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Doku "Uferfrauen" über Lesben in der DDR: Selbstbestimmte Liebe hinter der Mauer

Im Kino ist der Dokumentarfilm „Uferfrauen“ zu sehen. Wir haben mit Regisseurin Barbara Wallbraun über verborgenes Begehren, Diskriminierung und Mutterschaft gesprochen.


Frau Wallbraun, nach coronabedingter Zwangspause startet jetzt Ihr Dokumentarfilm „Uferfrauen“. Worum geht es?
In „Uferfrauen“ erzähle ich die Lebensgeschichte von sechs lesbischen Protagonistinnen, die in der DDR sozialisiert worden sind. Anhand ihrer einzelnen Biografien versuche ich, ein umfassenderes Bild von lesbischen Lieben und Leben in der DDR zu zeigen, als es das bisher getan wurde. Der Film fängt mit dem Mauerbau Anfang der 1960er-Jahre an und endet im Heute. Mit dem Mauerfall wollte ich nicht enden. Ich wollte auch zeigen, wie es den Frauen aktuell geht, welche Gedanken sie haben und was sie vielleicht durch den Film mit in die Zukunft nehmen möchten.

Homosexualität war in der DDR lange ein Tabuthema. Wie konnten die jungen lesbischen Frauen ihr Begehren damals überhaupt ausleben?
Vor dem Dreh habe ich viele intensive Gespräche mit Frauen geführt und dabei habe ich festgestellt, dass ich mich selbst in diesen Coming-out-Storys, die 30, 40 Jahre vor meinem eigenen Coming-out auf dem Land liegen, auch wiederfinde. Die Frauen fühlten sich alleine, sie hatten keine oder nur wenige Informationen und sie wussten nicht, an wen sie sich mit ihren Fragen wenden können. Gerade mit dem Erwachen der Sexualität in jungen Jahren wussten viele auch nicht, wo sie ihre Bedürfnisse ausleben können. Manche Frauen haben sich trotz vieler Ängste ihren Gefühlen gestellt und ihre Sexualität offen gelebt. Andere haben wiederum Jahre und Jahrzehnte gebraucht, diese tiefen inneren Gefühle auszuleben.
 
Mit welchen Problemen hatten die Frauen noch zu kämpfen?
Viele Frauen sind in einer Zeit aufgewachsen, in der gleichgeschlechtliches Begehren ein Stigma war. Homosexualität sollte nicht gelebt werden, es wurde als krankhaft verunglimpft und war sehr negativ besetzt. Viele hatten Angst davor, sich zu outen, oder sich als lesbisch zu erkennen zu geben. Viele hatten auch Angst vor beruflichen und privaten Einschränkungen und diese Ängste waren zum Teil auch berechtigt. Viele Frauen haben deshalb ihr Begehren verheimlicht und es im Verborgenen ausgelebt.

Ich wollte auch diese Aspekte zeigen, weil es vieles davon heute ja immer noch gibt: Noch immer trauen sich viele lesbische oder bisexuelle Frauen nicht, sich zu outen, weil sie Angst vor Anfeindungen und Repressalien haben wie Sportlerinnen, Schauspielerinnen, Politikerinnen. Diesbezüglich hätte sich in den letzten Jahrzehnten mehr verändern können.

Regisseurin Barbara Wallbraun: "Manche Frauen haben sich trotz vieler Ängste ihren Gefühlen gestellt und ihre Sexualität offen gelebt."
Regisseurin Barbara Wallbraun: "Manche Frauen haben sich trotz vieler Ängste ihren Gefühlen gestellt und ihre Sexualität offen gelebt."

© déjà-vu film

In der DDR gab es ab 1968 den Paragrafen 175 zwar nicht mehr, aber dafür den Paragrafen 151, der gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen mit Jugendlichen ab 16 sowohl für Frauen als auch für Männer unter Strafe stellte.
Lesben und Schwule passten nicht in das sozialistische Menschenbild. Durch die Abschaffung des sogenannten Schwulen-Paragrafen 175 wurden durch die Einführung des Paragrafen 151 lesbische Frauen nun gleichwertig diskriminiert. Das Schutzalter für heterosexuelle Menschen in der DDR lag bei 16 Jahren, bei homosexuellen Menschen bei 18 Jahren. Aber gerade diese zwei Jahre, zwischen 16 und 18, ist ja eine Zeit, in der viele ihre Sexualität entdecken und sich junge Menschen ausprobieren. Homosexueller Sex mit Minderjährigen zwischen 16 und 18 Jahren wurde in der DDR unter Strafe gestellt, heterosexueller Sex nicht. Das war Diskriminierung per Gesetz.

Mehrere Frauen im Film sind von dieser Rechtsprechung betroffen gewesen. Eine der Protagonistin wurde nach dem Paragrafen 151 verurteilt, obwohl nach Aussage von beiden Frauen das Verhältnis damals einvernehmlich war.
Pat arbeitete damals mit Mitte 20 in einem Jugendwerkhof, wo vermeintlich schwererziehbare Kinder und Jugendliche unter zum Teil auch haftähnlichen Bedingungen leben mussten. Pat sagt heute selbst, sie habe damals als naive junge Frau die Stelle angenommen und dachte, sie können den jungen Menschen dort pädagogisch helfen.

Sie lernte dort eine 17-Jährige kennen und sie verbrachten im gegenseitigen Einverständnis eine Nacht miteinander. Die Wohnungstür wurde spätabends aufgetreten und die beiden voneinander getrennt. Pat wurde der Prozess gemacht, sie erhielt ein mehrjähriges Berufsverbot und wurde in einem demütigenden Verfahren aus der SED-Partei ausgeschlossen. Alles, was damals passiert ist, verfolgt sie bis heute. Ich denke, dass mit der Verurteilung nach Paragraf 151 auch mehrere Biografien zerstört worden sind, und es sind auch Traumata gesetzt worden.

Können Sie das näher beschreiben?
Die Tatsache, dass Menschen aufgrund ihres sexuellen Begehrens und auch wegen des Auslebens dieses Begehrens Prozesse über sich ergehen lassen mussten und auch verurteilt wurden, hat bei vielen der Frauen, mit denen ich gesprochen habe, tiefe seelische Verletzungen hinterlassen. Im Auftrag des Staates ist damals vieles hinsichtlich der eigenen Sexualität und Identität beschädigt und kaputtgemacht worden.

Nachweislich sind lesbische Frauen und Frauengruppen von der Stasi auch bespitzelt worden. Das Thema streifen Sie aber nur. Warum?
Das Thema Staatssicherheit kommt nur am Rande vor, weil ich der Stasi nicht so viel Raum geben wollte. Dieses ganze Feld wäre aber auch einen separaten Film wert. Ich habe fünf Jahre Stasiakten gelesen, weil ich mit einem Forschungsauftrag begonnen hatte, gezielt nach lesbischen Inoffiziellen Stasi-Mitarbeiterinnen zu forschen. Bei den Männern gab es die sogenannten Romeos, die Frauen habe ich entsprechend „Julias“ genannt, die von der Stasi angeworben wurden und den Arbeitsauftrag hatten, über aktivistische Frauenkreise zu berichten und diese auch gezielt zu zersetzten, indem sie Beschlüsse nicht mitgetragen haben, oder andere Frauen diskreditiert haben.

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Für solche Tätigkeiten waren homosexuelle Menschen dann doch wieder gut genug. Die DDR-Führung hat alles dafür getan, um die homosexuelle Bewegung zu unterdrücken, und hat Homosexuelle für ihre Zwecke missbraucht. Es gibt leider viel zu viele solcher Geschichten, aber nach meiner Erfahrung redet kaum jemand darüber. Die, die als Inoffizielle Mitarbeiterin tätig waren, haben, glaube ich, dieses Thema komplett verdrängt und die anderen sagen: Ich möchte meine Akte nicht beantragen, weil ich nicht lesen möchte, was über mich geschrieben steht. Auch weil sie das psychisch wohl nicht aushalten würden.


Der Film erzählt aber auch viel Positives.
In den 90er- und 2000er-Jahren bin ich natürlich auch mit lesbischen Filmen sozialisiert worden, die gefühlt fast immer negativ ausgegangen sind. Am Ende gab es entweder ein großes Drama, die Frau ging zum Mann zurück oder die lesbische Frau brachte sich um. In den meisten Filmen wurde bis dato lesbisches Begehren in der Regel negativ dargestellt. Mit der Idee zu diesem Film wusste ich, dass er auch positive Momente vermittelt. Ich wollte zeigen, dass es auch „normale“ Biografien gab. Diese Geschichten allerdings zu finden, und diese Frauen mit diesen Geschichten vor die Kamera zu bekommen, war nicht einfach.

Und dann kamen Gisela und Sabine, die in Sachsen-Anhalt leben.
Die beiden waren ein wahrer Glücksfall für den Film, für den ich sehr dankbar bin. Gisela hatte auf „Konnys Lesbenseiten“, die es heute leider nicht mehr gibt, meinen Aufruf gelesen und sich bei mir gemeldet. Gisela hatte zunächst sehr große Vorbehalte, weil sie früher Lehrerin war. Ihre Frau Sabine meinte aber sofort: „Ich bin dabei.“ Heute sind sie, glaube ich, sehr stolz, dass sie mir ihre Geschichten erzählt haben, durch die man eben auch sehr viel lernt.

Hat Gisela damals mit Einschränkungen oder Anfeindungen leben müssen?
Dazu passt ein wenig die jahrelange Praxis des amerikanischen Militärs „Don´t ask, don´t tell“. In der DDR wurde über Homosexualität in der breiten Gesellschaft nicht gesprochen. Sabine ist wiederum auch eine sehr resolute Frau, die immer gesagt hat, wir leben unser Leben und lassen uns von niemandem unsere Liebe absprechen oder uns einschüchtern. Das hat Gisela, glaube ich, auch sehr gestärkt.

Bösen Stimmen haben sie ignoriert. Als Frauenpaar zusammenzuleben, war in der DDR rechtlich ja auch nicht verboten. Gisela wurde nach der Scheidung auch ihr Sohn zugesprochen und die beiden haben ihr Ding durchgezogen. Ihre Geschichte zeigt, dass Lesben eben nicht nur in großen Städten wie Berlin und Leipzig gelebt haben, sondern eben auch in einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt.


Es gibt noch mehr Lesben mit Kindern im Film.
Ja, erwachsene lesbische Frauen in der DDR haben damals ganz selbstverständlich gesagt: „Für mich schließt sich Mutterschaft und Lesbischsein nicht aus. Ich bekomme ein Kind unter welchen Umständen auch immer.“ Dieser Aspekt war mir auch extrem wichtig, denn es gibt ja auch noch immer Diskussionen um Regenbogenfamilien.

Immer wieder sollen Studien angefertigt werden, um nachzuweisen, dass Kinder, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften oder queeren Patchworkfamilien groß werden, einen psychischen Schaden erleiden. Und das ist schlichtweg falsch! Dieses Thema ist auch keine Art „Modeerscheinung“, sondern lesbische Mutterschaft wurde schon vor Jahrzehnten selbstbestimmt und selbstbewusst gelebt. Viele Punkte, die heute diskutiert werden, sind historisch schon längst verankert und passiert. Diese Geschichten sind nur nicht bekannt.

Einige Protagonisten sind später in den 80er-Jahren nach Berlin gegangen. Welche Rolle spielte Berlin damals?
In Ost-Berlin konnten die Frauen sich endlich einmal frei fühlen und ihr Leben leben. Sie sind in die Anonymität der Großstadt eingetaucht und fühlten sich nicht mehr permanent beobachtet. Endlich trafen sie Gleichgesinnte und konnten über ihre jeweiligen Erfahrungen sprechen. Sie konnten aktivistisch tätig werden und mussten sich nicht mehr verstecken.

Nach Berlin ging auch die Protagonistin Carola, für die der Mauerfall zu einem falschen Zeitpunkt kam. Was heißt das konkret?
Vor allem die Frauen, die in den 80er-Jahren feministisch aktiv waren, erkannten 1989, dass es tatsächlich die Chance gab, ihre langen Kämpfe für Gleichstellung in der DDR könnten sich endlich auszahlen. Sie hatten aber die berechtigte Sorge, wenn das kapitalistische bundesdeutsche Rechtssystem eingeführt wird, das viele bereits vorhandenen Rechte wie das Recht auf Abtreibung in der DDR wieder abgeschafft werden.

Die DDR war der BRD in manchen Punkten voraus. Ich wollte zeigen, dass dieses übergestülpte BRD-System auch viel vernichtet hat, was damals hart erkämpft worden war. Die Protagonistinnen im Film sind ja auch nicht in den Westen gegangen, weil sie in ihrem Heimatland DDR etwas verändern wollten. Anfang der 1990er-Jahre wären Reformen vielleicht noch möglich gewesen, wenn sich nicht so viele über den Untergang der DDR gefreut hätten. Diese Sichtweisen und Geschichten zu erzählen, wäre auch noch einmal ein eigener Film.


Sie haben sieben Jahre an diesem Film gearbeitet. Warum hat die Realisierung so lange gedauert?
Den Film über diesen langen Zeitraum zu produzieren, war extrem anstrengend. Nach wie vor sind die Produktions- und Verleihstrukturen sehr männlich, sehr hetero und sehr westdeutsch geprägt. Es war sehr schwer, mit diesem Stoff durchzudringen. Nur ganz wenige hatten das Vertrauen, dass dieser Film auch ein anderes Publikum als ostdeutsche sozialisierte Lesben ansprechen würde. Meine Erfahrung war auch, dass sich ein schwuler Mann mit westdeutscher Perspektive nicht vorstellen kann, dass sich andere Menschen für solch einen Film interessieren können.

Der gesamte Prozess hat für mich auch ein Problem innerhalb der Community verdeutlicht. Lesben interessieren sich oft auch für viele schwule Themen, viele Schwule hingegen nicht unbedingt für lesbische. Für mich verdeutlicht das auch wieder die patriarchalen Strukturen, in denen wir leben. Männergeschichten werden immer noch mehr gehört als Frauengeschichten. Es bleibt ein langer Kampf und Krampf. Wir Frauen müssen auch selbst unsere eigenen Geschichten erzählen. Wir brauchen auch keine weiteren Role Models. Die gibt es alle schon seit mehr als 100 Jahren! Diese Geschichten müssen aber endlich auch einmal erzählt werden.

Wie sah es mit der Filmförderung aus?
Da waren meine Ansprechpartner*innen viel offener. Ich hatte das Glück, neun Monate in einem Talentförderprogramm zu sein, in dem der mitteldeutsche Filmnachwuchs gefördert wird. Die agierenden Personen dort sind sehr gut in der mitteldeutschen Filmförderszene vernetzt.

Ob Thüringer Staatskanzlei, Mitteldeutsche Medienförderung oder Kulturstiftung des Freistaates Sachsen – dort wurde der Film sehr unterstützt, allerdings kam die Unterstützung auch eher von Frauen. Ob die Bundesbeauftrage für Kultur und Medien oder die Dritten Programme – keiner wollte diesen Film unterstützten. Erst durch eine persönliche Verbindung hat die Redaktion vom ZDF Das kleine Fernsehspiel gesagt, dieses Thema gab es noch nicht, eine gute Geschichte, die nehmen wir. Und dafür bin ich sehr dankbar.

Und jetzt ist „Uferfrauen“ schon mit dem Filmpreis „Queerscope“ ausgezeichnet worden.
Vor Corona konnten wir den Film bereits auf einigen Festivals zeigen. Und nach all den Jahren der Arbeit und des Kampfes ist diese Ehrung großartig. Dieser Preis motiviert und bedeutet mir auch sehr viel, weil der „Queerscope“ ein Preis ist, der von einer Fachjury von 19 unabhängigen queeren Festivals in Deutschland aus nationalen und internationalen Produktionen vergeben wird. Jetzt bekommen das Team und ich die Wertschätzung und auch die Bestätigung, dass dieses Thema wichtig ist, wahrgenommen wird und wir einen guten Film gemacht haben, den sich Menschen auch gerne angucken.

"Uferfrauen – Lesbisches L(i)eben in der DDR“ startet am 3. September. Am 5. September wird der Film im Sputnik Kino im Beisein der Regisseurin gezeigt.  Am 6. September ist der Film im Kino Krokodil im Beisein der Regisseurin und der Berliner Protagonistin Christiane Seefeld zu sehen.

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