
Internationaler Jogginghosentag: Mit Baumwollbuxe durch Berlin
Heute ist internationaler Jogginghosentag. Facebook-User rufen zum Tragen der einstigen Modesünde auf
Das Leben in Berlin wird immer komplizierter, was auch daran liegt, dass die Dinge oft anders liegen, als sie scheinen. Abgesehen davon, dass sich viele so benehmen, als hätten sie in ihrem Leben noch keinen Winter erlebt, und den Schnee und die Kälte als Grund für anarchistisches Gebaren anführen (wie es ja auch die S-Bahn tut), fallen auch letzte Hürden im Bereich der Etikette. Oder anders: Man mutet seinen Mitmenschen immer mehr zu. Zum Beispiel damit, dass man sich ihnen in Jogginghose zeigt.
Die Jogginghose. Das ist im Prinzip ein ziemlich funktionales Kleidungsstück – den Grund des Tragens kann man bereits dem Namen entnehmen. Eine Jogginghose wird zum Joggen getragen, zum Sport im Allgemeinen – in den USA wird sie „sweat pant“ genannt. Wobei man vor 20 Jahren dazu überging, dass so eine Jogginghose durchaus auch zu Hause Sinn macht. Wenn es gemütlich sein soll. Wenn man auf dem Sofa rumlümmelt. Wenn man vor allem weiß: es kommt kein Besuch und vor die Tür muss ich auch nicht mehr. Nach der Unterwäsche ist die Jogginghose eigentlich das privateste, das intimste Kleidungsstück von allen. Man trägt es für sich – so angezogen darf man sich nur einem kleinen Kreis Ausgewählter zeigen.
Jogginghosen galten lange als modisches "No-Go". Jetzt sind sie gesellschaftsfähig
Diese Zeiten sind vorbei. Was zum einen daran liegt, dass die Jogginghose einen eigenen Gedenktag hat, so wie das Handtuch am 25. Mai zum Gedenken an Douglaus Adams’ legendären Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ oder die Hausmusik am 22. November. Was ist der Zweck? Sollen Dinge gefördert werden, die sonst ein karges Nischendasein fristen? Im Fall der Jogginghose macht das keinen Sinn – die Jogginghose hat es bereits in das Herz der populären Kultur geschafft.
Wenn am heutigen Donnerstag ein paar mehr Menschen als sonst im Schlabberlook das Stadtbild zieren, dann muss man sich ausnahmsweise mal nicht Sorgen um das Allgemeinbefinden der Gesellschaft machen: Heute ist internationaler Jogginghosentag. Auf Facebook haben User extra eine Gruppe gegründet. Und dazu aufgerufen, aus gegebenem Anlass ruhig mal auf die adrette Bundfaltenhose oder die immergleiche Jeans zu verzichten und stattdessen mal in bequemen Baumwollbuxen in die Schule oder Uni zu gehen.
Bei Facebook ist man sich nicht sicher: Trägt man sie besser in schwarz oder in grau?
Der Vorschlag wird in der Community ganz unterschiedlich kommentiert. Ein User verspricht, das Bekleidungsstück mit Stolz zu tragen. Ein weibliches Mitglied will nichts falsch machen und fragt vorsichtshalber noch mal nach: „Die graue oder schwarze???“ Und eine andere Userin teilt mit Bedauern mit, am Donnerstag ein Vorstellungsgespräch zu haben, „da geht’s schlecht“. Dabei würde sich der Mut lohnen, gegen den allgemeingültigen Berufsdresscode zu rebellieren. Ein Sportbekleidungshersteller beteiligt sich an der Aktion. Wer „am 21. Januar bequem mit Jogginghose den Alltag durcheinandergebracht hat“ und bis Montag 23.59 Uhr ein entsprechendes Beweisfoto auf die Internetseite hochlädt, der kann – logisch! – eine Jogginghose gewinnen. Die Zeiten sind ohnehin längst vorbei, in denen der formlose Fetzen Berufsuniform arbeitsloser Dauertrinker oder gemeingefährlicher Krimineller war und gerne mit bekleckerten Feinrippunterhemden kombiniert wurde.
Mit Imageproblemen hat die Jogginghose heute nicht mehr zu kämpfen. Der Berliner Modedesigner Michael Michalsky attestierte ihr unlängst Gesellschaftsfähigkeit: „Das kann geil sein, wenn man sie mit einem Jackett und einem gut sitzenden T-Shirt kombiniert.“ Gut möglich, dass er sich am Freitag selbst für diesen Look entscheidet. Anlässlich der Fashion Week, die seit Mittwoch in Berlin stattfindet, lädt er am Abend zur „Style Night“ in den Friedrichstadtpalast, gemeinsam mit den Kollegen von Kaviar Gauche und Lala Berlin.
Kritik von scharfzüngigen Modejournalisten bräuchte er nicht zu fürchten. Christiane Arp, Chefredakteurin der deutschen „Vogue“, hat sie zur Fashion Week ebenfalls mit im Gepäck: „Das glaubt mir ja immer niemand, aber ich habe neben hohen Schuhen und einem Blazer auch immer eine Adidas-Jogginghose dabei“, sagte sie in einem Zeitungsinterview. „Insgesamt habe ich bestimmt 30 davon und trage die fast immer, wenn ich eine Fotostrecke für unser Heft produziere.“ Der Grund liegt auf der Hand: sie sind bequem und funktionell.
Mädchen in Baumwollbuxen kommen leichter in Clubs rein, als Jungs
Nur auf die richtigen Accessoires kommt es an. Und auf die richtige Haltung, mit der man das Teil trägt. Das bestätigt auch ein Türsteher vom „Weekend“ am Alexanderplatz. In letzter Zeit sei die Zahl der Baumwollhosenträger, die in den Club wollen, deutlich gestiegen. Für ihn sei das jedoch kein Grund, die Gäste an der Tür abzuweisen: „Die Frage ist: Sieht die Person darin natürlich, verkleidet oder asozial aus?“ Je nachdem, wie die spontane Beantwortung durch die strengen Wächter am Einlass ausfällt, öffnet sich der Sesam – oder eben nicht. Was wenig verwundert: Frauen dürfen in Jogginghose eher auf Einlass hoffen als Männer.
Bei denen ist sie trotzdem nicht weniger beliebt. Das Magazin „Neon“ bescheinigt in seiner aktuellen Ausgabe Berlins „Vorzeigearschloch“ Bushido gar, den formlosen Fetzen „wie ein Businessgewand“ zu tragen. Popstars wie Madonna, die auf der Bühne Stilsicherheit und Perfektion verkörpern müssen, tragen sie bereits seit längerem in ihrer Freizeit. Und das nicht nur, wenn sie mit einer Yogamatte unterm Arm auf dem Weg ins Sportstudio sind. Rap-Star Eminem geht kaum noch ohne aus dem Haus, egal ob zu einem Auftritt oder nur zum Brötchenkaufen um die Ecke.
Neuerdings tragen Männer das Stück auf eine Art, die bislang nur sogenannten Promiludern vorbehalten war: Mit nix drunter. Auf der Kastanienallee, dem Laufsteg zwischen Mitte und Prenzlauer Berg, hat die lässig sitzende Jogginghose den bisherigen Jeansröhreneinheitslook abgelöst. Besonders mutige Hipster verzichten auf Boxershorts oder Slips, vermutlich damit sich am Hintern keine unschönen Stoffwulste abzeichnen. Tragen kann das jedoch nur, wer es sich physiognomisch leisten kann.
Nur einer stimmt nicht in die Lobeshymnen auf die Jogginghosen ein: Modedesigner Karl Lagerfeld. Sie seien gefährlich, sagte er vor kurzem in einem Interview. Warum? „Weil sie einen Gummizug haben. Der gibt nach und dann merken Sie nicht, wenn Sie zugenommen haben.“ In Irland heißen sie deshalb im Volksmund „fatman trousers“. Und vielleicht steckt darin die traurige, die einzige Wahrheit.
Nur Cindy aus Marzahn macht in den Teilen keine gute Figur
Der bundesweite Erfolg der „Komikerin“ Cindy aus Marzahn ist ja vor allem optisch ein Schlag ins Gesicht Berlins. Man mag es sich gar nicht vorstellen, wie sich Menschen in Unna oder Kassel ihr Berlinbild unbewusst von Cindy aus Marzahn diktieren lassen. Abgesehen davon, dass jeder Berliner bessere Witze macht als diese Frau, sollte sie als ewige Mahnung dafür genommen werden, was eine Jogginghose aus Menschen machen kann: eine Witzfigur.
Was für ein Tag ist morgen?