung. Er vertritt einen Friedensjournalismus, der sich der Feindlogik entzieht und als Mediator versteht, die Interessen aller Beteiligten sichtbar zu machen. Medien könnten damit konstruktiv wirken, die Basis für Verhandlungen durch Bekanntmachung aller Konfliktfelder ebnen und nicht den dualen Militärstrategen zuarbeiten.

Wie Kriegslogiken wirken, lehren uns der Irakkrieg, Libyen, Afghanistan. Ist das Vergleichbare schon Relativierung? Oder gebührt es den rational Aufgeklärten, sich dieser faktisch-sachlichen Auseinandersetzung zu stellen? Die Pathologisierung eines Feindes hingegen lenkt ab von der Analyse von Ursachen und Chancen. Ist die Analyse nicht korrekt, stimmt auch die Lösung nicht.

Man kann Intoleranz nicht mit Intoleranz begegnen, ohne die eigenen Werte zu verraten und die Gültigkeit der Normen zu schwächen, wovon die Uno ein Lied singen kann. Die eigene Position stärkt man nur durch das Festhalten am Recht. Dazu gehört die klare Verurteilung des Krieges ebenso wie die Aufklärung der Hintergründe und Widersprüche. Bürger sind auf valide Informationen zur Meinungsbildung angewiesen und brauchen einen Journalismus, der sich als Kontrolleur von Macht begreift und sich nicht auf die Seite der Mächtigen schlägt.

Sabine Schiffer leitet das Institut für Medienverantwortung in Berlin und lehrt an der Hochschule für Medien Kommunikation und Wirtschaft in Frankfurt/Main. 2014 war sie Mitherausgeberin des Sammelbands Ukraine im Visier. 2021 erschien ihr Lehrbuch Medienanalyse.

Sabine Schiffer

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