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Das Stonewall National Monument im New Yorker Christopher Park erinnert an den Stonewall-Aufstand vor 50 Jahren - die Geburtsstunde der homosexuellen Emanzipationsbewegung.

© Angela Weiss/AFP

Geschichte der Homosexuellen: "Erinnerungskultur braucht mehr Vielfalt"

Wie kann die Geschichte der Homosexuellen sichtbar gemacht werden, obwohl historische Selbstzeugnisse von Lesben und Schwulen oft fehlen? Ein Interview.

Frau Davison, wenn Sie an die Geschichte der Homosexuellen denken – was ist für Sie das herausragende Ereignis?

Das ist natürlich nicht nur ein Ereignis: Es geht um Vielfalt, politische Bewegungen, Einzelgeschichten. Die deutsche Geschichte ist schon herauszuheben, leider aber auch negativ. Was ab 1900 vor allem in Berlin geschah, war zunächst die größte Bewegung für sexuelle Freiheit in Zentraleuropa. Nicht nur von Lesben und Schwulen – die sich damals noch anders bezeichneten -, sondern auch für Frauenrechte. Die Nazis haben das komplett niedergeschlagen, das ist das große Negativereignis. Die Konsequenzen haben wir lange gespürt, bis heute. Wollen Sie auch etwas Positives hören?

Gerne.

Dieses Jahr ist das 50-jährige Stonewall-Jubiläum. Das wird als der Moment gefeiert, an dem alles zusammengekommen ist. Das hat nach wie vor eine große Symbolik.

Damals – im Juni vor 50 Jahren – wehrten sich Homosexuelle und Transsexuelle massiv mit Straßenprotesten in New York gegen Razzien der Polizei, es war quasi die Geburtsstunde der modernen queeren Emanzipationsbewegung. Ausgangspunkt war die Kneipe Stonewall Inn.

Es liegt nicht nur an dem Abend, an dem alles losging. Stonewall ist praktisch ein Ereignis der 68er-Bewegung. Es ging auch um Freiheit an sich, im Westen und im Osten, man denke an den Revolutionsversuch in der Tschechoslowakei. Stonewall war zugleich Ergebnis und im Nachhinein Meilenstein dieses 68er-Moments.

Sie sind Mitveranstalterin der „Queer ALMS-Konferenz“, auf der sich in Berlin ab Donnerstag Hunderte Vertreter aus Museen, Archiven und der Geschichtswissenschaft treffen. Das erklärte Ziel ist, die Erinnerungskultur „zu queeren“. Was verstehen Sie darunter?

Es geht erstmal darum, in der Öffentlichkeit an queere Menschen und Geschichte zu erinnern. Wir brauchen zudem insgesamt eine Vielfalt in der Erinnerungskultur. Gibt es dort blinde Flecken für bestimmte Gruppen? Welche Geschichte ist überhaupt erinnernswert?

Ist das überhaupt nötig, warum sollte die sexuelle Identität in Zeiten der Ehe für alle in Ausstellungen oder Geschichtsprojekten eine Rolle spielen?

Das ist eine große Frage. In der populären Kultur ist ohne Zweifel in letzter Zeit viel passiert. Man denke an Serien wie „Transparent“, Filme wie „Call Me By Your Name“ – die erreichen ein breites Publikum. In der deutschen Serie „Charité“ wurde eine schwule Liebesgeschichte miterzählt, die gleichzeitig an die Verfolgung schwuler Männer durch die Nazis erinnert. Wir haben ohne Frage auch einige formelle Freiheiten erreicht. Aber es gibt auch eine Gegenbewegung. Man denke an Trump und wie er mit trans Menschen in der Armee umgeht. Oder den Kampf um Programme, die in Schulen über Vielfalt aufklären sollen. Es gibt übrigens auch Anti-Trans-Bewegungen unter Homosexuellen, vor allem unter Lesben.

Kate Davison ist Historikerin und Doktorandin an der University of Melbourne (Australien). In Berlin ist sie Programm-Koordinatorin der „Queer ALMS-Konferenz“.
Kate Davison ist Historikerin und Doktorandin an der University of Melbourne (Australien). In Berlin ist sie Programm-Koordinatorin der „Queer ALMS-Konferenz“.

© privat

In Deutschland tut sich die Geschichtsschreibung mit queeren Inhalten oft schwer, das liegt meistens in der Hand einzelner lesbischer und schwuler Historiker*innen. Warum?

Es sind mehrere Elemente im Spiel. Karrierechancen etwa: Unter Historikern wird das als Thema als Sackgasse gesehen. Das ist schmerzhaft. Was noch dazu kommt: Dieser Bereich wird von einer Mischung aus professionellen und Amateurhistorikern betrieben. Ich finde das gut, die Nicht-Profis bringen viele Anregungen und haben manchmal unglaubliche private Sammlungen. Der Nebeneffekt ist leider, dass das Thema weniger Anerkennung bei der Uni erhält.

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Wenn es um die Geschichte marginalisierter Gruppen geht, müssen Historiker viel mit Selbstzeugnissen arbeiten. Andererseits sind diese Selbstzeugnisse häufig nicht überliefert, gerade weil diese Gruppen unsichtbar gemacht wurden. Wie gehen Sie als Historikerin mit diesem Dilemma um?

Das Dilemma haben auch Historiker, die sich mit post-kolonialer Geschichte beschäftigen. Das alte Klischee ist: Geschichte wird von den Herrschenden geschrieben, historisches Material wird von den Herrschenden gesammelt. Oral History, also Gespräche mit Zeitzeugen, hat deswegen bei uns immer eine große Rolle geschrieben. Aber: Wir haben unsere Methodik in den letzten zehn Jahren verfeinert, wie wir vorhandenes Material anders lesen können, quasi zwischen den Zeilen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ich arbeite viel mit psychiatrischen Akten. Für mich stellt sich da die Frage, wie ich die veröffentlichten Schriftstücke von Ärzten lese, um etwas über die subjektiven Erfahrungen von queeren Patienten zu erfahren. Da muss man eine sehr vorsichtige Lesensart entwickeln. In einem medizinischen Journal lese ich etwa über das Verhalten eines Patienten: „Patient kam zum Behandlungsraum, wollte nicht reinkommen, blieb stehen und hat 30 Minuten geweint. Am nächsten Tag wiederholt sich das.“ So wird es ganz sachlich ausgedrückt. Ich lese darin aber, dass der Patient in dem Moment ein furchtbares Trauma erlebt haben muss.

Wie ambivalent öffentliche Einrichtungen mit queeren Sichtweisen umgehen, kann man gut in der Lotte Laserstein-Ausstellung in der Berlinischen Galerie beobachten. Laserstein war eine berühmte Malerin ihrer Zeit, sie porträtierte in den 20er und 30er Jahren Frauen. Aus der Perspektive von heute würde man sagen, sie hatte einen lesbischen Blick. Die Ausstellung thematisiert diesen queeren Blick aber nicht, womöglich weil auch entsprechende Selbstzeugnisse der Malerin fehlen. Wie würden Sie damit umgehen?

Das würde ich ganz anders machen. Ich würde zwar nie eine Malerin als lesbisch zuordnen, wenn es dafür keine Selbstzeugnisse gibt. Man könnte aber von lesbische Zeitzeuginnen – oder späteren lesbische Gruppen – erzählen: Wie haben diese ihre Gemälde gelesen, war die Malerin ein Vorbild? So kann man, ohne nicht beweisbare Behauptungen aufzustellen, offensichtliche Verbindungen herstellen. Gemälde oder andere Ausstellungsstücke können eine queere Resonanz haben, das kann man thematisieren.

Oft wird in der queeren Community selber über Hierarchisierungen gestritten – weil eben auch dort meistens Männer dominieren. Wie kann Erinnerungsarbeit das ändern?

Je mehr die Mainstream-Kultur über die queere Geschichte weiß, desto mehr Akzeptanz gibt es – davon gehen wir aus. Das Gleiche gilt innerhalb der Community: Je mehr trans Geschichte wir erzählen, desto wichtiger wird das für die Community. Das ist auch für Nicht-trans Menschen total interessant: Da geht es zum Beispiel darum, wie wir Körper und Geschlecht definieren.

Wie sexuelle Vielfalt und geschlechtliche Identität in Ausstellungen und in der Schule für Kinder und Jugendliche thematisiert werden können, ist auch ein Programmpunkt auf der ALMS. Sie haben bereits die heftigen Reaktionen bei diesem Thema angesprochen, hierzulande reicht das bis in die Kreise von CDU und CSU. Kann man darüber überhaupt noch eine sachliche öffentliche Debatte führen?

Das bezweifele ich. Führen müssen wir die Debatte dennoch. Vielleicht kann man so anfangen: Wo soll bitte schön das Problem sein, eine Anti-Mobbing-Politik an Schulen zu haben? Denn darum geht es doch auch bei queeren Jugendlichen, dass sie an Schulen marginalisiert, manchmal diskriminiert werden. Kinder sollen auf eine Schule gehen können, ohne dass ihr Lernen aus welchen Gründen auch immer gestört wird. Darauf sollte man sich verständigen können.

Sie promovieren unter anderem zum Interesse der Geheimdienste im Kalten Krieg an Homosexuellen. Warum war das für die Geheimdienste ein wichtiges Thema?

Sie dachten, Homosexuelle könnten von Nutzen sein. Die Stasi soll sich darüber zum Beispiel Gedanken gemacht haben. Die Homosexuellen könnten schließlich ihre Emotionen unter Kontrolle halten und verstecken, würden sich also mit Spionagetricks im Alltag auskennen, lautete eine Theorie: Da brauche man sie gar nicht mehr groß trainieren. Im Westen wiederum kursierten Gerüchte, der KGB habe eine Sondereinsatzgruppe junger, gut aussehender Männer, um homosexuelle Tendenzen westlicher Diplomaten auszunutzen. Die Geheimdienste hatten aber keine Ahnung, wie sie Homosexuelle erkennen können. Der kanadische Geheimdienst hat deswegen sogar ein Gutachten in Auftrag gegeben, welche psychischen und biometrischen Zeichen Homosexuelle haben könnten. Sie haben wenig überraschend keine richtige Antwort gefunden.

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