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Tucké Royale über die queere Uckermark: "Mit großstädtischer Arroganz auf die Provinz blicken? Nicht mit mir"

Queer in Ostdeutschland: Der Künstler Tucké Royale ist für einen Film durch die Uckermark getourt. Ein Gespräch über LGBT-Engagement fern der Metropole.

Der Performer und Künstler Tucké Royale thematisiert in seiner Arbeit häufig die queeren Dimensionen von Geschicht(sschreibung). In "Stonewall Uckermark" nimmt er sich auch seine eigene queere ostdeutsche Biografie vor. Der semi-fiktionale Film von Royale, Johannes Maria Schmit & Schuldenberg ist derzeit im Schnitt. Einen Einblick in das Projekt und dessen Vorgeschichte gibt Royale wieder an diesem Montag und Dienstag (28./29.10.) im Hebbel am Ufer 3.

Wir haben vorab mit Tucké Royal über sein Projekt gesprochen.

Wer ist Markus Hawemann?
Markus Hawemann ist die Hauptfigur in dem im nächsten Jahr erscheinenden Spielfilm. Er ist ein 27-jähriger Typ, der in Brandenburg für seine Großmütter sorgt und der von einem Leben in der Großstadt träumt. Das Jobcenter hat ihn auf dem Kieker. Manchmal trifft er sich mit Männern zum Sex oder joggt stundenlang Feldwege entlang. Auf seinen Strecken durch die Uckermark erscheint ihm immer wieder eine Schar schillernder Dämonen, die Hologrammfamilie, die ihn an seine Sehnsucht nach großstädtischer Gemeinschaft erinnert.

Sie sind selbst in der sachsen-anhaltinischen Provinz aufgewachsen. Inwiefern wird mit "Stonewall Uckermark" auch die eigene Biografie umgeschrieben?
Die Rückkehr in die Provinz ist der Versuch zu jeder Zeit an jedem Ort zu verstehen und, wenn es sein muss, produktiv misszuverstehen, dass man grundrichtig und Teil verschiedener Gemeinschaften ist. Diese Erzählung war mir nur möglich aus der Erfahrung, aus dem Kontrast der Großstadt. Berlin macht selbstbewusster und verzärtelt, was man beides dringend braucht, wenn man vorher vereinzelt worden ist. In gewisser Weise überschreibe ich mit "Stonewall Uckermark" die gescheiterten Versuche, Selbstbestimmung und Zugehörigkeit zu erlangen. Der Provinz eine zweite Chance zu geben, ist wunderbar versöhnlich.

Zum 50. Stonewall-Jubiläum wurde mit einer Wagenkolonne und ein paar Dutzend Statist*innen durch die Uckermark getourt. Was hatte es damit auf sich?
In Brandenburg engagieren sich verschiedene LGBTI-Initiativen seit mehreren Jahrzehnten. Schlüsselerlebnisse oder Identifikationsmöglichkeiten anzubieten und zum Gespräch einzuladen, sind oft ehrenamtliche Arbeiten, die von großer Warmherzigkeit, Ausdauer und Diskussionsbereitschaft getragen sind. Es kann einen Unterschied machen, ob in einer Kleinstadt im Hochsommer die Regenbogenfahne gehisst wird und Ansprechpersonen für Bewohner*innen allen Alters einen Stand aufgebaut haben – wie AndersARTIG es beispielsweise mit ihrer LesBiSchwulen Tour seit 1998 machen.

Auf dem Weg in die Uckermark - ein Bild aus dem Filmmaterial von Tucké Royale.
Auf dem Weg in die Uckermark - ein Bild aus dem Filmmaterial von Tucké Royale.

© Tucké Royale

Die Menschen, die sich in der Provinz engagieren, haben meinen vollen Respekt. Ich bin auch angesichts einer wachsenden rechtsextremem Bedrohung nicht mehr bereit, auf sie mit großstädtischer Arroganz zu blicken.

[Das ist eine Leseprobe aus dem monatlichen Queerspiegel-Newsletter des Tagesspiegel - hier geht es zur Anmeldung.]

Knapp 30 Jahre nach dem Fall der Mauer assoziieren die meisten das ländliche Ostdeutschland nicht mit LGBTI-Vielfalt. Welche Einblicke gab es bei der Recherche und den Dreharbeiten über das queere Leben dort?
Bei meinen Recherchen im Archiv des Schwulen Museums* wurde deutlich, inwiefern die DDR – trotz ihrer autoriären Piefigkeit – im Vergleich zur BRD schon 1968 einen deutlich moderaterem Kurs in Sachen Entkriminalisierung von Homosexualität eingeschlagen hatte. Mit der Annektion des Ostens durch die BRD, der sogenannten Wiedervereinigung, fürchteten schwul-lesbische Gruppen und die Aidshilfen der DDR eine erneute Kriminalisierung.

Das Leben in der Provinz ist und bleibt allerdings ein von größeren Widerständen geprägtes als das in der Großstadt. Wenn man sich jetzt das Engagement im ländlichen Raum ansieht, muss man leider sagen, es ist wie eh und je von Wegzug und neuerdings von Sparpolitik bedroht. Dass Programme wie "Demokratie Leben!" Initiativen die Planungssicherheit ihrer Arbeit entziehen, ist ein fataler Kurs der Politik. Wir wissen aus den Neunzigern, wie durch Kürzungen in der Jugendarbeit und Soziokultur die Jugendclubs den Rechten überlassen worden. Die Initiativen in Brandenburg haben immer auch einen antirassistischen Ansatz.

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