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Screenshot aus dem Film „Just Love“

© Quelle: Hessischer Rundfunk/ Screenshot aus dem Film „Just Love“

Umstrittene Sekte „Bhakti Marga“: Der Wunderguru aus dem Taunus

Diamantringe im eigenen Körper herstellen? 1000 Jahre alte Menschen treffen? Gedankenlesen? All das kann der Sektenguru von Bhakti Marga angeblich.

Wer zum ersten Mal hier ist, bekommt einen Jutebeutel geschenkt. Darin finden sich Räucherstäbchen, eine Kette und mehrere Faltblätter. Eines listet die Workshops auf, die man gegen Bezahlung buchen kann. Sie heißen „Vollmond-Abhishekam“, „Lebe Deine Bestimmung“ oder „Project Mantra-Kurs“. Auf der Rückseite ein Foto des Mannes, den hier alle verehren und „Guruji“ nennen.

Von diesen Kursen, sagt Leonie Weil, könne sie im Prinzip alle empfehlen. Sie ist seit 15 Jahren Anhängerin von Guruji und heißt eigentlich anders. Sie sagt: „Er kennt jeden Gedanken von dir. Er weiß alles.“

An diesem warmen Samstag im Juli sitzt Guruji lächelnd und singend auf der Hauptbühne des Festivals, das hier veranstaltet wird, lange dunkle Haare, grünes Gewand. Vor ihm hunderte Gläubige, die meisten weiblich, sie hüpfen und tanzen, strecken ihre Hand in den Himmel. Sie wirken sehr glücklich in der Nähe des Mannes, der nicht nur ihr Lehrmeister ist – sondern der auch von vielen als angebliche Verkörperung Gottes verehrt wird.

Bhakti Marga heißt die Sekte, die hier im Taunus im ländlichen Springen, eine halbe Stunde Autofahrt nordwestlich von Wiesbaden, ihr Hauptquartier bezogen hat. Eine ehemalige Gewerkschafts-Bildungsstätte hat Bhakti Marga zum Ashram umgebaut, mit Tempeln, Meditationsräumen und Statuen hinduistischer Gottheiten. Pfaue laufen frei über das Gelände, es gibt veganes Essen. Weltweit hat die Sekte nach eigener Auskunft 10.000 Anhänger. Sehr erfolgreich ist Bhakti Marga auf Instagram, wo sie sich mit professionellen Videos als fröhliche, tolerante und harmlose Gemeinschaft präsentiert.

Der Eingang zum Ashram.
Der Eingang zum Ashram.

© privat

Guruji heißt mit bürgerlichem Namen Mahadeosingh Komalram. Er ist 1978 auf Mauritius geboren, als Guru nennt er sich „Swami Vishwananda“. Seine Anhängerin Leonie Weil erklärt, der Mann könne Wunder vollbringen. Gelegentlich habe er Stigmata, die Wundmale Christi, an Händen und Füßen. Zum Beispiel zu Ostern oder als er einmal nach Lourdes gepilgert sei. Dafür gebe es Zeugen. Zudem könne der Guru Gegenstände, etwa Schmuck, materialisieren, indem er sie aus seinem Körper herauswürge. Ihr selbst habe er einmal einen Ring materialisiert, mit echten Rubinen und Diamanten dran.

Kann das alles wahr sein? Der Glauben an solche Fähigkeiten, im 21. Jahrhundert in Mitteleuropa? Das Fest, zu dem die Sekte an diesem Wochenende in ihren Ashram lädt, heißt „Just Love“-Festival. Kinder spielen auf dem Rasen, Gläubige spazieren über das Gelände, sitzen auf Bierbänken, trinken Kaffee. Es gibt Gesangsworkshops und Vorträge, bei dem die Gläubigen erzählt bekommen, wie wichtig es ist, dem Guru zu vertrauen.

Die Gemälde von Guruji kosten 5000 Euro

Guruji hat auch Bilder gemalt. Sie sind auf dem überdachten, mit bunten Stoffbahnen geschmückten Basar ausgestellt, der sich auf dem Festivalgelände etwas unterhalb der großen Bühne befindet. Die Bilder zeigen hinduistische Gottheiten. Öl auf Leinwand, Acryl auf Papier. 42 Stück sind es insgesamt. Der Mindestpreis jedes Bildes beträgt: 5000 Euro. Ja gut, das ist nicht wenig, sagt der Anhänger, der den Stand bewacht. „Das liegt daran, dass es seine Originale sind.“

Es gibt auch einen kleinen Katalog zu den Bildern. Darin wird Guruji tatsächlich als „the Lord Himself“ bezeichnet. Und dort steht, was es bedeute, wenn Guruji aus dem hessischen Taunus in seinen Bildern weltbekannte indische Götter malt: „Just imagine, the Lord Himself is painting Himself in all His glorious forms.“

Wer nicht so viel Geld hat, kann sich an einem der anderen Stände für deutlich weniger von einer Tätowiererin die Unterschrift des Gurus auf den Handrücken stechen lassen.

Guruji singt auf der Hauptbühne.
Guruji singt auf der Hauptbühne.

© privat

Anhängerin Leonie Weil sagt, sie halte sich eigentlich für einen rationalen Menschen. Sie sei damals über ihre Ayurveda-Spezialistin auf Guruji aufmerksam geworden. Wobei sie das eigentlich anders formulieren müsse: „Wenn er spürt, dass wir reif sind, dann begegnet er uns. Dann pflückt er uns wie eine Pflaume.“

Erst nichts gespürt, jetzt umso mehr?

Beim Rundgang über das Gelände erzählt sie von einer Zeremonie, bei der die Anhänger vor dem Guru eine Warteschlange bilden und er der Reihe nach jedem für einige Sekunden in die Augen schaut. Dabei trage er Schichten ihres Karmas ab, Leonie Weil sagt: „Er putzt unsere Seelen.“ Nach den ersten Zeremonien, an denen sie teilgenommen habe, sei sie ein bisschen enttäuscht gewesen, da sie überhaupt nichts gespürt habe. „Aber inzwischen spüre ich es deutlich.“

Mittlerweile sei durch die vielen Zeremonien schon sehr viel von ihrem Karma abgetragen. Sie hofft, dass sie in diesem Leben ihr großes Ziel erreicht: dass Guruji ihr seine Gnade schenkt. „Dann werde ich nach meinem Tod nicht wiedergeboren. Dann habe ich es hinter mir.“ Um das Erreichen dieses Ziels wahrscheinlicher zu machen, sagt sie, habe sie viel Geld an Bhakti Marga gespendet.

Wenn der Guru etwas sagt, ignoriere vollständig, was du fühlst.

Empfehlung aus einer Broschüre

Wer ein „Devotee“, ein echter Anhänger des Gurus, werden will, muss diesen nicht nur als Verkörperung Gottes ansehen, sondern als Verkörperung des höchsten Gottes, dem andere Götter untergeordnet sind. Genau so steht es in einer alten Broschüre der Sekte, die alle Grundsätze auflistet, zu der sich Interessierte verpflichten müssen, bevor sie „Devotee“ werden können.

Verlangt wird dort zum Beispiel: „Gehorsam gegenüber Paramahamsa Vishwananda und seinen Befehlen.“ Was genau mit „Gehorsam“ gemeint ist, steht dort auch unmissverständlich – nämlich den Anweisungen Gurujis zu folgen statt auf das eigene Herz zu hören: „Wenn der Guru etwas sagt, ignoriere vollständig, was du fühlst.“ Mittlerweile ist das Dokument nicht mehr auf der Homepage abrufbar.

Die Anfrage des Tagesspiegels, weshalb es vom Netz genommen wurde und ob es weiterhin Gültigkeit habe, beantwortet der Anwalt des Gurus nicht. Die Begründung dafür könnte sich in einer eidesstattlichen Versicherung finden, die Guruji gegenüber dem Landgericht Hamburg abgegeben hat: Er habe niemals verlautbaren lassen, Gott zu sein, und erwarte diesen Glauben nicht von seinen Anhängern.

Anhänger beim Om-Chanting.
Anhänger beim Om-Chanting.

© privat

Die Sekte betreibt auch eine eigene Form von Yoga, das sogenannte „Atma Kriya“-Yoga. Guruji habe dies vor Jahren von seinem eigenen Guru namens Mahavatar Babaji gelehrt bekommen, sagt Leonie Weil.

Dokumentiert ist dies nicht, denn bei Mahavatar Babaji handelt es sich um eine hinduistische Mythengestalt, die der Geschichte nach seit mehr als 1000 Jahren im Himalaja lebt. Leonie Weil erklärt, Guruji habe ihr jedoch versichert, dass er Mahavatar Babaji tatsächlich getroffen habe, und zwar persönlich im Himalaja. Weil sagt: „Das können nur ganz wenige Gurus von sich behaupten.“ Guruji äußert sich dazu nicht.

Ein Podcast über das Innenleben der Sekte

Eine, die sich intensiv mit der Sekte beschäftigt hat, ist die Journalistin Marlene Halser. Sie hat gemeinsam mit ihrer Kollegin Sonja Süß monatelang recherchiert, im Ashram übernachtet, Aussteiger interviewt. Ihre Ergebnisse präsentierten die beiden in zwei gefeierten Produktionen: Halser in dem Podcast „Just Love“ des Hessischen Rundfunks, Süß in einer gleichnamigen TV-Dokumentation. Am Telefon sagt Marlene Halser, sie habe sich zunächst gefragt, wie es sein kann, dass Menschen einem Gurukult derart verfallen. Sektenexperten hätten ihr erklärt, dass dies im Grunde jedem passieren könne, „weil da psychologische Mechanismen wirken, denen man sich unter bestimmten Umständen nur schwer entziehen kann“.

In dem Podcast wurden von mehreren ehemaligen Anhängern angebliche Missbrauchsvorwürfe gegen Guruji erhoben. Mit einer Berliner Anwaltskanzlei ist der Guru dagegen vorgegangen, hat diverse einstweilige Verfügungen erwirkt. Über seinen Anwalt ließ der Guru öffentlich klarstellen: Er habe in seinem gesamten Leben noch nie eine Person zu Handlungen gegen deren Willen veranlasst, gedrängt oder gar genötigt. Auch die Behauptung, er würde „seine Position innerhalb von Bhakti Marga zur Machtausübung und Unterdrückung missbrauchen“, sei unwahr.

Screenshot aus dem Film „Just Love“.
Screenshot aus dem Film „Just Love“.

© Hessischer Rundfunk

Der Hessische Rundfunk geht nun gegen die einstweiligen Verfügungen vor. Marlene Halser sagt: „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in Zukunft noch von einigen solcher Gruppierungen hören werden, besonders in unsicheren Zeiten wie diesen.“ Sich in Krisenzeiten einer vermeintlichen Botschaft der Liebe hinzugeben, könne verlockend sein.

Leonie Weil sagt, sie sei sehr verunsichert gewesen, als sie von den Veröffentlichungen des Hessischen Rundfunks erfuhr. Kurzzeitig habe sie sich gefragt: Bin ich vielleicht einem Hochstapler aufgesessen? Waren alle meine Anstrengungen umsonst? Dann allerdings, sagt sie, habe sie mit befreundeten Sektenmitgliedern telefoniert. Diese hätten ihr versichert, dass sämtliche Vorwürfe gelogen seien. Weil sagt: „Das hat mich beruhigt.“

Lebensziel: Einmal dem Guru die Füße küssen

Ein andere Anhängerin ist Meike Kabach, auch sie heißt eigentlich anders. Sie ist eine von etwa 100 Menschen, die das ganze Jahr über im Ashram leben. Sie erzählt von den Phasen, wenn Guruji selbst nicht vor Ort in Springen ist, weil er etwa auf Pilgerreise durch die Welt tourt. Sie vermisse ihn dann kaum, denn: „Du glaubst ja gar nicht, wie schnell die Zeit hier vergeht. Man hat gar kein Zeitgefühl eigentlich. Und wir sind so beschäftigt den ganzen Tag.“

Meike Kabach sagt, ihr größtes Ziel in diesem Leben sei nicht unbedingt, alles Karma abzutragen und den Kreislauf der Reinkarnationen zu beenden. Nein, ihr größtes Ziel sei, einmal in diesem Leben die Füße des Gurus küssen zu dürfen. Noch traue sie sich nicht zu fragen. Noch sei sie nicht so weit.

In seiner Jugend auf Mauritius agierte Mahadeosingh Komalram bereits als Hindu-Priester. Um die Jahrtausendwende kam er nach Europa. Er ließ sich in der Schweiz auf den Namen „Michael“ taufen und heiratete. 2005 gründete er Bhakti Marga.

Über das Spendenaufkommen schweigt die Sekte

Mittlerweile expandiert die Sekte. Neben dem Ashram in Springen kaufte sie im hessischen Kirchheim ein altes Tagungshotel auf. Die Anfrage des Tagesspiegel, wie viel Geld diese beiden Immobilien kosteten, beantwortet die Sekte nicht.

Auch über das jährliche Spendenaufkommen, das Vermögen der sekteneigenen Stiftung und über erzielte Umsätze durch Kurse „sind unsere Mandanten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zur Auskunftserteilung verpflichtet“, schreibt der Anwalt. Guruji legt Wert auf die Feststellung, dass er selber lediglich bei der Bhakti Event GmbH fest angestellt ist und ein festes Gehalt bekommt.

Om-Chantings in ehemaligen Konzentrationslagern

Für öffentliche Verärgerung sorgte Bhakti Marga, weil Anhänger mehrfach die Gedenkstätten ehemaliger Konzentrationslager aufsuchten und dort sogenannte Om-Chantings – laute gemeinsame Meditationen – durchführten. Den Sinn davon erklärt die Sekte auf ihrer Webseite: Die so erzeugten Schwingungen könnten „zur Heilung beizutragen“ und dazu, „diese Geschehnisse und Verstrickungen auf energetischer Ebene zu lösen“.

Die Anfrage des Tagesspiegels an den Guru, ob er tatsächlich die Gedanken seiner Anhänger lesen könne, auch aus der Ferne, ob er grundsätzlich „alles wisse“, ob er Anhängern auf fernen Kontinenten wirklich in Menschenform begegnen könne, ob er Gegenstände wie Schmuck aus seinem eigenen Körper materialisieren könne, lässt der Guru über seinen Anwalt beantworten: „Unser Mandant möchte die von Ihnen geschilderten Erfahrungen seiner Anhänger nicht kommentieren.“

So werden die angeblichen Wunder, die seine Anhänger ihm zuschreiben, weder bestätigt noch dementiert. Sie bleiben Glaubenssache.

Wie leicht individuelle Wahrnehmung so interpretiert werden kann, dass Erlebtes Sinn ergibt und ins eigene Glaubenssystem passt, lässt sich während des Festivals im Taunus eindrücklich beobachten. Zum Beispiel am Nachmittag, als kurzzeitig ein Regenschauer über das Gelände hereinbricht. Der Guru hat sich mit einigen engen Vertrauten in seine Residenz zurückgezogen, die etwas erhöht am Hang liegt. Meike Kabach, seine Anhängerin, sucht wie hunderte andere Besucher unter dem überdachten Essensstand Schutz.

Nach einer halben Stunde hört der Regen auf, die Sonne zeigt sich wieder zwischen den Wolken. Meike Kabach sieht, wie jetzt auch der Guru wieder aus seiner Residenz heraustritt und, umgeben von seinen Vertrauten, den Hang hinunter zurück Richtung Bühne spaziert. Meike Kabach deutet in seine Richtung und sagt: „Schau mal. Sobald Guruji wiederkommt, hört auch der Regen auf.“

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