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Als Hauptursache für Atemwegs- und Herzkreislauf-Erkrankungen machen Mainzer Forscher kleinste Feinstaubteilchen aus.

© Jan Woitas/dpa

Feinstaub-Studie aus Mainz: Forscher stufen schmutzige Luft gefährlicher ein als Rauchen

Luftschadstoffe kosten Europäer im Mittel rund zwei Jahre Lebenszeit, besagt eine Analyse von Mainzer Forschern. Die Methodik der Studie ist jedoch umstritten.

Luftschadstoffe führen zu mehr vorzeitigen Todesfällen als das Rauchen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie Mainzer Wissenschaftler. Weltweit verursache vor allem mit Feinstaub belastete Luft 8,8 Millionen Sterbefälle pro Jahr, berichtet das Team um den Atmosphärenforscher Jos Lelieveld und den Kardiologen Thomas Münzel im „European Heart Journal“. Etwa 120 Menschen pro 100.000 Einwohner sterben demnach weltweit jährlich vorzeitig an den Folgen verschmutzter Luft, in Europa etwa 133. In Deutschland sind es den vorgestellten Daten zufolge sogar 154 je 100.000 Einwohner jährlich – mehr als etwa in Polen, Italien oder Frankreich.

Im Vergleich dazu werde die Zahl der auf das Rauchen zurückgehenden Todesfälle – inklusive des Passivrauchens – von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf global 7,2 Millionen jährlich geschätzt, erläutern die Forscher. Ein Mensch könne sich allerdings entscheiden, nicht zu rauchen – der Luftverschmutzung aber könne er nicht ausweichen.

Forscher räumen selbst statistische Unsicherheiten ein

Allein in Europa kommen den Berechnungen zufolge jährlich knapp 800.000 Menschen wegen der Folgen von Luftverschmutzung vorzeitig ums Leben – deutlich mehr als früheren Untersuchungen zufolge. Die Todesfälle gehen demnach vor allem auf Herzkreislauf- sowie Atemwegserkrankungen zurück.

Für die Studie wurden überarbeitete statistische Funktionen der so genannten Ereigniszeitanalyse angewendet. Allerdings ist die Methodik derartiger Studien insgesamt umstritten. So werden beispielsweise meist lineare Hochrechnungen vorgenommen, obwohl bekannt ist, dass die Realität oft anders aussieht. Zudem ist es selbst bei Einzelpersonen schwierig, nachzuweisen, was im jeweiligen Fall die Ursache einer Erkrankung oder eines Todesfalles ist, da sich etwa die Luftverschmutzung als Faktor schwer von anderen Faktoren wie etwa Lebensstil oder Sozialstatus trennen lässt. Auch deshalb sind Hochrechnungen schwierig und stets fehlerbehaftet.

Die jüngste Diskussion über die Schädlichkeit von Feinstaub und Stickoxiden, ausgelöst durch den Lungenarzt Dieter Köhler und etwa 100 seiner Kollegen, entzündete sich genau an einer solchen Kritik der Methoden derartiger Studien. Letztlich handele es sich bei solchen epidemiologischen Studien um eine statistische Abschätzung, hatte das Umweltbundesamt klargestellt. „Die so ermittelten Zahlen sind als Indikatoren für den Gesundheitszustand der Gesamtbevölkerung zu sehen“, hieß es. Es handele sich dabei nicht um klinisch identifizierbare Todesfälle, die auf einen bestimmten Luftschadstoff zurückgeführt werden können. Als exakter als die Zahl der vorzeitigen Todesfälle gilt in der Forschung die Zahl der verlorenen Lebensjahre durch einen Risikofaktor.

Auch die Forscher der Mainzer Studie selbst geben zu bedenken, dass ihre Hochrechnung mit statistischen Unsicherheiten verbunden ist, der tatsächliche Effekt der Luftverschmutzung könne daher sowohl unter als auch über den errechneten Werten liegen. Für sie steht aber dennoch fest: Schlechte Luft gehört zu den bedeutendsten Gesundheitsrisiken neben Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht und Rauchen, wie das Team um Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, und Münzel, Direktor des Zentrums für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz, erläutert. Durch die Luftverschmutzung werde die durchschnittliche Lebenserwartung von Europäern um rund zwei Jahre verringert.

Als Hauptursache für Atemwegs- und Herzkreislauf-Erkrankungen machen die Forscher kleinste Feinstaubteilchen mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometer (PM 2,5) aus. In Deutschland trage die Landwirtschaft zu bis zu 45 Prozent zum Ausstoß solcher Partikel bei, so Lelieveld. Angesichts der Studienergebnisse sei der europäische PM-2,5-Grenzwert für Feinstaub mit einem Jahresdurchschnitt von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft viel zu hoch, betonte Münzel. Feinstaub entsteht durch den Verkehr, die Landwirtschaft, durch Kraftwerke, Fabriken und Heizungen. Bei Feinstaub aus dem Verkehr spielen neben dem Verbrennungsprozess in Motoren auch der Reifenabrieb und aufgewirbelter Staub eine Rolle.

Die Mainzer Wissenschaftler hatten frühere eigene Berechnungen sowie die der weltweiten Gesundheitsstudie „Global Burden of Disease“ von 2015 neu analysiert. Dank des Projekts „Global Exposure Mortality Model“ (GEMM) habe eine umfangreichere Datengrundlage aus 16 Ländern, darunter China, vorgelegen, hieß es. Die Forscher ermittelten zunächst die regionale Belastung mit Schadstoffen wie Feinstaub und Ozon mit Hilfe eines Atmosphärenchemiemodells. Diese Werte verknüpften sie mit krankheitsspezifischen Gefährdungsraten sowie der Bevölkerungsdichte und den Todesursachen in einzelnen Ländern.

Umweltschützer fordern schon lange schärfere EU-Grenzwerte für Feinstaub der Größe PM 2,5. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel, in der EU gelten 25. Die EU-Umweltbehörde EEA kommt für 2014 auf 66 000 vorzeitige Todesfälle durch Feinstaub, das Umweltbundesamt für 2015 auf 41 000. (dpa, Tsp)

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