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Drohte Ärztekammer und Kommunalbehörde: Tatverdächtiger von Magdeburg sprach offenbar von Anschlag wie in Boston
Zu dem 50-Jährigen aus Saudi-Arabien, der ein Auto als tödliche Waffe über den Magdeburger Weihnachtsmarkt steuerte, gab es frühzeitig Hinweise. Als Gefährder wurde er nicht geführt.
Stand:
Der Täter des Anschlags auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt war spätestens Anfang 2015 auch den zuständigen Bundesbehörden als potenziell Verdächtiger bekannt. Wie das Innenministerium in Schwerin auf Anfrage mitteilte, informierten Vertreter des Landes Mecklenburg-Vorpommern im von Bund und Ländern getragenen Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum das Bundeskriminalamt am 6. Februar 2015 über mögliche Anschlagsabsichten des aus Saudi-Arabien stammenden Mannes.
Anlass für die Meldung seien dessen Drohungen gegenüber der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern im April 2013 und ein Jahr später auch gegen eine Kommunalbehörde in Stralsund gewesen, Handlungen vorzunehmen, die internationale Beachtung fänden.
Nach Angaben von Innenminister Christian Pegel (SPD) lebte der heute 50-Jährige von 2011 bis Anfang 2016 in Mecklenburg-Vorpommern und absolvierte in Stralsund Teile seiner Facharzt-Ausbildung.
Mit der Landesärztekammer habe es Streit um die Anerkennung von Prüfungsleistungen gegeben. Gegenüber der Sozialbehörde in Stralsund habe er versucht, mit Drohungen die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt durchzusetzen.
„Haben Sie die Bilder aus Boston gesehen?“
Wie die „Welt“ berichtet, soll er damit gedroht haben, ein Verbrechen ähnlich des Terroranschlags auf den Marathonlauf in Boston zu begehen. Das geht aus einem Urteil des Amtsgerichts Rostock aus dem Jahr 2014 hervor, das der Zeitung vorliegt. Wörtlich soll er einer Mitarbeiterin der Landesärztekammer Mecklenburg-Vorpommern gesagt haben: „Haben Sie die Bilder aus Boston gesehen? Sowas passiert dann hier auch.“
Wie die „Welt“ weiter erfahren hat, soll sich der Mann vor Gericht mit seiner emotionalen Lage verteidigt haben. Er würde unter enormen Druck stehen, der nicht nur durch seine finanziell angespannte Lage verursacht worden sei. Hinzu sei gekommen, dass er am Tag vor dem Telefonat mit der Sachbearbeiterin eine E-Mail erhalten habe, in der ihm gedroht worden sei, ihn in Saudi-Arabien zu „schlachten“. Grund dafür seien seine islamkritischen Beiträge in Internetforen gewesen.
Nach Drohungen nicht als Gefährder eingestuft
Nach Angaben von Innenminister Christian Pegel hatte das Amtsgericht Rostock Taleb A. schließlich wegen der Drohungen gegenüber der Ärztekammer zu einer Geldstrafe verurteilt. Die vorhergehenden Ermittlungen hätten jedoch keine Hinweise auf reelle Anschlagsvorbereitungen ergeben und auch keine islamistischen Bezüge offenbart.

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Nach dem Vorfall in Stralsund sei der Mann im Rahmen einer sogenannten Gefährderansprache von der Polizei auf Konsequenzen hingewiesen worden. Ihm sei gesagt worden, dass man einen sehr viel genaueren Blick auf ihn haben werde. Als Gefährder sei der Mann aber nicht eingestuft worden, sagte Pegel.
Gefährderansprachen 2023 und 2024
Auch im September 2023 und Oktober 2024 seien sogenannte Gefährderansprachen durchgeführt worden, sagte Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang im Ältestenrat in Magdeburg. Das Gespräch im vergangenen Jahr sei im Polizeirevier Salzlandkreis durchgeführt worden. Das Gespräch in diesem Jahr sei auf der Arbeitsstätte erfolgt, sagte die CDU-Politikerin.
Die Hintergründe zu den Gefährderansprachen blieben auch auf Nachfrage der Abgeordneten offen. Zieschang sagte, der jeweiligen Zusammenhang solle im vertraulichen Teil der Sitzung dargestellt werden.
Zieschang sagte, nach einem Post des Mannes auf der Plattform X am 1. Dezember 2023 habe die Polizei Ermittlungen aufgenommen. In diesem Zusammenhang hätten die Beamten ebenfalls versucht, eine Gefährderansprache durchzuführen. Weder am 2. Dezember noch am 4. Dezember 2023 sei der Mann angetroffen worden, sagte Zieschang. Das Verfahren wurde demnach später eingestellt.
Ob die Gefährderansprache im Oktober 2024 in diesem oder in einem anderen Zusammenhang erfolgte, blieb zunächst offen. Am Samstag hatte bereits der Direktor der Magdeburger Polizeiinspektion, Tom-Oliver Langhans, von einer Strafanzeige und dem Versuch einer Gefährderansprache berichtet. Er nannte keine Details, das Verfahren liege bereits ein Jahr zurück.
Mit einer Gefährderansprache will die Polizei signalisieren, dass sie einen potenziellen Straftäter im Blick hat und fordert ihn auf, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen.
Wegen psychischer Erkrankung in Behandlung
Weiter soll der Mann offenbar wegen einer psychischen Erkrankung in Behandlung gewesen sein, berichtet ebenfalls die „Welt“. „Eine psychische Disposition besteht, wegen dieser hatte er sich zurückliegend auch einweisen lassen“, soll es in einer Telefonschaltkonferenz am Wochenende zwischen dem Bundeskriminalamt (BKA) und den Landeskriminalämtern (LKA) geheißen haben.
Taleb A. war am Freitagabend mit einem Auto über den Weihnachtsmarkt von Magdeburg gerast. Dabei tötete er fünf Menschen und verletzte mehr als 200 Personen zum Teil schwer. Der Mann war zuletzt als Arzt in Bernburg südlich von Magdeburg tätig. Er lebt seit 2006 in Deutschland und hatte 2016 Asyl als politisch Verfolgter erhalten. Seit dem Anschlag sitzt er in Untersuchungshaft. (dpa)
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