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Gesundheit: Bildungsreform in den USA: Bush als Schuldirektor aus Leidenschaft

Da stand er also in der Nieselkälte vor dem Kapitol, hatte gerade seinen Amtseid abgelegt und sollte in wenigen Minuten als 43. Präsident der Vereinigten Staaten seine Inaugurations-Rede halten.

Da stand er also in der Nieselkälte vor dem Kapitol, hatte gerade seinen Amtseid abgelegt und sollte in wenigen Minuten als 43. Präsident der Vereinigten Staaten seine Inaugurations-Rede halten. George W. Bush war nervös. Dann stellte er sich vors Mikrofon und fing einfach an - etwas zu leise und etwas zu schnell. Doch von Satz zu Satz wurde er selbstbewusster. Bush redete sich immer stärker in seine Überzeugungen hinein. Das gab ihm Halt. Schließlich war er bei einem Thema angelangt, das ihm am Herzen liegt: der Misere im öffentlichen Schulsystem. "Wir werden die amerikanischen Schulen verbessern, bevor Ignoranz und Apathie noch mehr junge Menschenleben zerstören", rief er fast zornig.

Diese Worte charakterisieren Bush besser als viele andere, mit denen er zitiert wird. Denn ganz oben auf seiner Agenda stehen nicht etwa die Steuerreform oder der Aufbau eines Verteidigungssystems gegen Nuklearraketen, wie man in Europa gerne glaubt, sondern ganz oben steht die Bekämpfung der Bildungsmisere. "Manchmal scheint es", schrieb ein Nachrichten-Magazin schon während des Wahlkampfes, "als kandidiere Bush eher für das Amt eines Schuldirektors als für das des Präsidenten." Dieser Eindruck drängte sich tatsächlich auf.

Mit dem Thema Bildung wurde Bush gewählt, in keiner Rede ließ er es aus. Und falls er überhaupt in historischen Kategorien denkt, hätte er nichts dagegen, einst als Bildungspräsident in die Geschichte einzugehen. Bush selbst besticht zwar nur selten durch Intelligenz und Eloquenz, aber er ist fest entschlossen, die Qualität der öffentlichen Schulen in Amerika zu verbessern.

Dringend reformbedürftig

Kaum einer bestreitet, dass das amerikanische Schulsystem dringend reformbedürftig ist. Mehr als eine halbe Billion Dollar steckt der Staat jährlich in sein öffentliches Bildungswesen. Das sind rund 7300 Dollar pro Schüler und 7,3 Prozent des Bruttosozialprodukts. Damit geben die USA nicht nur in absoluten, sondern auch in relativen Zahlen mehr Geld für die Schulbildung aus als Deutschland oder die meisten anderen Industrieländer. Doch der Erfolg ist mäßig, ja geradezu beschämend. Im internationalen Vergleich hinkt das Land hinterher.

In Mathematik und Naturwissenschaften zum Beispiel rangieren die amerikanischen Achtklässler auf einem mageren Mittelplatz, wie der internationale Leistungs-Vergleich der OECD unter dem Namen TIMSS gezeigt hat. Auch deutsche Schüler hatten dabei wenig besser abgeschnitten. Weit vorne haben sich Länder wie Korea, Kanada, die Niederlande, Schweden und Frankreich plaziert. Selbst in Singapur und Russland scheint der Unterricht besser zu sein, jedenfalls sind es die Schüler. Viertklässler, die nicht lesen, Fünftklässler, die nicht rechnen, und Sechstklässler, die kein Englisch können: Solche Meldungen schockieren die amerikanische Öffentlichkeit. Den Besuch von Privatschulen wiederum kann sich in erster Linie nur die weiße Mittel- und Oberschicht leisten. Von 65 Millionen Schülern sind das etwa fünf Millionen.

Das größte Problem ist die Ungleichheit. Eine öffentliche Schule in den USA wird etwa zur Hälfte durch den Bezirk finanziert, in dem sie sich befindet, und zur anderen Hälfte durch ihren jeweiligen Bundesstaat. Nur sieben Prozent des Budgets werden von Washington gedeckt. Wie viel Geld eine Schule zur Verfügung hat, hängt wesentlich davon ab, wo sie liegt. Als Faustregel gilt deshalb: Je ärmer die Gegend, desto schlechter die Schule. In Illinois zum Beispiel, etwas nördlich von Chicago, gibt es zwanzig Schulbezirke, in denen überwiegend wohlhabende, weiße Vorstadt-Familien leben. Diese Schüler rangieren in der Statistik ganz weit oben. Schwarze und hispanische Amerikaner dagegen, die eine innerstädtische Lehranstalt besuchen, liegen ganz weit hinten.

Extrem sind die Unterschiede auch in der Bezahlung und Ausbildung der Lehrer. Nur 41 Prozent der amerikanischen Mathematik-Lehrer etwa verfügen auch über einen Universitäts-Abschluss in Mathematik. Der Durchschnitt in den Industrieländern liegt bei 71 Prozent. In wohlhabenden US-Gegenden können die Schulen es sich leisten, mehr Geld für einen ausgebildeten Lehrer auszugeben. Doch in ärmeren Vierteln erhalten ungelernte Erziehungs-Kräfte nur so genannte Not-Zertifikate, mit denen sie unterrichten dürfen. Ihre Tätigkeit ist außerdem zeitlich befristet. Das Gehalt eines Lehrers liegt ebenfalls unter dem Durchschnitt und schwankt stark, je nach Schule und Region. Ein US-Lehrer verdient etwa 33 000 Dollar im Jahr, ein Ingenieur oder Computer-Fachmann verdient fast das Doppelte.

Aus Frustration über das schlechte Schul-Niveau in ihrem Land unterrichten immer mehr US-Eltern ihre Kinder zu Hause. Stark im Kommen ist auch der Cyberspace-Unterricht. Übers Internet kann ein Lehrer eben wesentlich mehr Schüler gleichzeitig unterrichten als im Klassenzimmer. Daher kann er besser ausgebildet sein und mehr Geld verlangen. Überdies sind in 37 US-Bundesstaaten inzwischen so genannte Charter-Schulen erlaubt. In ihnen bestimmen die Eltern, wofür das Geld ausgegeben, wer eingestellt und entlassen wird. Außerdem werden die Schüler regelmäßig nach einheitlichen Kriterien getestet.

Ginge es nach George W. Bush bestünde das Land bald nur noch aus Charter-Schulen oder ähnlichen Modellen. Sein Reform-Projekt umfasst allerdings weit mehr. Das Zauberwort heißt "accountability" (Verantwortlichkeit, Rechenschaftspflicht). Alle Schüler von der dritten bis zur achten Klasse sollen künftig jedes Jahr nach einheitlichen Kriterien geprüft werden. Das betrifft vor allem die Fächer Englisch und Mathematik. Die Ergebnisse müssen öffentlich gemacht und nach Geschlecht, Rasse, Behinderung und sozialem Status gegliedert werden. Wenn eine Schule, die besonders schlecht abschneidet, nach zwei Jahren keine wesentlichen Fortschritte gemacht hat, wird sie verwarnt. Im folgenden Jahr können ihr Bundesmittel entzogen werden. In diesem Fall würden die Eltern vor die Wahl gestellt, ihre Kinder von dem entzogenen Bundesgeld auf eine Privatschule zu schicken (etwa 1500 Dollar pro Jahr in Form eines Gutscheins) oder einen Nachhilfelehrer zu bezahlen.

Das zweite Zauberwort heißt Flexibilität. Am wichtigsten, sagt Bush, sei das Ergebnis. Wie eine Schule ihr Ziel erreicht, soll ihr selbst überlassen bleiben. Jeder Schuldistrikt - von insgesamt 14 800 in den USA - kann seinen eigenen Lehrplan entwickeln und seine eigenen Methoden anwenden. Notwendig, meint die neue US-Administration in Washington, ist nicht eine einheitliche Ausbildung, sondern ein einheitlicher Maßstab bei der Leistungsmessung.

Zuckerbrot und Peitsche

Mehr Geld: So heißt das dritte Zauberwort des neuen Präsidenten. Bush ist bereit, insgesamt 47 Milliarden Dollar zusätzlich auszugeben, um vor allem jenen Kindern zu helfen, die in armen Gegenden auf schlechte Schulen gehen müssen. In einem speziellen Programm (Title 1), das seit 1965 läuft, wurden Kinder aus bedürftigen Familien schon jetzt jährlich mit acht Milliarden Dollar unterstützt. Trotzdem ist die Kluft zwischen Arm und Reich, Schwarz und Weiß in den letzten Jahren eher noch größer geworden. Das führt Bush unter anderem auf Schlamperei und Versagen zurück. Seine 47 Milliarden sind das Zuckerbrot, die Tests und die mögliche Bestrafung sind die Peitsche. So versucht der Republikaner, mit konservativen Mitteln (Kontrolle und Sanktionen) ein fortschrittliches Ziel zu erreichen - nämlich den Abbau der Ungleichheit.

Im Kern ist sein Reformprojekt nicht umstritten. Die Unterschiede zwischen Demokraten und Republikanern sind marginal. Allein das Gutschein-System, mit dem die Eltern ihre Kinder von jenen Schulen nehmen können, die in den Tests permanent schlecht abschneiden, wird heftig kritisiert. Die Republikaner sehen darin ein nützliches Druckmittel, die Demokraten dagegen befürchten, dass dadurch vieles noch schlimmer wird. Das Geld würde ausgerechnet von den Schulen abgezogen, die es besonders dringend brauchten, sagen sie. Und nur die besonders aktiven Eltern würden von den Gutscheinen für ihre Kinder Gebrauch machen, zurück blieben die hoffnungslosen Fälle. Eine schlechte Schule würde durch die Bestrafung nicht besser, sondern schlechter.

Die Vorstellung seines Schulreformprojektes war die erste politische Großtat von Bush. Das Wort "Gutscheine" vermied er dabei. "Ich möchte jeder Schule, die in den Tests schlecht abschneidet, eine faire Chance geben", sagte er. "Sie soll die entsprechenden Mittel erhalten und unterstützt werden. Aber es gibt eine Frist, einen Moment der Wahrheit. Dann müssen die Eltern die Gelegenheit erhalten, sich für ihre Kinder nach einer anderen Möglichkeit umzusehen." Das Gutschein-System wird Bush wohl nicht durchsetzen können. Aber ein bisschen darf jeder die Peitsche schwingen, der 47 Milliarden Dollar extra ausgibt.

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