zum Hauptinhalt
Das Louvre Abu Dhabi von dem Architekten Jean Nouvel ist von Seewasser umgeben.

© AFP

Louvre Abu Dhabi: Weltmuseum am Wüstenrand

Am Sonnabend eröffnet der Louvre seinen Ableger in Abu Dhabi in einem Museumsbau von Jean Nouvel. Zu sehen sind hochrangige Leihgaben.

Der Louvre, das französische Nationalmuseum in Paris, bekommt einen Zwillingsbruder am Persischen Golf. Am Sonnabend eröffnet der Louvre Abu Dhabi in der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate. Es ist das „erste Universalmuseum der arabischen Welt“, wie das Emirat voller Stolz betont. Zehn Jahre nach der Vertragsunterzeichnung zwischen den VAE und Frankreich ist das Bauwerk nach Entwurf des Pariser Star-Architekten Jean Nouvel fertig, fünf Jahre später als der ursprünglich vorgesehene Eröffnungstermin, und zu offiziell nicht bestätigten Kosten von 600 Millionen Euro.

Mit einem Durchmesser von 180 Metern wölbt sich eine flache, an ihrem höchsten Punkt 36 Meter hohe Kuppel über ein Ensemble aus 55 unterschiedlichen, miteinander verbundenen Gebäudeteilen, von denen 26 der Ausstellung von Kunstgegenständen aller Kulturen der Welt gewidmet sind.

300 hochrangige Kunstwerke als Leihgaben aus dreizehn staatlichen Museen Frankreichs, ergänzt durch eine eigene, alljährlich mit einem Ankaufsetat von mindestens 50 Millionen Euro wachsende Sammlung, werden künftig in Abu Dhabi zu sehen sein. Für die Verwendung des Markennamens „Louvre“ auf 30 Jahre hat das Emirat angeblich 450 Millionen Euro bereits entrichtet, jährliche Gebühren für die im Turnus gegen andere Werke auszutauschenden Objekte in Höhe von rund 30 Millionen Euro werden für die kommenden fünfzehn Jahre vertraglich entrichtet.

Schweigen über die Finanzen

Doch über die finanziellen Aspekte schwiegen sich bei der Pressekonferenz am gestrigen Dienstag alle Beteiligten beharrlich aus, darunter der vom Pariser Louvre kommende der Direktor des Golf-Ablegers, Manuel Rabaté (41), und seine Stellvertreterin, die aus Abu Dhabi stammende Hissa Al Dhaheri. Die energische junge Frau mit augenscheinlich US-amerikanischem Universitätsabschluss zeichnet insbesondere für die Bildungs- und Vermittlungsprogramme des Museums verantwortlich.

Das neue Museum, so die Eigenwerbung, „lädt die Besucher ein, die Menschheit in einem neuen Licht zu sehen“. In zwölf thematischen Galerien werden Werke unterschiedlicher Kulturen im Vergleich gezeigt. Als Spitzenstück der Leihgaben des Pariser Stammhauses gilt das Bildnis einer jungen Frau, genannt „La belle ferronière“, gemalt um 1489 von Leonardo da Vinci oder möglicherweise seiner Werkstatt.

Unter einem verflochtenen Dach aus Stahl hat der Architekt Jean Nouvel kubische Ausstellungsräume angeordnet.
Unter einem verflochtenen Dach aus Stahl hat der Architekt Jean Nouvel kubische Ausstellungsräume angeordnet.

© AFP

Zu den Höhepunkten der Eröffnungsausstellung zählen ein chinesischer Buddha-Kopf des 6. Jahrhunderts ebenso wie ein Bronzekopf aus Benin im heutigen Nigeria, eine Madonna des Venezianers Giovanni Bellini um 1480 ebenso wie Piet Mondrians „Komposition“ von 1922. Ein Rarissimum ist die Bronzeskulptur eines Löwen wohl aus dem maurischen Spanien der Zeit um 1100, mit dem ursprünglich das Gebrüll eines Löwen mechanisch imitiert werden konnte. Jüngst wurde ein Paar bemalter japanischer Wandschirme erworben, die den Ost-West-Handel mit portugiesischen Seefahrern um 1600 darstellen.

Zu den zwölf Themen der Galerien mit insgesamt 8400 Quadratmetern Ausstellungsfläche zählen „Weltreligionen“, „Handelswege“ oder „Die moderne Welt“. Es werden jeweils Objekte verschiedener Kulturen, aber möglichst gleicher Entstehungszeit zusammen gezeigt, um Vergleiche zu ermöglichen – und die Ähnlichkeiten der Menschheitsentwicklung hervorzuheben.

Spektakuläres Kuppeldach

Das Kuppeldach ist der Clou des Gebäudekomplexess. Unter dem nicht sichtbaren, stählernen Tragwerk mit seinen vier äußeren Schichten aus Edelstahl liegen im Abstand dazu vier Schichten von Aluminiumstreben in Form von Drei-, Vier- oder Achtecken übereinander, die ein kompliziertes Muster von 7850 unterschiedlich großen Öffnungen ergeben. Durch sie hindurch fällt auf die Bauten und die Wege und Plätze zwischen ihnen, was Nouvel einen „Lichtregen“ nennt: das gefilterte Licht der in der Golfregion an 360 Tagen des Jahres gleißenden Sonne.

Nachts hingegen sollen die „Sterne“ genannten Öffnungen mit künstlichem Licht nach innen wie nach außen strahlen. Das Dach ist der ganze Stolz des Architekten: Es liegt auf nur vier Stützen auf, die im Abstand von jeweils 110 Metern zueinander stehen. Nouvel war der erste, der sich um eine zeitgemäße Interpretation islamischer Baukunst bemüht hat. Mit dem „Institut der Arabischen Welt“ schuf er 1987 in Paris ein Aufsehen erregendes Bauwerk, das mit den beiden Elementen spielt, die für Nouvel die Essenz der islamischen Architektur ausmachen: Licht und Geometrie.

Kubische Bauteile aus Spezialbeton

Unter dem Dach sind die 55 kubischen Bauteile aus schneeweißem Spezialbeton entlang von „Straßen“ und „Plätzen“ wie in einer Medina angeordnet, der traditionellen Altstadt der islamischen Welt. Nouvel interpretiert sie als „Treffpunkte“ für Menschen, die das Interesse an Kunst und Kultur eint Durch die Öffnungen aufs Meer hinaus weht eine beständige Brise, die auch jetzt noch auf bis zu 34 Grad ansteigende Tagestemperatur erträglich macht. Im Inneren sind die unterschiedlich dimensionierten Bauten klimatisiert, ohne dass der Besucher, der durch türlose Eingänge eintritt, den kühlenden Luftstrom spürt. Jean Nouvel betonte am Dienstag, dass er eine Architektur „im Kontext“ schaffe, die sich auf den spezifischen Standort bezieht: „In Paris oder Berlin hätte dieses Bauwerk nicht entstehen können!“

Der Louvre Abu Dhabi ist das erste Bauwerk des kulturellen Gesamtprojekts auf Saadiyat Island, der eigens aufgeschütteten „Insel des Glücks“. Sie ist das Herzstück eines auf mittlerweile 30 Milliarden Dollar geschätzten Entwicklungsvorhabens zur Erweiterung der Stadt Abu Dhabi. Die anderen Bauvorhaben auf der Insel sind allerdings ins Stocken geraten, darunter eine weitere Filiale des New Yorker Guggenheim-Museums, die Frank Gehry verwirklichen soll, und das Scheich-Zayed-Nationalmuseum nach Entwurf von Norman Foster. Ganz in Frage gestellt ist eine Konzerthalle, für die die im vergangenen Jahr verstorbene Anglo-Irakerin Zaha Hadid den Entwurf geliefert hatte.

Abu Dhabi will Kultur-Reiseziel werden

Für Abu Dhabi ist der Louvre-Ableger ein großer Schritt auf dem Weg in die Kultur- und Wissensgesellschaft der Zukunft, die das Emirat anstrebt. Zugleich spielt der Tourismus wirtschaftlich eine immer größere Rolle. Für die Zeit nach dem Versiegen der Rohstoffquellen, auf dem der Reichtum von Abu Dhabi beruht, will sich die Hauptstadt der VAE als Kultur-Reiseziel positionieren. Als Universalmuseum soll der Louvre Abu Dhabi den Blick eines nicht-westlichen Publikums auf die Vielfalt und Diversität der Kulturen der Welt öffnen und vertiefen.

„Toleranz, Akzeptanz und kulturelle Verflechtung“ nannte Mohamed Khalifa Al Mubarak bei der Vorbesichtigung des Louvre-Ablegers am Dienstag als Ziele des Museums. Der erst 34-jährige Chef der Tourismus- und Kulturbehörde von Abu Dhabi, die die Projekte auf der Insel Saadiyat steuert, bezeichnete das Museum als „eine Verbindung heutiger Modernität und unseres eigenen Erbes“.

Noch liegt der Neubau des Louvre Abu Dhabi am Rande der erst in jüngster Zeit in die Höhe gewachsenen Hauptstadt. Die hochgesteckten Ziele, die das Emirat mit dem Louvre-Vorhaben verbindet, werden ohne deutliche Verbesserungen der Infrastruktur und die Entwicklung urbanen Lebens kaum zu erreichen sein – damit die flache Kuppel Jean Nouvels nicht, wie Spötter meinen, als bloßes Ufo am künstlichen Ufer strandet.

Zur Startseite