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Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff respektiert und bedauert die Entscheidung aus Karlsruhe.

© Peter Gercke/dpa

Update

Rundfunkbeitrag steigt auf 18,36 Euro: Sachsen-Anhalts Regierungschef Haseloff sieht „Demokratieproblem“

Der Rundfunkbeitrag steigt um 86 Cent, die Blockade von Sachsen-Anhalt hat die Rundfunkfreiheit verletzt. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.

Der Rundfunkbeitrag steigt vorläufig auf monatlich 18,36 Euro. Das ordnete das Bundesverfassungsgericht in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss rückwirkend seit 20. Juli bis zum Inkrafttreten einer staatsvertraglichen Neuregelung an. Das Land Sachsen-Anhalt hatte die Erhöhung um 86 Cent blockiert, die Karlsruher Richter werteten dies als eine Verletzung der im Grundgesetz festgeschriebenen Rundfunkfreiheit.

„Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass das Land Sachsen-Anhalt durch das Unterlassen seiner Zustimmung zum Ersten Medienänderungsstaatsvertrag die Rundfunkfreiheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt hat“, heißt es in der Mitteilung, die das Gericht am Donnerstagmorgen auf seiner Webseite veröffentlicht hat. „Ein Unterlassen der öffentlichen Gewalt kann Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein“, wird die Zulässigkeit der Beschwerde begründet.

In Zeiten „vermehrten komplexen Informationsaufkommens einerseits und von einseitigen Darstellungen, Filterblasen, Fake News, Deep Fakes andererseits“ wachse die Bedeutung des beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks, entschied der Erste Senat unter Gerichtspräsident Stephan Harbarth mit dem nun veröffentlichten Beschluss vom 20. Juli. Die Sender sollten die Wirklichkeit durch „authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten“ unverzerrt darstellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund rücken. So bildeten sie ein „vielfaltsicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht“.

Der Gesetzgeber sei verantwortlich, dass auch die finanziellen Voraussetzungen für diese Aufgaben gegeben sind. „Erfüllt ein Land seine Mitgewährleistungspflicht nicht und wird dadurch die Erfüllung des grundrechtlichen Finanzierungsanspruchs unmöglich, liegt bereits darin eine Verletzung der Rundfunkfreiheit“, hieß es.

Alle dafür oder gemeinsam dagegen

In der weiteren Begründung heißt es, dass in diesem Fall keine „verfassungsrechtlich tragfähige Rechtfertigung für das Unterlassen der Zustimmung des Landes zum Staatsvertrag und damit die ausgebliebene entsprechende Finanzierung des Rundfunks besteht“.

Eine Abweichung von der Bedarfsfeststellung der KEF sei „nur durch alle Länder einvernehmlich möglich“. Anders gesagt: Entweder stimmen alle Länder zu oder geschlossen dagegen. „Hält ein Land eine Abweichung für erforderlich, ist es Sache dieses Landes, das Einvernehmen aller Länder über die Abweichung von der Bedarfsfeststellung der KEF herbeizuführen. Das ist nicht gelungen“, so die Karlsruher Richter.

Wenige Wochen vor der Bundestagswahl und inmitten der Koalitionsverhandlungen in Sachsen-Anhalt verkündet das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag seine Entscheidung zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags.
Wenige Wochen vor der Bundestagswahl und inmitten der Koalitionsverhandlungen in Sachsen-Anhalt verkündet das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag seine Entscheidung zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags.

© dpa

Ein hundertprozentiger Erfolg für die Öffentlich-Rechtlichen ist das Urteil allerdings nicht. Eine rückwirkenden Erhöhung des Rundfunkbeitrags zum 1. Januar 2021 ordneten die Richter nicht an. Sie verweisen darauf, dass die "Beurteilung der Auswirkungen der unterbliebenen Beitragsanpassung auf die Rundfunkanstalten in dem staatsvertraglich vereinbarten Verfahren erfolgen" kann.

"Das Urteil bestätigt die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks"

In einer ersten Reaktion äußerte sich Tom Buhrow als ARD-Vorsitzender. „Die Entscheidung versetzt uns in die Lage, in den kommenden Jahren weiter das bestmögliche Programm für die Menschen zu machen“, sagte Buhrow am Donnerstag. „Wir danken dem Gericht für die zügige Beratung und begrüßen die eindeutige Entscheidung zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit. Der Beschluss steht in Kontinuität mit der bewährten Rechtsprechung der vergangenen Jahrzehnte.“

Die Festsetzung des Rundfunkbeitrags müsse frei von politischen Interessen erfolgen. Für RBB-Intendantin Patricia Schlesinger steht im Zentrum des Beschlusses "ein Bekenntnis zur politischen Unabhängigkeit, gepaart mit einer klaren Aufgabenbeschreibung: Wir müssen gerade in Zeiten von einseitigen Darstellungen, Filterblasen und Fake News Orientierung geben und ein ausgewogenes, qualitätsvolles Gegengewicht bieten. Diese Aufgabe werden wir auch und vor allem im Netz zu erfüllen haben".

Auch das ZDF begrüßt die Entscheidung. "Der klare Beschluss der Karlsruher Richter bestätigt und stärkt die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Damit kann das ZDF für die kommenden Jahre verlässlich planen und dem Publikum weiter ein hochwertiges Programm bieten", teilte ZDF-Intendant Thomas Bellut dazu mit. Das ZDF werde nun gemeinsam mit der ARD, dem Deutschlandradio und dem Beitragsservice die Umsetzung des Beschlusses vorbereiten.

Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue merkt an, dass „das Bundesverfassungsgericht in beeindruckender Deutlichkeit den Wert eines staatsfern organisierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks betont" habe. Medienpolitische Erwägungen und Finanzierungsfragen dürften nicht verknüpft werden, die Auftragsdiskussion der Länder und Sender ist davon unabhängig zu führen. "Dass die Richterinnen und Richter erneut die wachsende Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Sender für authentische und sorgfältig recherchierte Informationen hervorheben, ist Bestätigung und Anspruch zugleich", so Raue.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sieht auch nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags offene Fragen. Das Abstimmungsverfahren, bei dem alle 16 Länderparlamente der KEF-Bedarfsfeststellung zustimmen müssen, bleibe eine Dilemma-Situation. Jeder Abgeordnete sei nur seinem Gewissen verpflichtet, betonte Haseloff. Ähnliche Situationen wie im Dezember 2020 im Landtag von Sachsen-Anhalt könnten damit immer wieder auftreten.

Er respektiere die Entscheidung des Gerichts, sagte Haseloff allerdings und betonte die hohe Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Haseloff bedauerte allerdings, dass die Karlsruher Richter kein neues Verfahren für die Festlegung der Beitragshöhe vorgegeben hätten. So bleibe unklar, was passiert, wenn die KEF einen bestimmten Finanzbedarf ermittelt, den die Landtage dann nicht akzeptieren würden. Die Parlamente seien immerhin frei in ihrer Entscheidung. „Das ist ein Demokratieproblem, was wir hier haben, das nicht aufgelöst ist.“

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) begrüßt den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Die Entscheidung bestärkt „uns in unserer Verantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk“, erklärte sie. Der Rundfunkbeitrag diene der Rundfunkfreiheit und damit der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung. „Als Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder hätte ich mir natürlich gewünscht, dass es einer solchen Klarstellung aus Karlsruhe gar nicht erst bedurft hätte“, betonte Dreyer.

Mit Erleichterung reagiert der Deutsche Journalisten-Verband auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Rundfunkbeitrag. DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall wertet das Urteil als „gutes Zeichen für den Qualitätsjournalismus bei ARD, ZDF und Deutschlandradio“. Er appelliert an die Sender, bereits eingeleitete und möglicherweise geplante Sparmaßnahmen zulasten der Programmangebote ad acta zu legen. Überall: „Es gibt jetzt keinen Grund mehr, an der journalistischen Qualität der öffentlich-rechtlichen Angebote zu sparen.“

Das für die Medien zuständige Verdi-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz wertete das Urteil als "dringend notwendige Klarstellung". Damit sei ein "verfassungsrechtlich nicht zulässiger staatlicher Eingriff in den grundgesetzlich geschützten freien Rundfunk abgewehrt" worden.

Sender machen Finanzlücke von 1,5 Milliarden Euro geltend

Die Karlsruher Richter hatten über die Verfassungsbeschwerden der öffentlich-rechtlichen Sender ARD, ZDF und Deutschlandradio gegen die Blockade durch Sachsen-Anhalt im vergangenen Jahr zu entscheiden. (Az. 1 BvR 2756/20 u.a.)

Für öffentlich-rechtliche Sender ist der Rundfunkbeitrag die Haupteinnahmequelle. Seit 2013 wird er je Wohnung erhoben und beträgt 17,50 Euro pro Monat. Zum Jahreswechsel hatte er auf 18,36 Euro steigen sollen. Den Bedarf ermittelt hat die unabhängige Kommission KEF. Es wäre die erste Erhöhung seit 2009 gewesen.

Seit dem 1. Januar 2017 beträgt der Anteil der ARD an den monatlichen 17,50 Euro 12,31 Euro. Das ZDF erhält 4,36 Euro und das Deutschlandradio 50 Cent monatlich. 33 Cent gegen an die Landesrundfunkanstalten.

So sollte eine Finanzlücke von 1,5 Milliarden Euro zwischen 2021 und 2024 ausgeglichen werden. Damit der ausgehandelte Staatsvertrag in Kraft treten kann, fehlt allerdings die Zustimmung Sachsen-Anhalts.

Der Ministerpräsident des Landes, Reiner Haseloff von der CDU, hatte den Gesetzentwurf am 8. Dezember vor der Abstimmung im Landtag zurückgezogen, weil sich abzeichnete, dass seine Partei - anders als die Koalitionspartner SPD und Grüne - die Erhöhung nicht mittragen würden. Und mit der AfD, die als Kritikerin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bekannt ist, wollte der Regierungschef keine gemeinsame Sache machen. Weil aber alle 16 Landesparlamente zustimmen müssen, ist die Erhöhung somit blockiert.

Die Sender sehen sich in ihrer Rundfunkfreiheit verletzt und haben in Karlsruhe geklagt. Die obersten Verfassungsrichter Deutschlands wiesen Eilanträge kurz vor Weihnachten ab, weil diese nicht gut genug begründet worden seien. Ihre Verfassungsbeschwerden seien auch „weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet“, so das Gericht damals. Allerdings sah es keinen Anlass, sofort einzugreifen. (mit dpa)

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