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Ein Straßenverkäufer wartet mit Mundschutzmaske auf Kunden an seinem Stand in einem Bahnhof, wo er Alkohol und Schutzmasken gegen die Ausbreitung des Coronavirus verkauft. Brasilien hat 533 Covid-19-Fälle bestätigt.

© Silvia Izquierdo/dpa

Corona in Brasilien: Das Virus der Reichen

Bislang blieben die Favelabewohner*innen weitestgehend verschont. Doch die Touristen könnten das Virus mitbringen.

Auch in Brasilien ist man sich nach tagelanger Verzögerung den Gefahren des Coronavirus bewusst geworden. Die Regierung des bevölkerungsreichsten Landes Lateinamerikas trat am Mittwoch vor die Kameras und kündigte einen Ausbau der Notfallvorsorge, Einschränkungen des öffentlichen Lebens sowie Hilfen für die Wirtschaft an.

Mehrere Minister um Präsident Jair Bolsonaro setzten sich mit Mundschutz vor die Kameras und demonstrierten Einigkeit. Insbesondere Bolsonaro hatte bislang den Eindruck vermissen lassen, dass er die Coronapandemie als Bedrohung wahrnimmt. Nun beschloss die Regierung unter anderem ein umfassendes ökonomisches Hilfspaket, darunter etwa die Zahlung von umgerechnet 50 Euro pro Monat für die Millionen von informellen Arbeiter, deren Existenz durch die Krise bedroht ist.

Drei Milliarden Euro will die Regierung dafür erst einmal locker machen. Die Maßnahme hilft insbesondere den Millionen von Armen in den Favelas. Viele von ihnen sind Straßenverkäufer, stehen an Kreuzungen und verkaufen Wasser, sie bereiten Hamburger in mobilen Küchen vor oder laufen mit Caipirinha und Bier die Strände entlang. Sie haben tagtäglich eine Vielzahl von Kontakten und gehören damit automatisch zu einer vom Virus stark bedrohten Gruppe.

Bislang galt Covid-19 in Brasilien kurioserweise als Krankheit der Reichen. Das Coronavirus kam mit Brasilianern ins Land, die in Italien Urlaub gemacht hatten. So etwas können sich üblicherweise nur die weißen und reicheren Brasilianer leisten, und so verbreitete sich der Virus zunächst nur unter den Wohlhabenden, insbesondere in São Paulo. Die ersten vier Coronatoten in Brasilien sind vier Männer zwischen 62 und 85 Jahren aus der Metropole.

Vielleicht auch deswegen wird man nur langsam auf das Problem aufmerksam, das die Favelas bei der Eindämmung der Krankheit darstellen. In Rio leben etwa 1,4 Millionen Menschen in Favelas, in São Paulo sind es geschätzte 1,25 Millionen. Und wie in allen städtischen Armensiedlungen dieser Welt leben sie auch hier extrem dicht beieinander.

Die hygienischen Verhältnisse sind oft prekär, so läuft etwa das Abwasser in den Favelas offen die Hügel hinunter, entlang von Gässchen und Treppchen, die die Viertel labyrinthartig durchziehen. Müll liegt oft tagelang herum. Ebenso prekär ist der Zugang der Menschen zur empfohlenen Vorsorge. Die ganze Familie mit Alkoholgel einzudecken, stellt eine zusätzliche finanzielle Belastung dar, die sich viele Arme nicht leisten können.

Wegen dieser Lage ist es nicht unüblich, dass in den Favelas Krankheiten wie Denguefieber oder sogar Tuberkulose viel häufiger auftreten als woanders. Beim Coronavirus war das bislang umgekehrt. Davor, dass sich das allerdings schnell ändern könnte, warnt Gesundheitsminister Henrique Mandetta.

Entscheidend ist die Enge

Wie soll ich meine Familie gegen das Coronavirus isolieren, wenn wir zu viert oder fünft in einem Raum schlafen? Das fragen sich viele. Hinzu kommt, dass die Häuser auf kleinstem Raum wie verschachtelt ineinander und übereinander gebaut sind und physische Distanz zu anderen nur schwierig einzuhalten ist. Das verdeutlichen folgende Zahlen. Während Rio de Janeiro insgesamt eine Bevölkerungsdichte von 5556 Menschen pro Quadratkilometer aufweist, sind es in der Favela Rocinha fast 49000 Menschen pro Quadratkilometer.

Es scheint also fast ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, die Ausbreitung des Coronavirus in den Favelas effektiv einzudämmen, zumal die Menschen davon abhängen, zur Arbeit zu gehen. Viele haben Jobs als Hausangestellte und Portiers, sie arbeiten in Schönheitssalons oder als Kellner.

Sollte ihnen das Einkommen auch für nur wenige Wochen wegbrechen, könnte das viele in die extreme Armut treiben und zu einem starken Anstieg der Kriminalität führen, der immer in Krisenzeiten zu beobachten ist.

Bislang werden noch keine massiven Covid-19-Ausbrüche aus Brasiliens Favelas gemeldet. Das kann sich allerdings schnell ändern. Weil dem Virus der Ruf anhaftet, ein Reichenvirus zu sein, der aus dem Ausland kam, haben nun verschiedene Anwohner-Assoziationen von Rios Favelas beschlossen, keine Ausländer mehr hinein zu lassen.

In einigen Favelas waren bisher Touristengruppen unterwegs. „Das ist jetzt für uns vorbei“, sagt der deutsche Favela-Tourguide Bernhard Weber dem Tagesspiegel. Die Armen schließen die Reichen aus. „Und das wahrscheinlich zu Recht“, sagt Weber.

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