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Nour im Krankenach der Attacke.

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Nach brutalem, queerfeindlichen Angriff: „Ich bin unendlich dankbar, dass ich überlebt habe“

Ende August wurden Nour und eine weitere Person in Berlin queerfeindlich attackiert. Im Interview spricht er über den Vorfall und erzählt, was er mit seiner Petition erreichen möchte.

Stand:

Nour ist 30 Jahre alt und arbeitet als Kinderbetreuer. Ende August wurden er und eine weitere Person Opfer eines brutalen, queerfeindlichen Angriffs am Halleschen Tor. Seinen Nachnamen möchte Nour aus Sicherheitsgründen nicht nennen. Er ist der Redaktion aber bekannt. Nach dem Angriff startete Nour eine Petition gegen Queerfeindlichkeit.

Nour, wie geht es Ihnen?
Ich bin unendlich dankbar, dass ich den Vorfall überlebt habe. Bei dem Angriff wurde meine Stirnhöhle zertrümmert. Ich musste operiert werden. Körperlich erhole ich mich gut. Doch die wahre Herausforderung ist die psychische Erholung. Mein Sicherheitsgefühl ist zutiefst erschüttert, besonders im Dunkeln. Ich bin ständig in Alarmbereitschaft und zucke bei jedem Geräusch und jeder Berührung zusammen.

Sie und eine weitere Person wurden am 22. August nachts am Halleschen Tor brutal queerfeindlich angegriffen. Können Sie aus Ihrer Perspektive noch einmal schildern, was passiert ist?
Der Vorfall begann, als wir ein Drogenangebot einer Gruppe von Männern ablehnten. Einer der Männer folgte uns daraufhin und ich fragte ihn, ob alles in Ordnung sei. Er lachte und ging zu seiner Gruppe zurück. Kurz darauf beleidigte uns die gesamte Gruppe massiv mit Ausdrücken wie „scheiß LGBTQ”, „ihr Ficker“, „Hurensöhne“ und „Schwuchteln“.

Wir gingen weiter. Kurz darauf wurden wir von zwei weiteren Männern auf einem Moped verfolgt, die uns weiterhin beleidigten und anspuckten. Einer der Männer stieg vom Moped ab und griff meine Begleitperson an. Auch ich wurde während des Angriffs geschlagen.

Obwohl wir laut um Hilfe riefen, reagierten die anwesenden BVG-Sicherheitsmitarbeiter nicht. Anschließend gesellten sich weitere Täter hinzu, sodass die Gruppe, die uns angriff, aus schätzungsweise neun bis zehn Personen bestand. Die Gruppe schlug uns brutal, bis eine Frau lautstark schrie, woraufhin die Angreifer flohen.

Sie sind aus Syrien – ein Land, in dem queere Menschen nicht frei leben können – nach Deutschland geflohen. Hat der Angriff Ihr Bild von Deutschland verändert?
Der Angriff hat mein Bild von Deutschland nicht verändert, sondern eher bestätigt. Ich bin aus Syrien geflohen, um in einer Gesellschaft zu leben, in der ich frei sein kann. In meiner Heimat habe ich wenig Akzeptanz erlebt. Die deutsche Staatsbürgerschaft zu haben, ist für mich daher mehr als nur ein Pass, es ist ein Bekenntnis zu einer Gesellschaft, die Offenheit und Vielfalt schätzt.

Der Überfall war ein schockierendes Erlebnis, aber er hat mir auch gezeigt, wie stark die Solidarität in dieser Gemeinschaft ist. Ich bin froh, hier zu sein und mich aktiv in die Gesellschaft einzubringen, um gemeinsam an einer Zukunft zu arbeiten, in der jeder Mensch sicher und ohne Angst leben kann. Der Angriff zeigt, dass der Kampf noch nicht vorbei ist, aber die Solidarität beweist, dass wir diesen Kampf gemeinsam gewinnen werden.

Nour fällt es schwer, über den Angriff zu sprechen, doch er setzt sich dafür ein, dass queere Menschen in der Öffentlichkeit besser geschützt werden.

© privat

⁠Wie erleben Sie diese Solidarität?
Die Reaktion meines Umfelds und der Community war überwältigend und hat mir unheimlich viel Kraft geschenkt. Die Unterstützung kam aus allen Richtungen: von Freunden, Bekannten, Kollegen und sogar von Freunden von Freunden und deren Familien.

Ich hatte sehr viele Besucher im Krankenhaus und bekam zahlreiche Anrufe, E-Mails und Nachrichten. Was mir besonders im Gedächtnis geblieben ist, war ein großer Blumenstrauß des Berliner Queerbeauftragten Alfonso Pantisano, der an meinem Nachttisch stand, noch bevor ich aus der OP kam. Auch Maneo begleiten mich weiterhin und ich bin für die Hilfe des Projekts dankbar. All das hat mir geholfen, mich nicht allein zu fühlen.

Mit meiner Offenheit hoffe ich, anderen Betroffenen Mut zu machen, ihre Erfahrungen ebenfalls zu teilen.

Nour über seine Gründe, über die Attacke zu sprechen.

Wir führen dieses Interview schriftlich. Eigentlich wollten wir persönlich miteinander sprechen. Kurz vor dem Interview, schrieben Sie mir, dass ein Gespräch mental zu belastend für Sie sein würde. Trotzdem wandten Sie sich mit Ihrem Fall an die Öffentlichkeit. Sie haben eine Petition ins Leben gerufen. Weshalb setzen Sie sich dem aus?
Es fällt mir nicht leicht, über den Angriff zu sprechen, weil er emotional sehr belastend ist und mich natürlich viel Kraft kostet. Dennoch ist es mir wichtig, meine Stimme zu erheben. Denn viele Menschen erleben Ähnliches, schweigen jedoch aus Angst oder Scham.

Gerade deshalb möchte ich offen darüber reden. Ich bin überzeugt, dass wir nur dann echte Veränderungen erreichen können, wenn wir gemeinsam lauter werden. Mit meiner Offenheit hoffe ich, anderen Betroffenen Mut zu machen, ihre Erfahrungen ebenfalls zu teilen.

Was erhoffen Sie sich von der Petition?
Sie verfolgt drei zentrale Ziele: Eine lückenlose Aufklärung und eine konsequente juristische Verfolgung. Wir setzen uns außerdem dafür ein, dass queere Menschen im öffentlichen Raum besser geschützt werden. Das bedeutet konkret: mehr sichtbare Präsenz der Polizei, zusätzliche Anlaufstellen für Betroffene von Hasskriminalität und spezielle Schulungen für Polizei und Justiz, um besser mit solchen Fällen umgehen zu können.

Und das dritte Ziel?
Wir verlangen von der Politik, sich klar zu positionieren und nachhaltige Präventionsarbeit zu leisten. Es ist besonders alarmierend, dass der Berliner Senat plant, die Förderung für queere Bildungsprojekte an Schulen ab 2026 fast vollständig zu streichen. Dies ist ein fataler Rückschritt. Gerade Bildung und Aufklärung sind die wirksamsten Mittel, um Hass und Vorurteile abzubauen. Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, werden Übergriffe auf queere Menschen weiter zunehmen. Wir brauchen deshalb dringend mehr Bildungsarbeit und Sichtbarkeit in Schulen, Verwaltungen und der gesamten Gesellschaft.

Die Stimmung gegen queere Menschen wird auch in Berlin immer rauer. Gibt es etwas, das Ihnen dennoch Hoffnung gibt?
Die raue Stimmung in Berlin gegen queere Menschen ist für mich eine schmerzhafte Realität. Ich habe selbst erlebt, wie Hass und Vorurteile von Generation zu Generation weitergegeben werden, eine Dynamik, die ich um jeden Preis durchbrechen möchte. Mein Engagement für Kinder ist daher eine Herzensangelegenheit, die stark von meiner eigenen Herkunft und meinem Leben geprägt ist.

Was mir Hoffnung gibt, ist meine Arbeit mit den Kindern. Wenn ich sehe, wie offen und neugierig sie sind, wie leicht sie Vielfalt annehmen und wie schnell sie lernen, dass Akzeptanz und Liebe die Basis unserer Gesellschaft sein sollten, dann weiß ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Es ist unsere Aufgabe, den Kreislauf des Hasses zu durchbrechen und ihnen die klare Botschaft zu vermitteln, dass Vielfalt eine Bereicherung ist.

Hinweis: Nour bat nach der Veröffentlichung, eine kurze Passage des Interviews zu seinem Schutz zu depublizieren. Wir sind diesem Wunsch nachgekommen.

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