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Lagerstätte von Obdachlosen in Charlottenburg.

© IMAGO/Schoening

Berliner Studie zeichnet prekäre Situation: Queere Menschen sind überproportional stark von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffen

Die Antidiskriminierungsstelle hat eine Grundlagenstudie zu LGBTIQ-Personen ohne Wohnung durchführen lassen. Sozialsenatorin Cansel Kızıltepe will für besseren Schutz vor Obdachlosigkeit sorgen.

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„Schwuchtel“, „Mannsweib“ – diese und andere Beschimpfungen musste sich der junge trans Mann Zaid in Berliner Hilfseinrichtungen für wohnungslose Menschen anhören. Unterstützung von Mitarbeitenden konnte er in solchen Situationen nicht erwarten, weil diese davon entweder nichts mitbekamen oder sich in seiner Wahrnehmung nicht wirklich dafür interessierten.

Zaid hat für die jetzt vorgestellte Studie „Wohnungs- und Obdachlosigkeit von LSBTIQ+ Personen im Land Berlin“ von seinen Erfahrungen berichtet. Durchgeführt zwischen September 2023 und September 2024, mischt sie verschiedene methodische Zugänge: Die bisherige Forschungsliteratur zum Thema wurde gesichtet und Expert*innen sowie Betroffene befragt.

Bis zu 10.000 queere wohnungs- und obdachlose Queers

Die Ergebnisse zeigen, dass queere Menschen, überproportional stark von Wohnungslosigkeit betroffen sind, wobei die Datenlage als äußerst schwierig bezeichnet wird. Expert*innenschätzungen zufolge kann von bis zu 10.000 queeren wohnungs- und obdachlosen LGBTIQ-Personen in der Hauptstadt ausgegangen werden.

Diese werden von bestehenden Hilfsangeboten kaum erreicht, weil sie dort häufig nicht hinreichend geschützt fühlen. „Beleidigungen, Grenzüberschreitungen, Bedrohungen und Gewalt finden durch andere Bewohner*innen, zum Teil auch durch Mitarbeitenden der Unterkünfte (z.B. Wach-/Sicherheitspersonal) statt“, heißt es im Abschlussbericht der Studie, die im Auftrag der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung erstellt wurde. Besonders betroffen seien trans, inter und nicht-binäre Personen.

Risikofaktor Coming-out

Ohnehin vulnerable Menschen, deren Geschlechtseintrag nicht ihrer eigenen Genderidentität entspricht, können in einem nach binären Gendervorstellungen aufgebauten System schnell in problematische Situationen geraten. Ein*e Expert*in aus einer Beratungsstelle berichtet für die Studie etwa von einer 19-jährigen obdachlosen trans Frau, die das Bezirksamt in einer Männerunterkunft unterbringen wollte. Das hätte sie der Gefahr sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Durch heftige Gegenwehr seitens der Beratungsstelle konnte das vermieden werden und zehn Tage später eine passendere Unterbringung gefunden werden.

Dass queere Menschen überproportional von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffen sind, hängt laut der Studie unter anderem mit spezifischen Risikofaktoren zusammen. Ein Coming-out als trans, schwul oder lesbisch kann beispielsweise zum Ausschluss aus familiären Unterstützungsstrukturen und in eine schwierige Lage führen.

So ging es trans Mann Zaid, dessen Familie transfeindlich eingestellt war, weshalb er kurz nach seiner Volljährigkeit aus dem Elternhaus flüchtete. Vier Jahre lang zog er durch verschiedene Hilfsprojekte, lebte unter anderem in einer WG für queere wohnungs-/obdachlosen Personen in Berlin und hat mittlerweile eine eigene Wohnung gefunden.

Als türkischer Staatsangehöriger in Deutschland gehört Zaid zu den vielen von Mehrfachdiskriminierung betroffenen Menschen, die mit Wohnungslosigkeit zu kämpfen haben. Wobei er im Rahmen der Studie auch von positiven Erfahrungen mit Behörden und Beamt*innen sprach. Die Polizei habe ihm beim Abholen seiner Sachen aus der elterlichen Wohnung geholfen. „Ohne diese Unterstützung – so seine Einschätzung – wäre diese Aktion nicht so friedlich abgelaufen“, heißt es im Abschlussbericht.

Wir müssen queere Menschen noch besser vor Wohnungslosigkeit schützen.

Cansel Kızıltepe, Sozialsenatorin (SPD)

Sozialsenatorin Cansel Kızıltepe (SPD) kommentierte die Studie in einer Pressemitteilung mit den Worten: „Wir müssen queere Menschen noch besser vor Wohnungslosigkeit schützen.“ Weiter heißt es in dem Statement: „Ich möchte, dass Berlin queeren Menschen genau die Unterstützung anbietet, die sie brauchen und die ihnen in einer demokratischen, vielfältigen Gesellschaft auch zusteht.“

In der Studie werden dafür viele Vorschläge von Expert*innen gemacht. Sie reichen vom Ausbau der Schulung für Mitarbeitende von Hilfsprojekten über bessere Vernetzung verschiedener Träger bis hin zur Idee einer ganzjährigen queersensiblen Notunterkunft sowie einem queersensiblen Krisenhaus mit 24-Stundenbetreuung.

In Zeiten leerer Kassen und der Haushaltskürzungen scheint die Einrichtung neuer Angebote eher unwahrscheinlich. Immerhin ist das Hilfsprojekt „Queer Home“, das die Antidiskriminierungsstelle vor zwei Jahren ins Leben gerufen hat, nicht von den aktuellen Streichungen betroffen.

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