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Hauptdarsteller Jeremy Irvine als Danny Winters (r.) und Jonny Beauchamp als Ray.

© Warner Bros. / dpa

"Stonewall" von Roland Emmerich: Ins Herz getroffen

Eine Community probt den Aufstand: Roland Emmerichs Film „Stonewall" kommt nach massiven Protesten in den USA nun in die deutschen Kinos.

Das wird wohl bis auf Weiteres der Flop des Jahrhunderts bleiben: 17 Millionen Dollar Budget stehen einem Einspiel von 187 000 Dollar gegenüber, zusammengekratzt in drei Wochen, bevor der Film komplett aus den US-Kinos verschwindet. Und das bei dem neuesten, weitgehend aus eigener Tasche finanzierten Werk des doch so verlässlichen Blockbuster-Lieferanten Roland Emmerich, der einst allein mit „Independence Day“, „Godzilla“ und „The Day After Tomorrow“ für mehr als eine halbe Milliarde Dollar gut war. Oh ja, „Stonewall“, der nun nach den USA wohl exklusiv in Deutschland startet, ist Emmerichs persönliches Disaster Movie.

Zweite – auch bereits historische – Sensation: „Stonewall“ war schon am Ende, bevor er überhaupt Mitte September in die Kinos kam. Zwei Minuten Trailer Anfang August genügten, die schwul-lesbische und Transgender-Community Amerikas gegen Emmerichs naive Hymne auf den Aufstand vom Juni 1969 in New Yorks Greenwich Village aufzubringen, der rund um die Kult-Bar Stonewall Inn begann und zum Auslöser der weltweiten Gay-Pride- und Christopher-Street-Day-Umzüge wurde.

Proteste in den sozialen Netzwerken genügten, auf Twitter, Tumblr, in Youtube-Bewertungen und Boykott-Petitionen, um dem Film den Garaus zu machen, bevor ihn überhaupt jemand im Kino sehen konnte.

Was war geschehen? Der Trailer konzentrierte die Handlung rund um einen jungen weißen Mann namens Danny (Jeremy Irvine) und lässt ihn auch noch den ersten Ziegelstein der Revolte werfen. Dadurch fühlten sich wichtige Protagonisten der Bewegung, die Afroamerikaner, die Latinos, die lesbischen Kämpferinnen und die Transgender-Fraktion diskriminiert, die zumal ihre Koryphäe, Marsha P. Johnson, nicht mit einer Transgender-Darstellerin besetzt sah. Weitere Vorwürfe im Detail rundeten das Bild ab. Das Urteil: „Whitewashing“ einer extrem bunten Bewegung, kurzum Geschichtsfälschung total.

Emmerich ist selber schwul

Nun ist „Stonewall“ kein Dokumentarfilm (es gibt bereits zwei zum Thema) und sollte sich, als Rekonstruktion mit auch hinzuerfundenen Figuren, entsprechende Freiheiten leisten dürfen. Auch wirkt der Furor der Community, die jüngst mit der Anerkennung der Homo-Ehe in allen Staaten der USA ihren größten Erfolg feierte, vor allem vor der Tatsache besonders unbarmherzig, dass Roland Emmerich selber offen schwul lebt – und mit der „Herzensangelegenheit“ dieses Films den Anfängen der schwul-lesbischen Befreiungsbewegung sein persönliches Denkmal setzen wollte. Aber so fulminant der Marsch durch die sturzkonservativen gesamtamerikanischen Institutionen auch verlaufen sein mag, mit der Deutungshoheit über die bitteren Anfänge des Kampfs ist auch fast ein halbes Jahrhundert später nicht zu spaßen.

Tatsächlich funktioniert dieser Danny aus Indiana wie das Alter Ego des Schwaben Emmerich: ein Junge aus der Provinz, der sich erst in den Metropolen fern der Heimat zur Homosexualität bekennen lernt. Zum echten Helden aber, gar zum Anführer bringt er es in dem mit knapp 130 Minuten länglich geratenen Film nicht. Die charismatischen Figuren sind Ray (echter Power-Player: Jonny Beauchamp), ein androgyner Stricher in Frauenklamotten, und Trevor (cool und nobel: Jonathan Rhys Meyers), ein politischer Kämpfer der ersten Stunde für die Schwulenrechte. Danny, Ray und Trevor bilden auch ein klassisch misslingendes Liebesdreieck, und aus den entsprechenden Eifersuchts- und Einsamkeitsszenen bezieht der Film seine anrührendsten Momente.

Der Aufstand verpufft wie eine Kleinstadtrandale

Auch lässt sich nicht behaupten, die schillernde Szenerie aus Tunten und Transen, Drag Queens und zumindest im politischen Kampf harten Jungs komme zu kurz, weil sich Emmerich gar zu sehr in seinen blassen Hauptdarsteller mit der verspäteten Elvis-Tolle verguckt. Im Gegenteil, der Film fokussiert sich auf nichts so recht, erzählt ungelenk, treibt – von stereotypen Rück- und Parallelblicken ins Provinzleben unterbrochen – bedauernswert schlingernd seinem dramatischen Höhepunkt entgegen: dem Aufstand selbst, und der verpufft auch noch, inszeniert wie eine Kleinstadtrandale. Ein böser Wille des Regisseurs allerdings lässt sich aus alledem nicht ablesen, dafür Schlimmeres: ein verblüffendes Unvermögen.

Ein gut gemeinter, aber schwacher Film

So geht das mitunter mit Herzensangelegenheiten. Man kriegt sie nicht hin. Und wer den Schaden hat, braucht für den Shitstorm nicht zu sorgen. Von „Stonewall“, diesem so gut gemeinten wie schwachen Film wird folglich nichts bleiben als seine beispiellose öffentliche vorfristige Hinrichtung. Wer die Freiheit des Kinos liebt, der kann über solche Tendenzen nicht glücklich sein.

Ab Donnerstag in den Kinos Blauer Stern Pankow, Cinemaxx Potsdamer Platz, Filmtheater a. Friedrichshain, Kant Kino, Kino in der Kulturbrauerei, Xenon, New Yorck. OV: Rollberg, Cinestar Sony-Center

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