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Journalist, Korrespondent, Intendant: Fritz Pleitgen

© dpa / Foto: Jörg Carstensen

Nachruf auf Fritz Pleitgen: Ein Kraftpaket aus dem Ruhrgebiet

Er war ein Kämpfer für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ein großartiger Mensch, schreibt Ulrich Deppendorf. Ein persönlicher Nachruf auf Fritz Pleitgen.

Von Ulrich Deppendorf

Ulrich Deppendorf war bis 2015 Leiter und Chefredakteur des ARD-Hauptstadtstudios und Moderator des „Bericht aus Berlin“.

Fritz Pleitgen begegnete ich zum ersten Mal im Sommer 1981. Zu dieser Zeit war er ARD-Korrespondent in Ostberlin. Er hatte die ARD-Chefs überzeugt, dass aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums des Berliner Viermächteabkommen das Erste eine 75-minütige Live-Diskussionssendung um 20 Uhr 15 senden müsste.

Viele in der ARD zweifelten, dass Fritz Pleitgen die Unterzeichner von damals, mittlerweile hochrangigste Diplomaten oder Minister, noch einmal in ein Berliner Fernsehstudio zu einer Diskussion zusammenbringen könnte. Ich wurde ihm als junger Redakteur zur Seite gestellt. Wir alle hatten nicht mit der Überzeugungskraft dieses gebürtigen Duisburger gerechnet. Die Sendung fand am 2. September 1981 statt.

Fritz Pleitgen gab nie auf, mochten Widerstände oder plötzlich auftretende Schwierigkeiten noch so groß sein. Das galt für sein ganzes Berufsleben, auch für seinen letzten Kampf gegen den Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Er erwartete Loyalität und Ehrlichkeit

Fritz Pleitgen verlangte viel von sich und von seinen Mitarbeitern. Vor seinen Anrufen war man zu keiner Tages-, aber auch manchmal Nachtzeit sicher. Loyalität und Ehrlichkeit, das erwartete er von seinen Mitarbeitern. Beides gab er an seine Mitarbeiter zurück. Er liebte es, Redaktionen im Haus auch unangekündigten Besuch abzustatten – sowohl als Chefredakteur Fernsehen und später als Intendant des WDR.

Fritz Pleitgen war ein fordernder Intendant, ein starker Intendant, ein visionärer Intendant. Er war ein leidenschaftlicher Kämpfer für den unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf nationaler und internationaler Ebene als ARD-Vorsitzender und gleichzeitig Präsident der Europäischen Rundfunkunion. Ohne ihn hätte es den ARD/ZDF-Sender Phoenix nicht gegeben, als WDR-Hörfunkdirektor führte er eine Hörfunkreform durch, er war unter anderem der Vater der legendären WDR Eins live-Welle!

Ulrich Deppendorf leitete das ARD-Hauptstadtstudio und moderierte den „Bericht aus Berlin“.
Ulrich Deppendorf leitete das ARD-Hauptstadtstudio und moderierte den „Bericht aus Berlin“.

© dpa

Vor allem aber war er Journalist, geprägt durch seine Korrespondentenzeit in Moskau und in der DDR. Seine Liebe zu Russland seit seiner Korrespondentenzeit von 1970 bis 1977 hielt bis an sein Lebensende, er hatte sich mit seiner Frau Gerda in die russische Seele verliebt. Er war ein großer Anhänger der Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr, in Moskau schloss er Freundschaften unter anderem mit Lew Kopelew, er war bis zu seinem Tod Ehrenvorsitzender der Lew Kopelew Gesellschaft. Er verzweifelte zuletzt an Putins Verbrechen, an einer gescheiterten Russlandpolitik.

Von der deutschen Einheit 1989 wurde Fritz Pleitgen genauso überrascht wie wir alle, aber er hatte den Zusammenbruch des DDR-Regimes kommen sehen. Seine Korrespondentenzeit in Ostberlin ab 1977 war vielleicht der journalistische Höhepunkt im Leben von Fritz Pleitgen. Er bereiste die DDR, zeigte die Missständen in der West-„Tagesschau“ und wurde im Osten ein TV-Held.

Vor und nach dem 9. November 1989 wurde er zusammen mit dem damaligen SFB-Chefredakteur Jürgen Engert zu dem TV-Gesicht der Berichterstattung auf dem Weg zur Einheit. Das zeigte sich besonders, als Pleitgen am Tag der Stasi-Stürmung in der Normannenstraße auftauchte. Die Demonstranten wollten es nicht glauben, dass der Journalist mit ihnen in die Stasi-Zentrale ging und berichtete.

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Bei aller Euphorie über die Einheit, als Journalist blieb Fritz Pleitgen kritisch und mit nüchterner Betrachtung begleitete er die dramatischen Entwicklungen . Das gefiel einigen konservativen Intendanten der ARD überhaupt nicht. Pleitgen musste sich rechtfertigen. Er tat das auf seine Art und Weise – mit einem wahrlich historischen gemeinsamen Interview mit Helmut Kohl und Willy Brandt. Hier war ein Interviewer auf Augenhöhe, die Intendantenkritik brach schnell in sich zusammen.

Interviews mit den Großen der Politik hat er zahlreich geführt, ob mit Leonid Breschnew, Ronald Reagan, Erich Honecker, Egon Krenz und zusammen mit Friedrich Nowottny das letzte Interview von Michail Gorbatschow, nur Minuten vor dessen Entmachtung durch Boris Jelzin. Seine Interviews waren immer hart, bei Egon Krenz fast an die Grenze gehend, aber sie waren nie verletzend oder unfair. Das fand selbst Ronald Reagan, als er von Pleitgen interviewt wurde und eine Frage stellte, die Reagans Pressecrew nicht so gerne hören wollte. „He just did his job“, meinte der US-Präsident nach dem Interview zu seinem aufgebrachten Pressestab.

Journalist blieb Fritz Pleitgen auch während seiner Intendantenzeit. Er fand Zeit, Dokumentarfilme zu drehen , ein weiteres Betätigungsfeld für den rastlosen Macher. Ob über die Rocky Mountains, den Kaukasus oder den stillen Don, bei den Arbeiten zu diesen Filmen lebte er auf, neben seinem Büro wurde ein Schnittplatz eingerichtet, hier war Fritz Pleitgen wieder der Journalist!

Journalist mit 14

Journalist war er schon im jugendlichen Alter von 14 Jahren, als Sportreporter bei der Lokalausgabe Bünde der „Freien Presse“ in Bielefeld. Gleichzeitig war er aber auch Mittelstürmer beim Provinzverein SV Ennigloh 09, und so berichtete der Jungjournalist häufig über sich selbst als Mittelstürmer. Fußball wurde neben seiner großartigen und geliebten Familie seine zweite große Leidenschaft. Borussia Dortmund, sein Lieblingsverein, zusammen mit dem FC Liverpool und seinem Trainer Jürgen Klopp. Vor ein paar Jahren hat er Jürgen Klopp in Liverpool besucht. Begeistert erzählte er über sein zweistündiges Gespräch mit Jürgen Klopp, nicht nur über Fußball.

Bis zuletzt ist der gebürtige Duisburger Journalist geblieben, dieses Kraftpaket aus dem Ruhrgebiet. Dann traf ihn der Bauchspeicheldrüsenkrebs, es traf den langjährigen Präsidenten der Deutschen Krebshilfe. Doch während der schwierigen Zeit schrieb er noch sein Buch über sein Leben. Er befreite den Operateur von der ärztlichen Schweigepflicht und ließ ihn die Krebsoperation in seinem Buch genau beschreiben. Das war sein Wunsch.

Seinen letzten Kampf hat er nun verloren. Viele von uns, die mit Ihm arbeiten durften , haben ihm viel zu verdanken , er hat viele gefördert. Auch mich.

Es ist ein Vorbild von uns gegangen, ein überzeugter und unermüdlicher Kämpfer für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk , ein großer Journalist , ein großer Intendant, ein großartiger Mensch!

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