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Erdöl und Erdgas: Italiens Schatztruhe

Unter Italien liegen riesige Mengen Erdöl und Erdgas. Rom will damit Geld verdienen - doch die Bürger protestieren. Die Nachbarländer sind weniger zimperlich: Sie bohren schon.

Um ganz Italien ins Dunkel zu stürzen, dafür hatte es im September 2003 nur eines Baumes bedurft. Vom Sturm entwurzelt, hatte er in der Schweiz eine einzige Stromleitung durchtrennt, und bis hinunter nach Sizilien – es gibt beeindruckende Satellitenbilder davon – gingen die Lichter aus. Die Kühlschränke natürlich auch, Fernseher, Klimaanlagen und U-Bahnen; alles eben, was ohne Elektrizität nicht funktioniert. Es dauerte sechzehn Stunden damals, bis auch das letzte Dorf im Mezzogiorno seine Lampen wieder einschalten konnte. In dieser Zeit wurde den Italienern erstmals bewusst, wie verletzlich doch ihre Energieversorgung war.

Seither hat sich zwar viel getan; bei der Stromerzeugung aus Wasser, Sonne, Wind und anderen nachwachsenden, also landeseigenen Rohstoffen liegt Italien heute sogar vor Deutschland. Die fundamentale Abhängigkeit vom Ausland aber ist geblieben. Italiens Energieversorgung besteht in der Summe zu mehr als vier Fünfteln aus Importen; das Land liegt damit fast 30 Prozentpunkte über dem EU-Schnitt. Seinen Erdgasbedarf gar deckt Italien zu 83 Prozent aus Libyen, Algerien, Russland – und empfindet das angesichts der aktuellen politischen Vorgänge in diesen Ländern zunehmend als ungemütlich. Ganz abgesehen von den Preisen, die womöglich bald niemand mehr im Griff hat.

In dieser Lage wagen Politiker auszusprechen, was sie sich angesichts des Widerstands im Volk seit Jahrzehnten nicht mehr getraut haben: Italien solle auf eigenem Boden mehr Bohrtürme, in eigenen Gewässern mehr Erdöl- und Gasplattformen installieren. Um Sizilien herum, die gesamte Adria und – festländisch – den ganzen Apennin-Rücken entlang schwimme Italien auf einem „Meer“ an Gas und Öl, schrieb der frühere Minister- und EU-Kommissionspräsident Romano Prodi schon im Mai: „Hören wir doch auf, uns selber wehzutun, indem wir diese Schätze im Boden lassen!“

Regierungschef Renzi will alle Blockaden aus dem Weg räumen

Regierungschef Matteo Renzi, der alles aus dem Weg räumen will, was Italien blockiert, hat in seinem neuesten Gesetzesdekret den Ball aufgegriffen. Holt Italien heute 11,8 Millionen Tonnen Erdöl-Einheiten aus dem eigenen Untergrund, also etwa zehn Prozent seines Bedarfs an fossilen Brennstoffen, so soll sich diese Quote nach den Plänen der Regierung bis 2020 verdoppeln; die Reserven reichten für fünfzig Jahre, heißt es. Renzi sagt: „Wir sind in der Krise. Und da wollen lokale Protestgruppen verhindern, dass wir unser Öl fördern?“ Renzi ist wie üblich für klare Kante: „Ich werde dafür sorgen, dass wir diese Energie gewinnen und damit Arbeitsplätze schaffen. Auch wenn mich das ein paar Wählerstimmen kostet – ich mach’ das.”

Bisher haben die Italiener alle neuen Energieprojekte, die optisch wahrnehmbar gewesen wären, zu Fall gebracht. Ängste vor Umweltschäden, an Hysterie grenzend, haben beispielsweise alle vor den Küsten geplanten Anlagen zur Umwandlung von flüssigem in normales Gas verhindert, also die Möglichkeit, den Rohstoff künftig auch per Tankschiff herbeizuschaffen. In der Schwebe ist ferner, ob die „Trans-Adria-Pipeline“ (TAP) auf italienischem Boden landen darf: Dieses eigentlich europäische Großprojekt soll die Abhängigkeit von russischem Gas vermindern; sie kommt aus Aserbaidschan und führt über die Türkei und Albanien. Die Bewohner von Apulien am Absatz des italienischen Stiefels aber haben Angst davor – und tun alles, um die TAP zu verhindern

Besondere Widerstände richten sich gegen die Erschließung neuer Öl- und Gasfelder vor den italienischen Küsten. An der Adria befürchtet man eine Verseuchung der Badestrände wie im Golf von Mexiko nach dem Desaster der „Deepwater Horizon“ 2010 – während die Förderfirmen entgegnen, seit den 60er Jahren werde in der Adria Gas aus dem Boden gezogen und trotzdem gewännen die dortigen Badegewässer heute Sauberkeitspreise („Blaue Fahnen“) am laufenden Band. Venedig befürchtet – aus leidvoller Erfahrung –, eine Entleerung des Untergrunds könnte den Meeresboden und damit die Lagunenstadt noch weiter absinken lassen. Und in Sizilien gibt es Proteste gegen eine „optische Belästigung“ von Strandtouristen – obwohl die Bohrplattformen mindestens zwölf Meilen Abstand zur Küste halten müssen. Zudem kursiert die Angst, Bohrfirmen könnten explosionsgefährliches Vulkangebiet anstechen.

Viele Projekte warten auf eine Genehmigung aus Rom

Seit Jahren warten auf diese Weise zahlreiche Projekte auf die Genehmigung durch Rom. Derweil reißen sich Erdölfirmen aus aller Herren Länder förmlich um diese – nach den Lagerstätten in der Nordsee – größten Reserven Europas.

Selbstverständlich ist unter diesen Firmen auch der italienische Konzern Eni („Agip“). Und jetzt wird’s skurril: Wegen verhinderter Bohrgenehmigungen in eigenem Boden geht Eni ins Ausland – was in diesem Falle bedeutet: Ein teilstaatlicher italienischer Konzern hilft dem rivalisierenden Kroatien, die grenzübergreifenden Ölreserven in der Adria anzubohren. „Schon einen Millimeter außerhalb der italienischen Hoheitszone“, so spotten römische Medien, sei Eni ja frei zu machen, was es wolle. Fast zum geflügelten Wort ist mittlerweile der bittere Nachsatz geworden: „Italien und Kroatien haben in der Adria ein gemeinsames Glas, aber nur einer trinkt daraus.“

Die Regierung in Kroatien ist sogar entschlossen, das in vollen Zügen zu tun: „Wir wollen ein Energie-Gigant Europas werden“, verkündete Zagreb unlängst, als es eine ganze Reihe von Genehmigungen zur Exploration der Adria erteilte. Und Italien? Irgendwann, so unken die Medien, werde es das Erdöl aus seinem eigenen Boden bei den kroatischen Nachbarn einkaufen – zu dem Preis, den diese festzusetzen beliebten.

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