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Ahmet Ümit lebte zehn Jahre lang jeweils für mehrere Monate pro Jahr in Berlin, um die Stadt für seinen Roman kennenzulernen.

© privat

Kriminalroman des türkischen Erfolgsautors Ahmet Ümit: Der Pergamonaltar und eine Mordserie

Der jüngste Kriminalroman des türkischen Erfolgsautors Ahmet Ümit spielt in Berlin. Er ist eine Liebeserklärung an Deutschlands Hauptstadt geworden.

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Es herrscht fröhlicher Trubel in der Einkaufsmeile von Istanbul. Der Erfolgsautor Ahmet Ümit signiert in einem Buchladen seinen neuesten Roman; die Warteschlange aufgeregter Leserinnen windet sich aus dem Laden heraus und in langen Schleifen den Istiklal-Boulevard entlang. Hunderte vorwiegend weibliche Fans sind zu der Signierstunde gekommen, viele warten seit Stunden. Kein Problem, sagt eine Leserin; wenn nötig werde sie den ganzen Tag warten, um ihr Buch signiert zu bekommen: „Land der verlorenen Götter“, das ist Ümits neuester Roman – und seine Liebeserklärung an Berlin.

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Ahmet Ümit ist einer der meistverkauften Schriftsteller der Türkei; in seinen Kulturkrimis verwebt er sensible Themen der türkischen Geschichte und Gesellschaft mit Kriminalfällen. Seine bekannteste Figur ist Oberinspektor Nevzat, den deutsche Leser aus dem Roman „Die Gärten von Istanbul“ kennen. Für „Land der verlorenen Götter“ hat Ümit eine neue Figur geschaffen: die deutsche Kriminalkommissarin Yildiz Karasu. Ein Wagnis war das, erzählt der Autor im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Das ist ziemlich gefährlich, eine neue Protagonistin einzuführen, wenn man eine Figur wie Nevzat hat – das ist, als würde man Sherlock Holmes durch einen anderen Detektiv ersetzen wollen.“

Bei einer Lesereise durch Deutschland verliebte sich der Autor in die Stadt

Insbesondere wenn es sich bei der neuen Figur um eine Frau handelt, und obendrein um eine Deutsche, wenn auch mit türkischen Wurzeln. „Ich war ziemlich nervös, ob meine Leser das akzeptieren würden“, sagt Ümit. „Doch zu meiner freudigen Überraschung sind sie begeistert.“ Kommissarin Yildiz Karasu und ihr Assistent Tobias Becker ermitteln für die Kriminalpolizei in Berlin, denn dort spielt der Roman – ein gewaltiger Sprung für Ahmet Ümit und seine Leser, denn bisher spielten seine Krimis in der Türkei.

Mit dem Gedanken an einen Roman über Berlin habe er sich getragen, seit er sich im Jahr 2005 auf einer Lesereise durch Deutschland in die Stadt verliebte, erzählt der Autor. „Berlin ist eine besondere Stadt für mich“, sagt Ümit; zum einen, weil es eine kosmopolitische Stadt sei, zum anderen aber wegen der Holocaust-Gedenkstätte. „Berlin ist eine Stadt, die ihrer Vergangenheit ins Auge blickt, die sich zu ihrer Schuld bekennen kann“, sagt Ümit. Die Türkei habe das bisher nicht geschafft, obwohl sie es nötig hätte. „Das macht eine Gesellschaft gesünder und demokratischer und menschlicher. So ist Berlin, und deshalb liebe ich diese Stadt und wollte über sie schreiben.“

Erinnerungskultur ist ein immer wiederkehrendes Motiv in Ümits Werk; in seinen türkischen Romanen thematisierte er etwa das Schicksal der Armenier oder die Pogrome gegen die griechische Bevölkerung von Istanbul. Um die Schatten der Vergangenheit, die auf der Gegenwart liegen, geht es auch in „Land der verlorenen Götter“: um deutsche Archäologie in Vorderasien, um das Dritte Reich und Neonazis, um Gastarbeiter und Integration in Deutschland und um den Mauerfall. Im Mittelpunkt der Handlung steht der Pergamonaltar – und eine Serie gruseliger Morde in Berlin, die Kommissarin Yildiz Karasu aufzuklären hat.

Den Schauplatz Berlin hat Ümit dafür ebenso gründlich recherchiert wie die historischen Hintergründe. Um den Roman zu schreiben, habe er zehn Jahre lang mehrere Monate im Jahr in Berlin gelebt und sich dort in der Heinrich-Heine-Straße eine Wohnung gekauft, erzählt er. „Ich wollte alles genau wissen: wie der Winter dort ist oder der Herbst, wie das Essen ist, was die deutsche Kultur ausmacht.“ Das Leben in Berlin sei freilich nicht nur Recherchearbeit gewesen, sondern habe ihm viel Freude gemacht.

Es gibt schon Anfragen für Reisen nach Berlin mit Führungen zu den Schauplätzen des Romans

Mit seinen detailgenauen Schilderungen der Kieze und Gassen von Berlin weist Ümit sich in dem Roman als Kenner der Stadt aus – und er macht seinen Lesern Lust, sie selbst kennenzulernen. „Bei den Signierstunden sagen mir die Leserinnen oft: Wir wollen nun auch nach Berlin reisen und die Schauplätze besichtigen, an denen der Roman spielt“, erzählt Ümit. Nämlich unter anderem in Kreuzberg, Mitte, Neukölln, Treptow, Charlottenburg, Dahlem, Rudow und auf dem Teufelsberg. Die Kommissare holen ihre Verpflegung gerne bei Curry 36 und treffen Zeugen im Leylak am Kottbusser Tor und im Cafe am Neuen See.. „Ich habe sogar schon Anfragen von Reiseunternehmen, die solche Touren anbieten wollen: Reisen nach Berlin mit Stadtführungen auf den Spuren des Romans“, sagt Ahmet Ümit.

Genau dieses Interesse habe er mit seinem Roman wecken wollen. „Denn ebenso wie die deutsche Sicht auf die türkischen Einwanderer beschränkt ist, so gibt es auch Schranken in unserer Sicht auf Deutschland und die deutsche Kultur“, sagt er. „Diese Schranken einzureißen, ist eine Aufgabe der Kultur.“ Deutsche Leser werden auf diese Einsichten allerdings noch warten müssen, denn für „Land der verlorenen Götter“ hat sich bisher kein deutscher Verlag interessiert.

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