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Eisverkäufer, Fleisch- und Aktienhändler, Häftling, Geld-Guru. Jordan Belfort war schon berühmt, bevor Martin Scorsese den Film „The Wolf of Wall Street“ mit Leonardo DiCaprio über ihn drehte.

© dpa

Jordan Belfort: Der Verkäufer

Einmal richtig reich werden, so wie Jordan Belfort. Der „Wolf der Wall Street“, das Original hinter dem Film von Martin Scorsese mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle, hat jetzt in Neukölln seinem Publikum eingeheizt.

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Ein 16-Jähriger sitzt 1978 an der amerikanischen Ostküste mit Freunden am Strand und hört die Menschen fluchen, wie weit der Weg zur nächsten Eisdiele doch sei. Der Junge besorgt sich eine Kühlbox, füllt sie mit Eis und verdient am ersten Tag 120 Dollar. Er erzählt seinen Freunden davon, viele steigen ein, die meisten wieder aus, sie lungern lieber am Strand herum. Der Junge aber macht weiter. Er verdient bis zum Ende dieses Sommers 26000 Dollar.

Heute ist der Junge 52 Jahre alt und als „The Wolf of Wall Street“ bekannt. Jordan Belfort ist Motivationstrainer. Er spricht zu etwa 1000 Menschen in der Kongresshalle des Hotels Estrel in Neukölln, von denen viele auch gerne die Idee mit der Kühlbox haben würden und vor allem die nötige Zuversicht, sie auch umzusetzen. Sie zahlen viel Geld, zwischen 99 und 499 Euro, um Belfort zuhören zu dürfen. Er verdient bis zum Ende dieses Tages 200000 Euro.

„Es gibt zwei Sorten von Menschen: Enten und Adler“, ruft Jordan Belfort. „Aus den Enten wird nie etwas! Aber heute ist nicht eine Ente hier!“ Applaus brandet auf. „Ihr seid Adler mit gestutzten Flügeln. Ich heile eure Flügel!“ Noch mehr Applaus. Viele Menschen springen auf. „Yes!“, ruft Belfort ihnen mit geballter Faust zu. „Yes!“, hallt es zurück. „Yes!“

„Spül’ mich das Klo runter und ich komme als ausgebildeter Klempner wieder heraus"

Einer der Letzten, die sich wieder setzen, ist BWL-Student Jonas. Er ist gekommen, um ein guter Verkäufer und „vielleicht sogar Aktienhändler“ zu werden, erzählt er. „Ich will lernen, wie Erfolg funktioniert.“ Jonas ist 23 und heißt eigentlich anders. Er trägt Mokassins zu einer roten Hose, aus seinem Pullover ragt ein karierter Hemdkragen. Wenn zum Erfolg der Brustton der Überzeugung gehört, leistet Belfort an Jonas ganze Arbeit. Ist das rituelle „Yes“ aus dessen Kehle morgens noch kaum hörbar, steigert sich der schlaksige Student bis zum Abend fast in einen Brunftschrei hinein.

Es ist vielen Anwesenden ein sichtbares Vergnügen, sich von Jordan Belfort inspirieren oder zumindest anbrüllen zu lassen. Bis zu drei Stunden am Stück rennt er über die Bühne, spricht so laut und so schnell, dass er immer wieder Worte verschluckt. Gleich vier Flipcharts kritzelt er voll, bis sie wie abstrakt-expressionistische Gemälde aussehen. „Viele haben Lampenfieber. Ich dagegen habe Angst, nicht öffentlich sprechen zu dürfen“, erklärt Belfort den Zuschauern sich selbst. „Spül’ mich das Klo runter und ich komme als ausgebildeter Klempner wieder heraus.“

Ob Jonas dieses übermäßige Selbstvertrauen imponiert? „Irgendwie schon. Aber man muss ja vielleicht nicht gleich so extrem sein.“ Belfort sagt, dass ein erfolgreicher Verkäufer zuerst sich selbst verkaufen muss. Tiefste Überzeugung sei das Ziel. Alles geben, über sich hinauswachsen. Jonas schreibt mit.

Das Kraftpaket Belfort erinnert stark an Hollywood-Actionstar Jean-Claude van Damme. Sein ganzer Körper spannt sich, wenn er die Worte „Straight Line“ ausruft. So nennt sich das System, welches Belfort vermitteln will – wenn er nur nicht „so wenig Zeit“ hätte. Immerhin gibt er seinen „goldenen Satz“ weiter. Wenn jemand partout nicht kaufen will, solle man fragen: „What’s the worst that can possibly happen?“ („Was kann denn schlimmstenfalls passieren?“)

In Belforts eigenem Leben ist so einiges passiert. Er wurde 1962 als Sohn eines Buchhalters in New York geboren. Mit dem Geld, das er als Eisverkäufer verdient hatte, wollte er ein Studium der Zahnmedizin finanzieren. Bei der Einführungsveranstaltung erzählte der Dekan seiner Uni in Baltimore, dass Zahnmediziner komfortabel leben. Da stand Belfort auf und ging. Er wollte nicht einfach wohlhabend sein, sondern reich, unverschämt reich. Belfort ging zurück nach New York und tat das, was ihn später an sein Ziel und darüber hinaus bringen sollte: verkaufen.

Belfort zog von Tür zu Tür, mit einer Kühlbox voller Fleisch in seinen Händen und einem breiten Grinsen im Gesicht. An seinem ersten Arbeitstag stellte er einen neuen Verkaufsrekord in seiner Firma auf. Belfort machte sich selbstständig, verkaufte zwei Tonnen gefrorenes Fleisch pro Woche und baute ein florierendes Unternehmen mit 26 Lieferwagen auf. Dann expandierte er nach eigenen Angaben zu schnell, das Unternehmen ging pleite. Dies eröffnete Belfort die Chance, etwas Neues zu verkaufen: Aktien.

Gleich bei seinem Vorstellungsgespräch in einer Brokerfirma versuchte er, seinem Arbeitgeber Wertpapiere zu verhökern. Dieser war schwer beeindruckt und stellte ihn ein, ging allerdings an Belforts erstem Arbeitstag pleite, dem „Schwarzer Montag“ genannten 19. Oktober 1987. Auch dieser Karriereknick war für Belfort ein Karriere-Kick. Nun stürzte er sich auf ahnungslose Kleinanleger, die nicht den Elan hatten, sich mit der Materie auseinanderzusetzen. Sie hatten gegen Belfort natürlich keine Chance. Er verkaufte wertlose Wertpapiere, „Müll an Müllmänner“, wie er sagte. Nun war Belfort reich, unverschämt reich.

Er gründete die Maklerfirma Stratton Oakmont, hatte bald eine vierstellige Zahl an Mitarbeitern. Belfort kaufte sich Kokain, Frauen und eine Jacht, die er im Mittelmeer versenkte. Er und seine Partner betreuten Börsengänge und verwalteten Vermögen, betrieben Insiderhandel und Geldwäsche. Sie verkauften Aktien, auch auf eine illegale, aggressive Weise – und als sie aufflogen, verkaufte Belfort einige seiner Geschäftspartner an die Polizei, um schneller aus dem Gefängnis freizukommen. 22 Monate saß Belfort ein.

Die Rechte an der medialen Verwertung seines Lebens verkaufte Belfort für kolportierte zwei Millionen Dollar an Hollywood. „The Wolf of Wall Street“ – mit Leonardo DiCaprio als Jordan Belfort – erhielt hervorragende Kritiken, fünf Oscar-Nominierungen und unzählige Preise. Es war mit 400 Millionen Dollar Einspielergebnis der finanziell Erfolgreichste in einer an Erfolgen nicht armen Karriere von Regisseur Martin Scorsese. Vor allem aber ermöglichte der Film Belfort, sich selbst fortan als lebendes Beispiel zu verkaufen, dass jeder reich werden kann, unverschämt reich.

Was alles wahr ist an seinen Geschichten, weiß niemand

Was alles wahr ist an den Geschichten über Jordan Belfort, kann nach so vielen Jahren voller Drogen, voller Ausschweifungen und voller Aktenkoffer kaum noch jemand sagen. Terence Winter, der auf Basis von Belforts Memoiren das Skript zu „The Wolf of Wall Street“ geschrieben hat, erklärte dazu lapidar: „Mir wurde die Jordan-Belfort-Geschichte von Jordan Belfort verkauft – und er ist ein ziemlich unzuverlässiger Erzähler.“

Geradezu absurd mutet der Gegensatz zwischen der von Belfort beschworenen Bedeutung des Online-Marketings und seiner eigenen Homepage an. „Ein Lebensstil in Reichtum und Freiheit ist auch für Sie möglich“, steht da, und: „Erleben Sie den ,Jordan Effect’.“ Es ist eine bunte Webseite, die sehr nach den 90er Jahren aussieht und keinerlei Angst vor Rechtschreibfehlern kennt. Über Belfort heißt es dort, dass er „zum Mittelpunkt des bekanntesten und spektakulärsten Sündenfalls der modernen Geschichte“ geworden sei. Nicht der Börsengeschichte wohlgemerkt, sondern der, nun ja, Menschheitsgeschichte? Zuvor hatte er „eine der erfolgreichsten und dynamischsten Verkaufsorganisationen aufgebaut, die man in der Wall Street je gesehen hat“. Es liest sich so, als sei die Wall Street ein eigenes Universum. In gewisser Hinsicht ist sie das wohl auch.

Wollt Ihr noch mehr?

Es ist nicht nur seine Webseite, sondern der ganze Mann, der aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit zu stammen scheint. In Berlin, der Stadt der Selbstverwirklicher, predigt Belfort die Geld-Religion einer vergangenen Ära. Statt „Amen“ heißt es bei ihm „Yes!“. Fromm ist, wer Geld verdient. Es ist eine komplett amoralische, regellose Religion, eine geradezu pantheistische, denn Geld ist überall und in und über allem. Vielleicht ist Jordan Belforts Leben einfach der pervers übersteigerte amerikanische Traum. Als hätte es die Bankenkrise nie gegeben, als wäre der skrupellose „Bankster“ nicht längst eine verschriene Spezies, die für das Elend breiter Bevölkerungsschichten verantwortlich gemacht wird, predigt und predigt Belfort weiter. 110 Millionen soll er noch an geprellte Anleger zurückzahlen – US-Medien berichten häufiger davon, dass er sich weigert – und Belfort erzählt fröhlich, dass seine Frau beim Shopping in Düsseldorf gerne mal 20000 Euro ausgebe. Wollt ihr noch mehr? „Yes!“

Je weiter sich der Tag seinem Ende entgegenneigt, desto mehr spricht Belfort davon, dass er „Straight Line“ erst bei einem dreitägigen Seminar in London in all seiner Tiefe erläutern könne, für 4995 Dollar.

Einige Anwesende sagen anschließend, dass Belfort ein mitreißender Typ sei, dessen „große Klappe und Zielstrebigkeit“ sie bewundern, aber weniger Angebote für weitere Seminare und mehr konkrete Tipps gut gewesen wären. „Das ist hier wie auf einer Kaffeefahrt“, sagt ein junger Mann. „Ich hätte gedacht, dass hier Verkaufen beigebracht und nicht so viel verkauft wird.“ Jonas findet das dreitägige Seminar eine Überlegung wert, es sei aber schon ziemlich teuer. Dennoch hätte er viel gelernt, vor allem, „dass man einfach immer weitermachen muss, irgendwann kommt der Erfolg“. Was er mit seinem Geld machen will, wenn er denn viel davon hätte, weiß er nicht so recht, „ein Auto kaufen“ auf jeden Fall. „Vielleicht einen Mustang.“

Am Ende macht Belfort allen Anwesenden ein Sonderangebot. Das Seminar in London sei nun für 2495 Euro zu haben. Die Anmeldung finde jetzt und hier statt. Belfort rennt einige Schritte nach vorne, atmet kurz durch und fragt: „What’s the worst that can possibly happen?“

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