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Orbán verbietet Pride-Paraden in Ungarn: „Das Verbot ist nur Teil einer größeren Strategie“
Ungarn droht Teilnehmenden von Pride-Veranstaltungen künftig mit hohen Geldstrafen und polizeilicher Erfassung. Experten sehen darin den Versuch, grundlegende Rechte noch weiter zu begrenzen.
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Regenbogenfahnen wehten in der Luft, vereinzelt wurden Rauchbomben gezündet – auf der Elisabeth-Brücke in der ungarischen Hauptstadt Budapest gab es kein Durchkommen mehr. Tausende Menschen demonstrierten dort Anfang der Woche und später auch an den anderen vier Brücken der Stadt. Es ist die zweite Großdemonstration innerhalb von zwei Wochen.
Was die Menschen auf die Straße trieb, ist die Angst um ihre Freiheit: Denn in Ungarn soll verboten werden, was mitten in Europa eigentlich kaum vorstellbar ist: Das Feiern von nicht-heterosexueller Lebensformen, also Pride Paraden, wie sie in vielen Ländern auf der Welt stattfinden. Geht es nach Regierungschef Viktor Orbán, wird das in seinem Land künftig anders sein.
In einem Eilverfahren billigte das ungarische Parlament kürzlich einen entsprechenden Gesetzesvorschlag des von Orbán angeführten Regierungslagers.
Wenn am 28. Juni in Budapest die 30. Pride Parade stattfindet, drohen Teilnehmern 500 Euro Bußgeld und eine Erfassung durch die Polizei. Diese soll die Menschen mittels Gesichtserkennungssoftware identifizieren.

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Dávid Vig, Direktor von Amnesty International in Ungarn, ist erschüttert über das geplante Verbot und die Höhe der Strafe – „Der Mindestlohn in unserem Land sind 727 Euro – da sind 500 Euro sehr viel“. Überhaupt sei der Vorstoß eine klare Verletzung der Versammlungsfreiheit, sagt der Jurist dem Tagesspiegel. Wirklich überrascht ist er aber nicht. Vig weist darauf hin, dass Ungarn seit Jahren Menschenrechte einschränkt, und dass insbesondere seit 2020 trans Personen stark diskriminiert werden.
Ungarns Gesellschaft ist zunehmend gespalten
2021 setzte Orbáns rechtskonservative Partei den ersten Schritt – mit der gesetzlichen Beschränkung der Information über Homo- und Transsexualität für Minderjährige. In sämtlichen Passagen wird darin Homosexualität mit Pädophilie oder Pornografie gleichgesetzt.
Wie sich das seither im Alltag auswirkt? „Es verbietet, in Schulen über Sexualität und Geschlechtsidentität zu sprechen und es gibt Beschränkungen für Filme und Medieninhalte“, sagt Vig. Auch die Unterstützung von LGBTIQ-Personen in Schulen sei nun verboten. Nur noch von der Regierung ausgewählte Organisationen dürfen dort Vorträge zur Sexualaufklärung halten.
Vig erklärt, dass die ungarische Gesellschaft zunehmend polarisiert wird. Während in städtischen Gebieten wie Budapest die Unterstützung für LGBTIQ-Rechte wachse, nehme die Feindseligkeit auf dem Land und in ländlicheren Regionen zu.
In der Kleinstadt Debrecen wurde an einem Haus, das gemeinschaftlich von der Zivilgesellschaft genutzt wird, eine Regenbogen-Fahne als Zeichen der Solidarität gehisst. Ein paar Leute, Vig bezeichnet sie als Neonazis, seien daraufhin in das Gebäude und hätten Menschen brutal verprügelt.
Dávid Vig sieht in Orbáns Politik eine bewusste Strategie, Identitätspolitik zu nutzen, um Wähler zu mobilisieren und von anderen politischen Problemen wie Korruption und wirtschaftlichen Herausforderungen abzulenken.
Identitätspolitik als Wahlkampfthema
„Die Regierung hat ein Thema gefunden, mit dem sie Wähler mobilisieren kann: Identitätspolitik. Es ist nicht unähnlich zu dem, was in anderen Ländern wie Deutschland mit Migrationsthemen gemacht wird.“
In weniger als einem Jahr steht in Ungarn die Parlamentswahl an – und aktuellen Umfragen zufolge hat die neu gegründete konservative Partei „Respekt und Freiheit“ (Tisza) von Péter Magyar gute Chancen auf den Wahlsieg. Sie steht in einer Befragung vom 25. März bei 41 Prozent, die Partei von Viktor Orbán (Fidesz) kommt auf 38 Prozent.

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Bei der letzten Europawahl erzielte Magyar aus dem Stand 31 Prozent und sieben Mandate im Europäischen Parlament. Fidesz kam auf 44 Prozent – das bisher schlechteste Ergebnis bei EU-Wahlen.
Politische Falle für die Opposition
Bereits länger versucht Orbán, seinen Rivalen zu schwächen. Auch der aktuelle Vorstoß ist Teil dieser Strategie – „es ist eine politische Falle“, sagt Daniel Hegedüs, Experte für internationale Beziehungen beim German Marshall Fund.
„Das Verbot von Pride-Veranstaltungen und die Einschränkung der Versammlungsfreiheit sind Themen, auf die die Opposition reagieren muss. Und dabei könnte sie konservative Wähler in ländlichen Gebieten verlieren, die nicht mit einer liberalen Haltung zu LGBTIQ-Rechten übereinstimmen. Reagiert sie gar nicht, könnte sie die Unterstützung der städtischen, liberalen Wählerschaft verlieren, die dies als Menschenrechtsverletzung ansehen würde.“
Hegedüs weist darauf hin, dass das Verbot von Pride-Veranstaltungen und die Änderung des ungarischen Grundgesetzes, die dies ermöglicht, eine noch weitreichendere Bedeutung haben könnten: Sie könnten als Grundlage für weitere Einschränkungen grundlegender Rechte dienen – nicht nur bezogen auf queere Veranstaltungen, sondern auch für politische Protesten und Wahlkampfveranstaltungen der Opposition in der Vorwahlzeit 2026.

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Orbán könne durch diese Maßnahmen die politische Landschaft so gestalten, dass sie seinen Interessen dient. „Das Verbot von Pride-Veranstaltungen ist nur ein Teil einer größeren Strategie, grundlegende Rechte und die Versammlungsfreiheit weiter zu begrenzen – insbesondere in Wahlkampfzeiten.“
Wie reagiert die EU?
Gleichzeitig sendet Orbán eine Botschaft adressiert an Brüssel: Er möchte die EU herausfordern, um zu zeigen, dass diese ihre Werte in Mitgliedstaaten wie Ungarn nicht durchsetzen könne, so Hegedüs. Der ungarische Regierungschef nehme die EU als geopolitische Referenz zunehmend weniger ernst, besonders seit Donald Trump in den USA wieder das Sagen hat und Wladimir Putin in Russland weiterhin am Hebel sitzt.
Warum Ungarn noch in der EU ist: Die Regierung profitiere von der EU in vielerlei Hinsicht, vor allem finanziell. Allerdings strebe Orbán an, die EU von innen heraus zu verändern, um mehr Autonomie für sein autoritäres Regime zu gewinnen, sagt Hegedüs.
Auf den jüngsten Vorstoß hat die EU-Kommission bisher nicht reagiert. Nur einzelne Abgeordnete, darunter die Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Terry Reintke, haben ihre Teilnahme bei der Pride im Juni angekündigt.
Auch Dávid Vig, Direktor der ungarischen Amnesty-Sektion, wird dort sein: „Ich werde teilnehmen, egal ob die Polizei es verbietet.“ Trotz der repressiven Gesetzgebung sieht er Hoffnung in der Unterstützung von der Bevölkerung und der internationalen Solidarität. „Die Pride-Veranstaltung könnte zu einem Symbol des Widerstands gegen die Regierung und für die Freiheit werden.“
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