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Mit Kleinen Anfragen gegen Menschenrechte: Die Attacken gegen deutsche NGOs gehen alle an
Zivilgesellschaftliches Engagement wird nicht nur von Rechtsaußen-Propheten zur Gefahr für die Demokratie stilisiert und somit delegitimiert. Auch die etablierten Parteien machen mit. Das ist fatal.
Stand:
„Wo beginnen die Menschenrechte?“, fragte einmal Eleanor Roosevelt, die Mutter der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die heute vor 77 Jahren in Paris verabschiedet wurde. Ihre Antwort: „An den kleinen Plätzen, nahe dem eigenen Heim.“
Eleanor Roosevelt machte auch klar, was es dafür braucht: „Wenn die betroffenen Bürger nicht selbst aktiv werden, um diese Rechte in ihrem persönlichen Umfeld zu schützen, werden wir vergeblich nach Fortschritten in der weiteren Welt suchen.“
Mit anderen Worten: Eine kritische Zivilgesellschaft muss Staat und Gesellschaft für die Menschenrechte in die Pflicht nehmen. Genau das tun tagtäglich viele Tausend kleine und große Organisationen, Initiativen und Vereine. Sie erfüllen eine wichtige Aufgabe in unserem Gemeinwesen. Deshalb sind sie gemeinnützig und erhalten zum Teil staatliche Förderung.
Das war lange Konsens. Doch seit geraumer Zeit arbeiten autoritäre Kräfte daran, zivilgesellschaftliche Organisationen zu delegitimieren und ihnen die Finanzierung zu entziehen. Das gehört zur Strategie der Menschenrechtsfeinde, von Viktor Orbán in Ungarn über Russlands Wladimir Putin bis Donald Trump in den USA. Ihr Ziel ist unbeschränkte Macht. Auf dem Weg dorthin steht ihnen eine kritische Zivilgesellschaft ebenso im Weg wie freie Medien und eine unabhängige Justiz.
Die Unions-Fraktion stellte eine Kleine Anfrage zur Finanzierung von NGOs
Ihre Erzählung ist brandgefährlich und verfängt längst auch in etablierten Parteien wie CDU, CSU und FDP. Die Unions-Fraktion bewies das mit ihrer vor der Bundestagswahl veröffentlichten Kleinen Anfrage zur Finanzierung von NGOs. Initiativen mit ähnlichem Zungenschlag gab es von AfD, FDP und CDU auch in Länderparlamenten. Derzeit laufen im Bundestag weitere Anfragen der AfD. Eine unheilige Allianz, die eine wichtige Säule unserer auf den Menschenrechten fußenden Demokratie einreißen will.
Demokratie- und Menschenrechtsprojekte geraten so unter enormen Druck. Während in vielen Gegenden Menschen mit zunehmender rassistischer und queerfeindlicher Gewalt zu kämpfen haben, nimmt Bundesfamilienministerin Karin Prien jene Organisationen ins Visier, die diesem Klima etwas entgegensetzen. Sie kündigt an, verstärkt Projekte vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen, die über das Programm „Demokratie leben“ finanziert werden. Eine Botschaft des Misstrauens, die autoritären Kräften in die Hände spielt.
Im Sächsischen Wurzen blockierte im Stadtrat eine Mehrheit mit Stimmen der AfD und CDU die städtische Förderung für das Netzwerk für Demokratische Kultur und untersagte ihm, private Spenden anzunehmen. In Brandenburg droht der einzigen unabhängigen Antidiskriminierungsstelle wegen Mittelkürzungen das Aus. Zahlreiche weitere Organisationen und Projekte bangen um ihre Finanzierung. Eine fatale Entwicklung.
Letztlich geht es bei den Angriffen um die Gemeinnützigkeit insgesamt. Die ist wichtig, um Spenden zu sammeln und deshalb ein strategischer Ansatzpunkt für autoritäre Kräfte. Insbesondere die AfD legt neben Kleinen Anfragen gezielt Beschwerden bei den zuständigen Finanzämtern ein.
Bei der Frage, inwiefern gemeinnützige Organisationen auch politisch aktiv sein dürfen, herrschen große Unsicherheiten, spätestens seit dem Urteil des Bundesfinanzhofes gegen Attac aus dem Jahr 2019. Damals verlor die Organisation ihre Gemeinnützigkeit wegen politischer Betätigung.
Die mehrdeutige Rechtslage räumt den Finanzämtern großen Interpretationsspielraum ein. Selbst bei Anerkennung herrscht weiter große Unsicherheit. Denn ändert das Finanzamt seine Einschätzung, kann die Gemeinnützigkeit rückwirkend für zehn Jahre entzogen werden. Viele Vereine haben deshalb Sorge, gegen ihren Satzungszweck zu verstoßen, wenn sie sich gegen Rassismus und für ein gleichberechtigtes Miteinander starkmachen.
Hier ist der Gesetzgeber gefragt: Die Zivilgesellschaft sollte im Bereich der Demokratieförderung dauerhaft finanziert und ihre Unabhängigkeit garantiert werden. Zudem muss das Gemeinnützigkeitsrecht reformiert werden, damit politisch engagierte Vereine nicht mehr um ihre Existenz fürchten müssen. Dabei sollte die Förderung von Menschenrechten als gemeinnützig anerkannt werden.
Menschenrechte brauchen Menschen, die sich für sie einsetzen. Und eine Gesellschaft, die auf den Menschenrechten fußt, muss das Engagement dieser Menschen sichern – moralisch, rechtlich und finanziell. Damit – wie Eleanor Roosevelt es formuliert – gleiche Rechte, Würde und Chancen in der „Welt des Einzelnen“ Geltung haben.
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