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Jenseits von Graffiti. Im Wynwood Art District kommt, wie hier, nur Kunst an die Wände. Jede Straße eine Freiluftgalerie, eine Traumlandschaft in Farbe.

© Imago/Zuma Press

Miami Nice: Kein Ort für schwere Jungs

Miami Downtown wurde lange gemieden. Zu düster, zu gefährlich. Nun ist es ein Hotspot für Kunst und Kultur.

Blöder Zimmersafe. Will Reisepass und iPad schon wieder nicht rausrücken. Hatte vorhin nach gewisser Zeit ein Einsehen, aber diesmal doktert Luis, Hoteltechniker im „Circa39“, schon eine Viertelstunde dran herum. Müssen wir jetzt, so ohne Papiere, in Miami Beach bleiben? Wäre nicht das Schlechteste. Ohnehin lässt sich’s mit Luis nebenbei nett plaudern. Aus Costa Rica stammt er, für ein Jahr zur Arbeit hergekommen, woraus nun schon acht wurden. Hier sei jetzt seine Heimat, hier gehöre er her, in dieses Hotel, erklärt er. Ein Trinkgeld zum Abschied, als sich der Safe plötzlich geöffnet hat? Luis lehnt freundlich, aber entschieden ab: „Sie sind doch als Gast mein Boss.“

Eine winzige Alltagsüberraschung nur, und doch: Zeigt sich etwa hier schon Miamis freundliches Wesen, die besondere, viel beschworene Lässigkeit – das, was die Tourismuswerber mit ihrem Slogan „It’s so Miami“ zu fassen versuchen? Etwas, das nicht immer zum Image der Stadt gehörte, deren Bild lange vom „Miami Vice“-Klischee geprägt war: coole Bullen in modischen Klamotten, schöne, etwas leichtsinnige Frauen, brutale Dealer, kubanisch dominierter Latino-Mix unter Palmen, dazu als Kulisse bonbonfarben verzierte Art-déco-Fassaden. Ein schablonenhaftes Bild. Die Vielfalt Miamis dürfte vielen Touristen nach ihrem Besuch entgangen sein. Superbullen oder -dealer sind ihnen keine über den Weg gelaufen, aber gesehen haben sie kaum mehr als den Ocean Drive in South Beach. Schade.

Wobei das Negativklischee teilweise stimmte. Für den Biscayne Boulevard, der parallel zur Küstenlinie der langgestreckten Bucht aus Norden nach Downtown führt, traf es bis vor zehn Jahren noch zu. Als Teil des Highway 1 war er wichtigstes Einfallstor in die Stadt, gesäumt von Motels und Restaurants, bis der neue Expressway in den sechziger Jahren ihm die Kundschaft stahl, Kriminalität, Drogen und Prostitution sich breitmachten und die nun oft leer stehenden Gebäude verkamen. Kein Ort, wo man als Urlauber absteigen mochte, trotz der architektonischen Perlen, die sich weiterhin, reichlich ramponiert, entlang der Straße reihten.

Häuser wie das Vagabond Motel, Anfang der Fünfziger vom renommierten Architekten Robert Swartburg entworfen im spacig-futuristischen Miami-Modern-Stil, kurz MiMo genannt, Ausdruck des optimistischen Zukunftsglaubens dieser Zeit. Sogar Sammy Davis Jr. übernachtete hier, nach Shows des „Rat Pack“ in Miami Beach. Seine Kollegen, wie Frank Sinatra, mit dem er im Vagabond auch mal aufgetreten sein soll, kamen in den schicken Strandhotels unter, was ihm als Farbigem verwehrt war.

Der Biscayne Blvd soll wieder glänzen

Bis vor wenigen Jahren war das Motel nur noch eine Bruchbude, der Pool zugeschüttet. Heute ist es aufs Schönste restauriert und auf Hotelstandard gehoben, strahlen Zimmer und Restaurant im modern überformtem Retro-Chic, sogar die Mosaike einiger Delphine samt Meerjungfrau schimmern wieder vom Grunde des Pools – ein frisch poliertes Kleinod, „das architektonische Kronjuwel des Biscayne Blvd“, wie John Bachay schwärmt, Vorstandsmitglied der MiMo Biscayne Association.

Gerne führt er Besucher den Highway rauf und runter, scherzt über die „good old days“ der leichten Mädchen und schweren Jungs oder weist hier auf Nierentisch-Ornamente auf dem Trottoir hin, die die glorreiche Vergangenheit beschwören sollen.

Die Bürgerinitiative will den historischen Boulevard wieder zum Glänzen bringen, mit schon sehr präsentablen Ergebnissen: Zwar ist die verkehrsreiche, schwer zu überquerende Straße vom Ziel der Fußgängerfreundlichkeit noch weit entfernt, aber diverse Motels wurden bereits runderneuert, auch haben Restaurants und Designershops eröffnet. Demnächst soll sogar die erfolgreiche kalifornische Modemacherin Trina Turk hier einen großen Laden eröffnen.

Im Saxony Hotel scheint nichts zu teuer

Üppig kommt an. In Little Havanna wird bunt und selbstbewusst dekoriert.
Üppig kommt an. In Little Havanna wird bunt und selbstbewusst dekoriert.

© Andreas Conrad

So viel Aufbruchsstimmung scheint derzeit typisch für die touristisch eng verwobenen, kommunalpolitisch aber getrennten Nachbarstädte Miami und Miami Beach. Zwar wird die Zahl der Baukräne die der Palmen nie übertreffen, aber allenthalben werden einem stolz neue Viertel empfohlen oder sie entstehen gerade, und gern wird dann auf den Ruhm der Leute verwiesen, die daran beteiligt sind. Etwa im Faena District in Miami Beach, benannt nach dem Argentinier Alan Faena, einst Modedesigner, nun Hotelier, Investor und Projektentwickler der Spitzenklasse, der zwischen 32. und 36. Straße in Strandnähe ein neues Luxusviertel hinpflanzt, mit dem ehemaligen, 1948 eröffneten, nun auf aktuelles Topniveau gehievten Saxony Hotel als Zentrum.

Nichts scheint hier zu teuer: verschwenderisch groß die Eingangshalle („The Cathedral Hall“) des kürzlich eröffneten Hauses, das nun Faena Hotel heißt – die Säulen vergoldet, die Wände in barocker Pracht mit Gemälden des Argentiniers Juan Gatti bedeckt. In deren metaphorisch überladener Detailfülle („The Way to Futopia“) droht das Auge zu ertrinken, während die Riesenglasfront zum Strand hin den Blick auf ein von Damien Hirst vergoldetes Mammutskelett („The Golden Myth“) freigibt, durch eine gläserne Box vor jedem Wetter, selbst einem Hurrikan geschützt.

Miamis West Side Gallery. Geniale Pilgerstätte für alle Street-Art-Fans.
Miamis West Side Gallery. Geniale Pilgerstätte für alle Street-Art-Fans.

© Andreas Conrad

Auch daneben wurde geklotzt: Das benachbarte Apartmenthochhaus, vor dem ein sehr bunter Jeff Koons leuchtet, hat Sir Norman Foster entworfen, und das Kunstzentrum auf der anderen Seite der Collins Avenue stammt von Rem Koolhaas, der bald das KaDeWe veredelt. Insgesamt ein Stadtviertel zum Staunen, selbst wenn die Zimmerpreise normale Geldbeutel überfordern dürften. Sie beginnen irgendwo über 850 Dollar und enden knapp unter 5000.

Wer da nur cool die goldene Kreditkarte zückt, ist auch im Design District goldrichtig. Nördlich der Interstate 195, zwischen Biscayne Blvd und Miami Ave gelegen, ein schon ziemlich weit fortgeschrittenes work in progress, in dem man prima im Luxus schwelgen kann. Topmode, Edeldesign, Galerien, Restaurants – alles da. Aber es ist schon mehr als ein bloßes Shoppingviertel für Wohlhabende. Die Gebäude selbst wie die Geschäfte haben hohen Schauwert, sind nach den Wünschen der Firmen individuell gestaltet. Warenpräsentation ist hier zuallererst eine Frage der Fassade.

"Ryan the Wheelbarrow" erzählt

Im Wynwood Art District, südöstlich der Kreuzung aus Interstate 95 und 195, ist die Fassade sogar das Wichtigste. Architektonisch macht die Gegend nicht viel her: Ehemalige Lager- und Produktionshallen reihen sich hier Block an Block, vor gut zehn Jahren eine üble Gegend, wo Cops, in der Annahme, man habe sich verfahren, einen schon mal stoppten und hinauseskortierten. Heute komme es allenfalls vor, dass ein abgestelltes Auto morgens leer geräumt sei, so erzählt es jedenfalls Ryan Ferrell, genannt „Wheelbarrow“, Künstler und dazu ein begeistert erzählender Führer durchs bunte Reich von Wynwood.

Initiiert durch Tony Goldman, Projektentwickler und Kunstliebhaber, ist den vergammelten Gebäuden neues Leben eingepflanzt worden, durch Galerien, Antiquitätenläden, Restaurants, Bars und sogar drei kleine, auf Craft Beer schwörende Brauereien. Selbst an Feiertagen reißt der Strom der Besucher nicht ab. Im Wynwood Art District nämlich ist Kunst im Überfluss zu bestaunen, tagein, tagaus, 24 Stunden lang - auch eine Folge der Art Basel, die seit 2002 jeden Dezember in Miami gastiert.

East Side Gallery in Berlin? „Wheelbarrow“ hat davon noch nie gehört. Sein Reich ist, wenn man so will, Miamis West Side Gallery: das ganze Viertel ein Murals-Eldorado, eine Pilgerstätte für Street-Art-Freunde. Jede Wand ein Kunstwerk, jede Straße eine Freiluftgalerie, eine Traumlandschaft in Farbe, für die das auch auf bloße Schmierereien angewandte Wort Graffiti nicht mehr so recht passen will. Politische Botschaften wie am Berliner Mauerrest findet man selten, haushohe „Star Wars“-Szenen aber sind willkommen, ebenso eine Comicversion von Picassos „Guernica“ oder auch eine nächtliche Großstadtszene mit allem Drum und Dran.

Vandalismus, Schmierereien? Ja, die gebe es in geringem Maße auch, erzählt „Wheelbarrow“. Es treffe überwiegend Werke, die offenbar als zu kommerziell, als reine Auftragskunst empfunden werden, nicht also die teilweise eigens zur Art Basel entstandenen Meisterwerke.

Dominiert in solchen Vierteln das Neue, Zukunftsgerichtete, so in den Blocks nördlich und südlich der „Calle Ocho“ die Tradition, gegen die sogar ein offizieller Straßenname null und nichtig ist. SW 8th St? Sagt unter den kubanischstämmigen Bewohnern von Little Havanna kein Mensch. Also erst recht keiner der Spieler im „Domino Park“ an der Ecke 15th Ave, die dort, meist männlich und fortgeschrittenen Alters, unter zwei offenen Pavillons von morgens bis abends ihre Spielsteine hin- und herschieben.

Seit Jahrzehnten ist dies ein Treffpunkt der kubanischen Gemeinde, ein gern von Touristenbussen angesteuerter, gleichwohl fortwirkender Kristallisationsort ihrer Identität, ähnlich wie das westlich gelegene Denkmal für die Gefallenen der gescheiterten Invasion in der Schweinebucht 1961 oder das Tower Theatre gleich neben dem Domino Park. Ein Art-déco-Kino von 1926, in den Sechzigern für viele Exilkubaner ein erster Ort der Einführung in die US-Kultur. Seit 2002 steht es unter der Obhut des Miami Dade College, spezialisiert auf Arthouse.

Miami-Modern-Style. Im "Vagabond Motel" übernachtete schon Sammy Davis, Jr.
Miami-Modern-Style. Im "Vagabond Motel" übernachtete schon Sammy Davis, Jr.

© Andreas Conrad

Die Frage, was man nach einem Kinoabend noch anfangen könnte, ist dort leicht beantwortet: Rüber ins „Ball & Chain“! Ein Club mit nicht immer gesetzeskonformer Vergangenheit, Name und Logo, die an eine altmodische Methode der Gefangenenfesselung erinnern, deuten es an:1935 gegründet, anfangs Ort illegaler Freuden wie Glücksspiel und Alkohol, später Bühne für Jazzgrößen wie Count Basie, Billie Holiday und Chet Baker, jahrzehntelang geschlossen, im Herbst 2014 renoviert und neueröffnet, der Umgebung geschuldet im Latino-Stil.

"El Chino" bittet zum Tanz

Wer abends kommt, braucht Geduld: Nur langsam schiebt sich die Schlange dem Eingang entgegen. Vorn an der halbrund überdachten Bühne pulst die pure Lebenslust, schwingen und drehen sich die Paare im Salsa-Rhythmus, Junge, Alte, ein buntes Durcheinander. Und auch dahinter wippt es in den Hüften, werden die Zeilen von „Chan Chan“, dem berühmten Song des „Buena Vista Social Clubs“, lauthals und textsicher mitgesungen: „De alto Cedro voy para Marcané / Llegó a Cueto voy para Mayarí.“

Joaquin Mesa hat ein aufregendes Leben gelebt - und weiß auch heute noch das Beste daraus zu machen.
Joaquin Mesa hat ein aufregendes Leben gelebt - und weiß auch heute noch das Beste daraus zu machen.

© Andreas Conrad

Auch Joaquin Mesa, wegen einer chinesischen Großmutter nur „El Chino“ gerufen, hat es an diesem Abend wieder ins „Ball & Chain“ getrieben. Atemlos von der letzten Salsa-Runde? Aber wieso denn, er ist doch erst 80, trinkt nicht, raucht nur, ein ebenso tanz- wie flirtfreudiger Charmeur. Steht noch immer im Geschäftsleben, irgendwas mit Autoscheinwerfern, und muss ein abenteuerliches Leben hinter sich haben, an dem er auch Zufallsbekannte gern teilhaben lässt: Der Vater arbeitete noch fürs Batista-Regime, er selbst für Castro, der ihn als Leiharbeiter nach Sibirien schickte. Von dort – die Umstände bleiben im Nebel – floh er erst nach Kanada, dann trieb es ihn weiter nach Irland, Westdeutschland, Miami.

Es ist nicht ganz einfach, sich mit ihm zu unterhalten. Englisch? Auch nach knapp fünfzig Jahren USA spricht El Chino kein Wort, wozu auch. Er sehe sich als Exilanten, nicht als Immigranten, warte nur auf die Wiederkehr der Freiheit in seiner Heimat, versichert er. Wenn die Castros weg seien, kehre er zurück.

Aber genug geplaudert, schon hat El Chino die nächste Tanzpartnerin ins Auge gefasst. Eine einladende Geste, sie strahlt und nickt, schon schwirrt er davon.

Tipps für Miami und Miami-Beach

ANREISE

Air Berlin fliegt zwei Mal pro Woche nonstop von Berlin-Tegel nach Miami (ab knapp 500 Euro). Mit Umsteigen geht es täglich über Düsseldorf.

UNTERKUNFT
Das „Circa 39“ in Miami Beach ist ein dezent gestyltes Art-Deco-Mittelklassehotel von 1939, vor zwei Jahren renoviert, nur einen Block vom Strand entfernt (DZ ab ab 130 US-Dollar. ( 3900 Collins Ave, circa39.com). Schon etwas luxuriöser, mit üppigem Tropengarten und dem sehr empfehlenswerten Restaurant „essensia“, dazu direkt am Strand, ist das Palms Hotel & Spa, ebenfalls 1939 gebaut und von derselben deutschen Familie wie das „Circa 39“ betrieben (DZ ab 180 $). Das zentral gelegene Vagabond Hotel in Miami ist ein ehemaliges Art-Deco-Motel, mit gutem Restaurant und Poolbar (7301 Biscayne Blvd, Zimmer ab 159 $).

ESSEN
Kulinarisch spiegelt sich in Miamis Restaurants die ethnografische Vielfalt der Stadt wider. Wer den Reichtum der lokalen Küche kennenlernen will, kann kulinarische Spaziergänge durch Miami und Miami Beach buchen. Sehr hübsch gelegen in dem zu Spaziergängen einladenden Stadtteil Coconut Grove liegt das Peacock Garden Café, das seine Steaks allerdings in maßloser Dicke serviert, „medium“ bedeutet: innen völlig roh (2889 McFarlane Road). Mediterran inspirierte Küche findet man in dem vor Kurzem eröffneten, sehr unterkühlt gestylten Apeiro Kitchen & Bar in Midtown Miami. (3252 NE 1st. Ave).

KULTUR
Führungen zu Fuß oder per Rad durch den Wynwood Art District mit seinen Wandmalereien bietet der Künstler Ryan the Wheelbarrow an.

Die Tageszeitung „USA Today“ rühmte das Tower Theatre im Stadtteil Little Havana als eines der landesweit zehn besten Traditionskinos. Oft laufen spanisch untertitelte Filme. (1508 SW 8th St).

SHOPPEN UND AUSGEHEN
Eine Liste aller Shops im Design District findet man unter miamidesigndistrict.net. Essen aus Foodtrucks, Livemusik und eine Open-Air-Bar, dazu jede Menge einheimisches junges Publikum bevölkert das Wynwood Yard (56 NW 29th St). Ebenso glitzernd wie kulinarisch geht es bei den Dinnershows im angenehm plüschigen Cabaret El Tucán zu. Beim Orchester dominiert der Latino-Sound, dazu fliegen die Beine der Tanzgirls. Viele Federboas kommen zum Einsatz, in Maßen auch blanke Haut.

AUSKUNFT

Greater Miami Convention & Visitors Bureau. Broschüren zu Miami können per Mail über den Touristikdienst Truber angefordert werden.

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