
© Udo Badelt
Im Zeichen des Regenbogens: Queeres Wohnen im Alter
Der Lebensort Vielfalt am Südkreuz ist beliebt, viele ältere und auch jüngere schwule, lesbische und transidente Menschen wollen hier einziehen. Ein Besuch.
Stand:
Woll’n wer ihn reinlasse?“, fragt Monika Mayerhofen-Kammann scherzhaft an der Tür, die sie natürlich gleich öffnet. Der Kaffee steht schon bereit. An diesem sehr sonnigen Vormittag ist die Wohnung, in der sie mit ihrer Frau Elke Schliebe lebt, lichtdurchflutet, der Balkon geht nach Osten. Vor rund einem Jahr sind die beiden hier eingezogen, in eine der 69 Wohnungen im Lebensort Vielfalt am Südkreuz: Knapp 56 Quadratmeter, zwei Zimmer plus Wohnküche, Abstellraum, Bad und Keller.
Hübsch haben sie sich eingerichtet, in warmen Farben, und auch die Kleidung, die sie heute tragen, ist fröhlich, lebensbejahend. Beide lächeln viel, scheinen sich wohlzufühlen im neuen Heim. An den Wänden: Fotos von Monikas Sohn, der bei der Marine arbeitet und bald für die Nato nach London geht. Vom Balkon blickt man auf einen großen, sonnenüberströmten Innenhof, auf Bäume, Bänke, Spielplatz und Kitas, wo die Kinder aus den benachbarten Wohnhäusern spielen.
Der Lebensort Vielfalt wurde im Oktober 2023 eröffnet, als Teil eines größeren Neubaublocks im Umfeld des ebenfalls noch ziemlich neuen Bahnhofs Südkreuz. Ausschließlich schwule, lesbische, transidente, eben: queere Menschen wohnen hier. Ähnliche Projekte bieten in Berlin auch die Initiativen Rut („Rad und Tat“) für lesbische Frauen und Zik („Zuhause im Kiez“) an.

© Henning Moser
Auch Monika und Elke haben sich für diese Möglichkeit, im Alter zu leben, entschieden. Die beiden lernten sich 1996 kennen, „am 8. Juni“, das weiß Elke noch genau, über eine Zeitungsannonce. 2010 verpartnerten sie sich, seit 2018 sind sie verheiratet – und haben doch bis vergangenes Jahr noch nie zusammengelebt, wenn auch in Sichtweite voneinander in Steglitz.
Doch dann musste Monika wegen Eigenbedarf ausziehen, nach 30 Jahren. Erst jetzt, da sie 75 und Elke 80 ist, bewohnen die beiden erstmals eine gemeinsame Wohnung. Wer hat je behauptet, einen alten Baum verpflanzt man nicht?
Wir wollen geschützte Räume bieten, in denen sich queere Menschen nicht mehr erklären müssen.
Marcel de Groot, Geschäftsführer der Berliner Schwulenberatung
Dieser Lebensort Vielfalt ist schon der zweite in Berlin. In der Charlottenburger Niebuhrstraße existiert seit zwölf Jahren eine ähnliche Einrichtung, beide getragen von der Berliner Schwulenberatung. „Wir wollen geschützte Räume bieten, in denen sich queere Menschen nicht mehr erklären müssen“, sagt Geschäftsführer Marcel de Groot. Denn gerade Ältere haben häufig nicht mehr die Kraft und die Lust, sich ständig zu rechtfertigen. Das Älterwerden bringt für queere Menschen eigene Herausforderungen mit sich, die Heterosexuelle nicht im selben Ausmaß erleben.
Wenn das Adressbuch schmaler wird
Die Unterschiede sind nicht unbedingt physisch, eher sozial. Zum Beispiel haben viele durch HIV und Aids Freunde und Bekannte verloren, ihr Adressbuch ist schmaler, die Einsamkeit wahrscheinlicher geworden. Oder die eigene Herkunftsfamilie akzeptiert sie nicht mehr – seit jeher einer der Gründe, warum Schwule und Lesben nach Berlin ziehen.
Auch die Tatsache, dass männliche Homosexualität bis 1969 in West-Deutschland unter Strafe stand und der entsprechende Paragraf 175 erst 1994 restlos gestrichen wurde, hat ältere schwule Männer in ihrer Jugend geprägt, manche auch traumatisiert und festere Bindungen verhindert.
Monika kam 1948 im Eisenbahnwaggon auf dem Stuttgarter Nordbahnhof zur Welt, die Familie war aus dem tschechischen Mähren vertrieben worden. Sie besuchte die Klosterschule, machte eine Ausbildung zur Alten- und Krankenpflegerin. 1976 wurde ihr Sohn geboren, zum Kindsvater hat sie nur wenig Kontakt. Ihre beruflichen Wege führten sie nach Berlin, dort blieb sie auch.
„Nachdem mir meine Steglitzer Wohnung gekündigt worden war, zog ich mit Sack und Pack erst mal zu Elke, alle Sachen mussten in den Keller, das war unglaublich anstrengend“, erzählt sie. Zum Glück hatten beide da schon über eine Freundin vom Lebensort Vielfalt erfahren und sich beworben, im Mai 2023 kam die Zusage.
Ein großes Glück, die Warteliste ist lang, sie umfasst derzeit 900 Personen, die meisten davon im fortgeschrittenen Alter. Die Hälfte der Wohnungen ist WBS-gefördert, die andere – auch die von Monika und Elke – auf dem freien Markt, mit Mieten zwischen 14 und 18 Euro pro Quadratmeter.
Elke stammt aus Halle (Saale), „Vater Schneidermeister“, erzählt sie und hat dabei einen gewissen Zug in der Stimme. Von fünf bis zwölf besuchte sie eine Sportschule, sie turnte für ihr Leben gerne, arbeitete als Tänzerin in Varietés, man sieht es ihr auch noch an – „auch wenn ich im Alter nachlässig geworden bin“, sagt sie schmunzelnd. Eine erste Liebschaft mit 22, später eine Stelle in der Verwaltung der Stadt Plauen in Sachsen. Doch dort hielt es sie nicht. Wie so viele andere zog auch sie nach Berlin, 1973 war das. Bis zur Pensionierung arbeitete sie im Kulturamt des Bezirks Friedrichshain.
Das Glück währte nicht lange
Das Glück, im Lebensort Vielfalt eingezogen zu sein, währte aber erst mal nur wenige Tage. Elke stürzte, brach sich Rippen und Steißbein, lag lange im Krankenhaus. „Inzwischen geht es aber wieder gut“, sagt sie vorsichtig und lächelt, während sie sich an der Tasse festhält. Auf der Straße braucht sie einen Rollator.

© Schwulenberatung Berlin
Der Altersdurchschnitt der rund 100 Bewohner im Lebensort Vielfalt ist mit 49 Jahren relativ niedrig, auch zwei Kinder leben hier. „Wir achten auf eine gewisse Mischung der Altersgruppen“, sagt Marcel de Groot. Es gibt zwar eine Pflege-WG mit acht Plätzen (alle belegt) und eine therapeutische WG für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, aber keine Pflegestationen oder Arztpraxen, keine Pflegeinfrastruktur. Allerdings eine „soziale Infrastruktur“, wie de Groot es nennt.
„Wir als Träger fühlen uns mitverantwortlich, vermitteln bei Konflikten und sind immer ansprechbar, per Telefon oder unten am Empfang. Wir können Ärzte empfehlen und, wenn jemand spürt, dass er oder sie pflegebedürftig wird, auch professionelle Pflegedienste.“ Außerdem existieren Orte der Begegnung: das Restaurant im Erdgeschoss, ein hauseigenes Café, das immer freitags öffnet, oder ein 80 Quadratmeter großer Gemeinschaftsraum, den die Bewohnerinnen und Bewohner eigenständig nutzen können; Monika ist in einer AG Raumgestaltung aktiv.
Es klopft, der Nachbar kommt rein, er hat gehört, dass Besuch da ist. Monalisa von Allenstein versteht sich prächtig mit seinen beiden Nachbarinnen, oft grüßen sie sich schon morgens von ihren Balkonen aus. „Hier haben Sie meine Visitenkarte, es wird meine letzte sein, ich ziehe hier nicht mehr aus“, sagt er. Der 61-Jährige hat vor einigen Jahren seine Transidentität entdeckt, benutzt aber weiterhin männliche Pronomen.

© Udo Badelt
Das Leben schüttelte ihn ziemlich durch, als junger Theologiestudent in Erfurt wurde er im Thüringer Wald von einer Zecke gestochen, die Folge: Borreliose und Herzmuskelentzündung. Heute sitzt er im Rollstuhl, das Lachen hat er aber nicht verlernt. Lange war er katholischer Priester in Ostfriesland, bis zu jenem Tag, an dem er von der Kanzel herab seiner Gemeinde erklärte: „Ich habe gelobt, zölibatär zu leben, und daran halte ich mich auch. Aber ich bin schwul.“ Da lud ihn der Personalchef vor.
Es folgte eine zweite Karriere als Trauerredner, unter anderem für die Mutter des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Daniel Günther. In diesem Bundesland war Monalisa auch stellvertretender FDP-Landesvorsitzender, befreundet mit Hans-Dietrich Genscher und Rosa von Praunheim. Jetzt spielt sich sein Leben vor allem in der barrierefrei umgebauten Wohnung im Lebensort Vielfalt ab, wo er mit seinem Rollstuhl gut in jeden Winkel kommt.
Priester ist er übrigens immer noch. Und demnächst steht ein großer Tag an: Da werden Monika und Elke, die ja schon seit sechs Jahren verheiratet sind, im Festraum von ihm den Brautsegen empfangen. An der Wand soll eine Regenbogenfahne hängen.
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